| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | Meine Meinung zu dem Buch: von › Werner Popken
Noch ein Buch für den ambitionierten Dressurreiter! Dieses Buch wurde erstmals 1996 auf Schwedisch publiziert und im Jahre 2000 im selben Verlag in erster Auflage herausgebracht. Es handelt sich um eine Übersetzung aus der englischen Ausgabe. Die Originalsprache und der Name der Autorin deuten darauf hin, dass sie zur schwedischen Minderheit in Finnland gehört, von der viele noch gar nichts gehört haben; Finnland ist zweisprachig, Schwedisch ist Amtssprache, die schwedische Minderheit genießt einen umfangreichen Schutz.
Im internationalen Sport spielt die Nationalität zwar im Prinzip eine überragende Rolle - schließlich streiten Nationen miteinander - und deshalb nehmen manche an, dass die Sportler für ihre Nation kämpfen, aber es ist wohl zunehmend umgekehrt: Die Sportler nehmen eine Nation in Anspruch, um an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können.
Dieses Buch ist eindeutig von der Spitzensportlerin Kyra Kyrklund geprägt; 1952 in Helsinki geboren, nahm sie an den Olympischen Spielen 1980 in Moskau, 1984 in Los Angeles, 1988 in Seoul, 1992 in Barcelona, 1996 in Atlanta teil, gewann 1984 und 1988 das Hamburger Dressurderby und unterrichtet zahlreiche Reiter aus vielen Ländern, unter anderem den bekannten schwedischen Dressurreiter Jan Brink, wie Engländerin Emma Hindle oder die Dänin Nathalie zu Sayn-Wittgenstein. Nach wie vor ist sie selbst sportlich aktiv; bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 und Athen 2004 war sie zwar nominiert, konnte jedoch aufgrund von Verletzungen ihrer Pferde nicht teilnehmen; 2008 in Hongkong war sie wieder dabei und kam auf Platz acht.
| Kyra Kyrklunds Spezialität sind ihre kommentierten Vorführungen, bei denen sie zeigt, wie sie Pferde von der Grundausbildung bis zum Grand Prix-Niveau führt. Während sie reitet, erklärt und zeigt Kyra Kyrklund, wie sie ihre bekannte Methode des freundlichen, aber bestimmten Umgangs mit Pferden einsetzt und dabei ein logisches und konsequentes System benutzt, mit dem sie ausgezeichnete Erfolge erzielt. Dieses System hat sie nicht nur zu einer der besten Dressurreiterinnen der Welt gemacht, sondern auch zu einer der beliebtesten und anerkanntesten Dressurausbilderinnen überhaupt. a.a.O., Seite 17, Wer ist Kyra Kyrklund? | | |
Nun handelt es sich hierbei um ein Buch, und dieses Buch ist nicht von Kyra Kyrklund geschrieben worden, sondern von Jytte Lemkow; in ihrem Vorwort betont sie, wie schwierig diese Arbeit war, musste sie doch im einzelnen verstehen, was die Dressurreiterin zu vermitteln hatte. Aber intellektuelles Verstehen reicht natürlich nicht; deshalb hat sie alle Lektionen mit ihrem eigenen Pferd nachgeritten und so lange gefragt, bis sie alles verstanden hatte.
Allerdings sind beide Autorinnen der Meinung, dass ein Buch alleine nicht ausreichen kann; deshalb verweisen sie auf die sechs » Lehrvideos von Kyra Kyrklund.
| Für mich sind Kyras Ratschläge zur Vorbereitung und Vereinfachung verschiedener Lektionen besonders wichtig. Sie gliedert ihre Anweisungen so gut und lehrreich auf, dass sie mit Sicherheit auch für Menschen von Nutzen sind, die ihre Pferde mithilfe eines anderen Systems reiten. Tatsächlich sind viele der Vorstellungen, die Kyra hier darlegt, so einfach, dass man sich nur wundern kann, warum man nicht selbst darauf gekommen ist. Sie hat eine Begabung dafür, anderen Dinge näher zubringen.
Kyra hofft, dass ihre offene Darlegung ihrer Methoden Reiter veranlassen wird, selbst mehr nachzudenken und zu bewerten, was sie tun und warum. Allein das sollte bereits dazu beitragen, mit dem eigenen Pferd besser zurecht zu kommen, selbst wenn man nicht jede Anweisung bis ins Kleinste befolgt.
Kyras grundlegende Theorie lautet: Wenn das Pferd nachgeben soll, muss zunächst der Reiter nachgeben. Für viele Reiter mag das eine ganz neue Denkungsweise sein, denn die meisten reiten nach dem Prinzip "festhalten, bis das Pferd nachgibt, und dann selbst nachgeben" - doch viele kommen nie bis zu dem Punkt, wo es ans Nachgeben geht. a.a.O., Seite 21, Vorwort | | | Jytte Lemkow hat Kyra Kyrklund als Richterin auf den Olympischen Spielen 1980 in Moskau kennengelernt - sie versteht also was von der Sache, nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch als Expertin höchsten Ranges. Und sie ist des Lobes voll:
| Meiner Meinung nach sind Kyras Vorstellungen zur Versammlung fast schon revolutionär. Sie erklärt, dass man Versammlung nicht dadurch erreicht, dass man das Pferd vorne festhält, während man es von hinten anschiebt. Kyra verringert das Tempo und gibt dem Pferd gleichzeitig vorne Raum, so dass es sein Gleichgewicht selbst finden kann, indem es die Hinterbeine weiter unter den Körper setzt. Das mag sich einfach anhören, doch um diese Technik vollständig zu meistern, muss man daran arbeiten, sich die Feinfühligkeit, das reiterliche Gefühl und die starke Einwirkung anzueignen, über die Kyra verfügt. Außerdem braucht man dazu ein empfindsames Pferd. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir weniger Pferde mit ruiniertem Schritt und Galopp sehen würden, wenn mehr Reiter diese Technik ausprobieren würden, denn gerade diese Gänge werden von einer unnachgiebigen Hand am deutlichsten negativ beeinflusst. a.a.O., Seite 21 | | |
Na also: So könnte ein Umdenken bei den Richtern aussehen. Denn dass die Richter an der Misere ein Großteil Schuld tragen, ist unbestritten, soweit ich das beurteilen kann. Vom Kaliber dieser Auszüge ist das ganze Buch. Selbstverständlich wird es durch viele Zeichnungen und Fotos begleitet, in vielen Fällen natürlich von Kyra Kyrklund und ihren diversen Pferde.
Es verwundert natürlich nicht, dass auch Kyra Kyrklund über mentales Training, positives Denken und den Teufelskreis der Angst spricht. Ihre eigenen Erfahrungen fließen immer wieder ein und zeigen an vielen Einzelheiten, dass ihr Erfolg viele Väter hat, unter anderem ein ganz bodenständiges Denken:
| Die Hilfen automatisieren
Das mentale Training ist eine Ergänzung zum Reiten. Wenn man immer wieder jede einzelne Hilfe, die man dem Pferd geben wird, geistig durchspielt, ganz akkurat und mit kleinsten Details, und wenn man jeden Tritt und jede Bewegung der gewünschten Reaktion spüren kann, dann kann man damit einen Punkt erreichen, an dem die Einwirkung auf das Pferd zum Reflex wird.
So wird das eigentliche Reiten fast zu 100 % automatisch, und das Gehirn kann sich auch auf die anderen Aspekte des Rittes konzentrieren. Dann ist man in der Lage, schnell und sicher auf ein Problem zu reagieren, man kann besser spüren und kleinsten Feinheiten anwenden, die den Ritt zu etwas Besondere machen.
Das bewusste Gehirn kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren. Es kann nicht gleichzeitig die Anweisungen für die grundlegenden Hilfen für eine Lektion geben und gleichzeitig an der Verbesserung der Lektion feilen. Deshalb sagen Sportler, denen eine "perfekte" Leistung gelungen ist, hinterher oft, es sei "einfach passiert". Alles lief ganz automatisch. Viele Reiter werden dieses Gefühl kennen, bei dem das Pferd richtig gut geht und man nur denken muss, damit es reagiert. Es ist, als würde das Pferd alles von allein machen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass schlechte Technik eben schlechte Technik ist und durch mentales Training nicht verbessert werden kann. Die Technik, die man mental durchspielt, muss bereits gut sein. a.a.O., Seite 170-172 | | |
Jytte Lemkow hat ein eigenes Kapitel "Dressurrichten" beigesteuert, das sicher dazu angetan ist, die Schwierigkeiten des Richtens verständlicher zu machen. Nachdem sie die Geschichte der Regeln und des Richtens kurz referiert hat, arbeitet sie als zentrale Komponenten des Urteils die Faktoren Qualität und Genauigkeit heraus, die jeweils von einem Richter unterschiedlich gewertet werden können. Hinzu kommt die jeweils unterschiedliche Perspektive:
| Aus einer schlechten Perspektive heraus - vielleicht direkt von vorn oder, noch schlimmer, von hinten - ist es äußerst schwierig, eine Lektion oder Gangart korrekt zu beurteilen. Ein Richter, der eine Lektion von hinten verfolgt, kann nur die Qualität oder mangelnde Qualität von hinten gesehen beurteilen und sollte nicht versuchen zu erraten, wie sie aus einem anderen Blickwinkel heraus wirkt.
Stellen Sie sich einen starken Trab vor. Von hinten ist die Geschlossenheit nur sehr schwer zu beurteilen. Ob Vor- und Hinterhand sich synchron bewegen, ist fast unmöglich zu sehen, von der Haltung von Hals und Kopf ganz zu schweigen. Was Sie sehen können, sind das energische Abfußen der Hinterbeine, der Schwung und besonders das Geraderichten des Pferdes. Der Richter, der dieselbe Lektion von der Seite betrachtet, aus der Position, in der fast jeder Lektion außer den Seitengängen am besten zu sehen ist, sieht den gesamten Rahmen des Pferdes, die Haltung von Kopf und Hals, den schwingenden Rücken, den Raumgriff und die synchrone Abfolge von Vorder- und Hinterbeinen. Diese beiden Richter können denselben starken Trab ganz verschieden benoten, und beide haben recht. Addiert man ihre Punkte, kann der Durchschnitt durchaus der Wahrheit so nahe kommen, wie es bei diesem speziellen starken Trab nur möglich ist - näher als die Bewertung durch einen Zuschauer, weil er oder sie die Lektion nur aus einem bestimmten Blickwinkel sehen konnte. Dies gilt auch für das Endergebnis einer gesamten Vorstellung. a.a.O., Seite 175 | | |
Sie gibt zu, dass die Kritik an den Richtern und am Verfahren so alt ist wie das System selbst und auch durch Neuerungen nicht hat enden wollen; ich persönlich wundere mich, warum sich jemand für diese undankbare Aufgabe überhaupt zur Verfügung stellen will, aber das scheint ja kein Problem zu sein. Interessanterweise gibt es durchaus Unterschiede bei den nationalen Bewertungskriterien; einige davon für Schweden und Dänemark werden erläutert. Am Beispiel einer Volte erläutert sie im einzelnen die Kriterien Genauigkeit und Qualität.
| Bei meinen Lehrgängen stelle ich eine Liste mit 20 Punkten vor, die ein Richter während der Dressurprüfung bei fast jeder Lektion und jeder Gangart in Betracht ziehen muss. Diese Liste erklärt vielleicht, warum es für die Richter so schwierig ist, zu einer Übereinstimmung und damit zu gleichen Wertnoten zu kommen. Außerdem wird klar, wie viele Entscheidungen ein Richter in wenigen Sekunden treffen muss. Mangelnde Übereinstimmung kann auch daran liegen, dass manche Richter einige dieser Punkte höher bewerten als andere - wie schon gesagt: Manche legen mehr Wert auf Genauigkeit, manche mehr auf Qualität. Manche Richter haben ein besseres Auge für die korrekten Grundgangarten, während andere mehr den gesamten Rahmen des Pferdes im Blick haben, das heißt, ob es je nach Ausbildungsstand genügend versammelt ist oder nicht. a.a.O., Seite 181 | | |
Die Liste dieser Punkte wird natürlich ebenfalls vorgestellt. Das Buch endet mit der Vorstellung von Kyras Pferden. Interessanterweise begann sie als Kind mit einem Kaltblüter namens Irja, einem Arbeitspferd auf dem Bauernhof ihrer Patin in Finnland. Der polnische Warmblutwallach Dragon, mit dem sie ihre Springkarriere begann, wirkt auf dem Foto ebenfalls so als hätte er starke Kaltblutanteile. Mehr durch Zufall gelangte sie durch ihn in die schwedische Nationalmannschaft der Jugend. Da war sie 16; mit 17 erhielt sie ihr erstes eigenes Pferd, das erste, dem sie selbst fliegende Wechsel beibrachte. Mit 20 gewann sie mit Kasper die finnische Meisterschaft für Senioren.
Mit dem dänischen Wallach Piccolo fuhr sie 1980 als Achtzehnjährige das erste Mal zu den Olympischen Spielen nach Moskau. Über viele Seiten werden die einzelnen Pferde vorgestellt, mit denen sie in ihrer sehr langen Karriere international für Aufsehen gesorgt hat. Den Abschluss bildet Max, mit dem sie 2008 in Hongkong startete.
Auch ihre Lehrmeister werden in einem eigenen Kapitel gewürdigt, unter ihnen auch einige deutsche, etwa Herbert Rehbein:
| Herbert Rehbein ist für mich das Idealbild des Reiters. Er saß mit einer unglaublichen Stabilität im Sattel. Wenn er mein Pferd oder die Pferde anderer Schüler ritt, sah man das sie viel besser gehen konnten, und das inspirierte uns, immer besser zu werden. Seine Koordination der Hilfebegebung war phänomenal, und das Gefühl auf einem Pferd, das er zuvor geritten hatte, verlieh der Reitkunst eine neue Dimension. Ich habe noch immer ein "mentales Bild" davon, wie er zu Pferde saß, und wenn ich ein Problem habe, versuche ich, dieses mentale Bild nachzuahmen. a.a.O., Seite 203 | | |
Im Nachwort spricht Kyra Kyrklund noch einmal selbst und zitiert den bekannten Spruch: "Reiten lernt man nur durch Reiten" und beteuert, dass sie nicht behaupten wolle, den goldenen Schlüssel gefunden zu haben. Allerdings hofft sie doch sehr, dass dieses Buch anderen Reitern hilft, ihren Pferden besser gerecht zu werden. Ein Stichwortverzeichnis beschließt das Buch.
Wer sich für Dressur interessiert, sollte dieses Buch sorgfältig studieren.
erschienen 08.11.09
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