Seit geraumer Zeit schwärmen die Enthusiasten der Reitkunst, die sich als die wahren Pferdekenner ausgeben, von der Kulturepoche des » Hans Dionys Dossenbach, in der, soweit es das Pferd betrifft, angeblich der Stein der Weisen hinsichtlich aller Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten gefunden wurde. › Monique und Hans D. Dossenbach: König Pferd beginnt das entsprechende Kapitel in seinem Buch » König Pferd allerdings nicht mit den bis heute berühmten Meistern, sondern mit der besonderen Art Pferd, die im Barock beliebt war.
| Die an Prachtentfaltung überreiche Barockzeit brachte einen ganz bestimmten Pferdetyp hervor, der dem Stil und Geschmack der gehobenen Schicht jener Zeit genau entsprach. Es war ein kompaktes, kräftiges, aber dennoch sehr elegant wirkendes Pferd mit auffallend abgerundeten Formen, einem markanten, eher langen Kopf mit vorgewölbtem Nasenprofil, einem starken, hochgetragenen Hals, breiter Brust, wenig Widerrist, geschlossener Lende und runder, kraftvoller Kruppe, eher kurzen, kräftigen, trockenen Beinen und kleinen Hufen, ein Pferd, dessen berberisches Erbe unverkennbar war.
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Nun ja. Dossenbach war nicht dabei, er muss sich wie wir alle auf die bildliche Ãœberlieferung stützen, und die Frage muss erlaubt sein, wie verlässlich diese ist. Er bringt wie üblich eine Reihe von Illustrationen, in diesem Fall repräsentative Gemälde von Herrscherpersönlichkeiten zu Pferd, unter anderem zwei Gemälde von » Diego RodrÃguez de Silva y Velázquez, bei denen schon ohne langes Nachdenken klar ist, dass ein solches Bild nicht mit einem Foto zu vergleichen ist. Im Gegenteil drängt sich einem Pferdekenner der Verdacht auf, dass hier eher eine Karikatur vorliegt.
Nehmen Sie als Beispiel die erste Illustration dieses Abschnitts. Was würden Sie zu einem solchen Pferd sagen? Ist das eine Missgeburt? Ein Fehlerpferd? Riesiger Hintern und winziger Kopf? Ich habe mal das Bild gedreht, so dass ich die Größe des Mannes und das Stockmaß des Pferdes abschätzen konnte. Nach meiner Schätzung ergibt sich jetzt folgende Erkenntnis: Nehmen wir an, der Mann sei 190 cm groß gewesen, was unwahrscheinlich ist, so hätte das Pferd ein Stockmaß von 125 cm. War der Mann nur 160 cm groß, so beträgt das Stockmaß 105 cm.
Bei diesen Proportionen kommt der Mann natürlich irre gut raus. Er ist die Krone der Schöpfung, der Mächtigsten einer, das Bild hat viel gekostet und soll seinen Zweck erfüllen, der Welt nämlich beweisen, wie großartig dieser Edelmann gewesen ist. Ein solches Prachtstück kann natürlich nicht auf einem dünnen Pony sitzen, das kommt gar nicht gut, da könnte man ja gleich einen Esel nehmen. Das Pferd wird also an den geeigneten Stellen aufgeplustert wie ein modernes Oberklasseauto, das ja schließlich auch schon auf den ersten Blick etwas hermachen und den Besitzer aufwerten soll.
Was schließen wir daraus über die Beschaffenheit der wirklichen Pferde dieser Leute? Gar nichts. Das Bild ist ein Märchen, Propaganda, und die darf bekanntlich übertreiben, um ihre Ziele zu erreichen. Gerade Velasquez ist dieser Vorwurf zu machen; andere Maler des Barock haben sich ein wenig mehr zurückgehalten. Bei Velasquez muss man sich manchmal fragen, ob er überhaupt schon je ein Pferd gesehen hat. Die Darstellung des » Prinz Baltasar Carlos zu Pferde ist einfach unglaublich: Der kleine Junge sitzt auf einer riesigen Tonne, an der ein kleiner gedrungener Kopf, dünne Vorderbeine und viel zu lange dünne Hinterbeine befestigt sind, das Ganze garniert mit einer wilden Mähne und einem prächtigen Schweif, präsentiert vor einer lächerlichen Landschaft.
Man muss sich fragen, ob er sich nicht heimlich über seine Auftraggeber lustig gemacht hat, aber da er am Hof Karriere gemacht hat, kann man auf jeden Fall davon ausgehen, dass, sollte das der Fall gewesen sein, niemand etwas gemerkt hat. Mit anderen Worten: Er hat auch mit diesen Karikaturen die Erwartungen und den Geschmack seines Publikums und seiner Auftraggeber getroffen und befriedigt.
Eine kleine Unsicherheit bleibt. Wir kennen ja die sogenannten » Qualzuchten, und obwohl die Bandbreite der Erscheinungsformen bei der Pferdezucht nicht ganz so extrem ist wie bei der Hundezucht, so ist nicht auszuschließen, dass man damals tatsächlich solche Monster gezüchtet hat. Und mit denen will man dann die Reitkunst vervollkommnet haben. Ja die Reitkunst!
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