Soweit erkennbar, hat Rau sich ausschließlich für Pferde interessiert, für Pferdezucht und Pferdesport. Dafür hat er gelebt, gearbeitet, gestritten, geschrieben, gezittert und gejubelt. Die Aufgabe als Oberlandstallmeister muß ihn interessiert haben. Die Aufbruchstimmung hat ihn verständlicherweise begeistert. Das Versprechen, als einfacher Volksgenosse durch eigene Kraft aufsteigen zu können, motivierte schon die Franzosen unter Napoleon zu Heldentaten. Was ist daran Böses?
Daß der Nationalsozialismus schnell und tief Wurzeln schlagen konnte, ist Tatsache. Wer angesichts der historischen Fakten Verständnislosigkeit zeigt, sollte sich meiner Ansicht nach mit den Quellen beschäftigen und nicht aus der sicheren Distanz überheblich über Zeiten urteilen, die er nicht versteht.
Susanne Hennig widerspricht sich im übrigen selbst, wenn sie schreibt:
| Warum sich Oberlandstallmeister Rau in seinem Vortrag nicht ausschließlich auf Sachthemen der Pferdezucht konzentriert und statt dessen ein politisches Bekenntnis abgibt, ist heute schwer nachvollziehbar. Unstrittig sieht er sich selbst stets als den großen Führer des Pferdesportes und der Pferdezucht. Von daher kommt der Führerstaat Hitlers wie auch die faschistische Diktatur Italiens unter Mussolini der Persönlichkeitsstruktur und dem Denken Raus entgegen. Dennoch täte man ihm unrecht, ihn als überzeugt Nationalsozialisten zu bezeichnen, denn wirkliches politisches Interesse und Engagement läßt er niemals erkennen. Sein Handeln lediglich auf ein gewisses Mitläufertum zu reduzieren, wäre allerdings auch nicht angemessen. a. a. O., Seite 86 | | |
Hier haben wir nämlich das vollständige Zitat: Der Nachsatz, auf den sich Lenz bezieht und mit dem er seine gewagten Thesen stützt, ist aus dem Zusammenhang gerissen und durch nichts zu rechtfertigen. Den offensichtlichen und bedauerlichen Mißgriff der Autorin und auch die peinliche Reaktion des Pressesprechers der FN schreibe ich der allgemeinen Verunsicherung zu, die sechzig Jahre nach Kriegsende immer noch unser Denken und Schreiben belastet. Wenn jeder, der Führungsqualitäten hat und diese Führungsqualität auch umsetzt, gleich als Sympathisant und aktiver Unterstützter der Nazis diffamiert werden dürfte, hätten wir keine Führer mehr.
Freilich sagen wir heute nicht mehr Führer, weil das Wort diskreditiert ist, allenfalls Wirtschaftsführer oder Führungspersönlichkeit. Ganz zweifellos brauchen wir Führungspersönlichkeiten und verlangen von diesen auch, daß sie führen und ihre Visionen durchsetzen. Nichts anderes hat Rau getan, nichts anderes wird ihm nachgesagt. Eine Führungspersönlichkeit, die versagt, wird zu Recht für dieses Versagen zur Rechenschaft gezogen. Jürgen Schrempp ist eines der letzten Beispiele charismatischer Führungspersönlichkeiten, die nicht halten konnten, was sie versprochen haben. Gustav Rau starb als geehrter Mann, weil er seine Visionen stets durchsetzen konnte und sich nur von den Zeitumständen hat bremsen lassen. Wie in der Zeit von 1936 bis 1939.
| | Rau, FEI-Präsident Max Freiherr v. Holtzing-Berstett, Reichssportführer Hans v. Tschammer und Osten, Olympischen Spiele 1936 (v. li.) | | | |
| Vermutlich haben die Nazis ziemlich schnell mitbekommen, welche Rolle und Bedeutung Rau auf seinem Gebiet zukamen. Jedenfalls haben sie ihn bald wieder aus der Stellung als preußischen Oberlandstallmeister entlassen. Die Hintergründe sind bis heute anscheinend ungeklärt.
Wie fühlt sich so jemand wie Rau, wenn er kaltgestellt wird? Wenn er sieht, wie sein Lebenswerk in die Hände von Parteibonzen gerät? Wenn ihm die Hände gebunden sind und er jahrelang nichts tun kann? Ein solcher Mann ist ja nicht dumm. Der sieht doch, daß die ganzen Erfolge, die mühsam über Jahrzehnte aufgebaut wurden, durch Inkompetenz schnell ruiniert werden können.
Aber zunächst brauchten die Nazis den Fachmann noch. Gustav Rau hatte sich mit den Olympischen Spielen 1916 beschäftigt, dann dafür Sorge getragen, daß die ersten Olympischen Spiele, an denen die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg wieder teilnehmen durften, 1928 in Amsterdam, zu einem Triumph wurden ( Amsterdam). Nun standen die Olympischen Spiele 1936 in Berlin vor der Tür, und die Nazis waren selbstverständlich fest entschlossen, dieses Ereignis nach Kräften für ihre Zwecke zu nutzen.
Das ging nicht ohne Fachleute. Das IOC ließ nicht mit sich spaßen und drohte mehrfach, die Olympischen Spiele in Berlin abzusagen (a. a. O., Seite 94, 95). Die Nazis fanden Gustav Rau nützlich. Deshalb hatte er zunächst noch ein Betätigungsfeld. Und dann schoben sie ihn nach Polen ab, weil sie Pferde brauchten für den Krieg, und Rau war der Fachmann, der diese Aufgabe erledigen konnte. Wichtige Funktionen waren das nicht. Aber er war der willfährige Idiot, den sie für ihre Zwecke einsetzen konnten.
Zum Ende des Krieges mußte er natürlich, genauso wie die anderen, überstürzt fliehen. Aber wie er diese Flucht inszenierte, ist wieder beeindruckend.
| Um die Pferde 1944 vor der vorrückenden sowjetischen Armee zu retten, veranlaßt Rau die Evakuierung sämtlicher Staatsgestüte. Erneut besticht er mit ungeheurem Organisationstalent. In geordneten Gruppen marschieren Pferde und Gestütsmitarbeiter gen Westen. Die Pferde aus zehn Gestüten erreichen das Gebiet der heutigen Bundesrepublik, die Bestände der übrigen vier kommen nur bis in die bald nach dem Krieg geschaffene sowjetischen Besatzungszone. Raus Rettungsaktion bringt ihm in Polen viel Sympathie ein. Als die Pferde, die unter anderem in den holsteinischen Gestüten Grabau und Schönböken eine vorläufige Heimat gefunden hatten, an Polen zurückgegeben werden müssen, schenkt der polnische Kommandant v. Baranowski Gustav Rau zum Dank die berühmte Stute und Olympiasiegerin Tora, die in Schönböken ihr Gnadenbrot erhält. a. a. O., Seite 123 | | |
Man vergleiche diese Leistung mit dem Chaos der Flucht der Trakehner, die am Ende des letzten Artikels beschrieben wurde. Gustav Rau rettete sich selbst ebenfalls in den Westen und bekam damit eine Chance, sein Lebenswerk noch einmal zu fördern und damit die deutsche Pferdezucht und den deutschen Pferdesport. Wieder stellt sich die Frage, wie die Dinge sich entwickelt hätten, wäre es Gustav Rau nicht vergönnt gewesen, auf seine Weise zu wirken.
Quellen / Verweise
- Auf in den Krieg!, Wo blieben die Reiter und Züchter? Ausgabe 336
- Susanne Hennig: 100 Jahre FN, FN-Verlag 2005
- Stockholm, Ausgabe 316
- » Machtergreifung
- » junge welt
- » junge welt vom 30.08.2005 - Ein Jubiläumsbeitrag
- » fs
- » freizeit im sattel : Juni 2005 - fs aktuell - Forderung an FN: "Schluss mit dem Kult um Gustav Rau"
- Reit- und Fahrvereine, Ausgabe 332
- Amsterdam, Ausgabe 334
- 100 Jahre FN, Jubiläum der Deutschen Reiterlichen Vereinigung
Ausgabe 315 · Teil 1 - Verbandsgründung, erste Erfolge, Männer der ersten Stunde legen den Grundstein für die Gegenwart
Ausgabe 316 · Teil 2 - Krieg und Nachkriegszeit, Gewaltige Veränderungen in jeder Hinsicht
Ausgabe 317 · Teil 3 - Das Jahr 1924, Auferstanden aus der Asche
Ausgabe 332 · Teil 4 - Kauft nur deutsche Pferde!, Pferdezucht und Pferdesport - die Erfolgskombination
Ausgabe 334 · Teil 5 - Olympische Spiele Berlin 1936, Gleichschaltung von Sport und Zucht im Dritten Reich
Ausgabe 335 · Teil 6 - Auf in den Krieg!, Wo blieben die Reiter und Züchter?
Ausgabe 336 · Teil 7
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Fotos
© Quelle: FN, Privatarchiv H. Munzendorf, Susanne Hennig: 100 Jahre FN, FN-Verlag 2005
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