| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | Meine Meinung zu dem Buch: von › Gerd Hebrang
Auf der Rückseite des über 1 kg schweren Buches, dessen Format in etwa dem eines Blattes A4 entspricht, finden sich drei Abbildungen: Oben steht ein Pferd in einer veterinärmedizinischen Praxis, deren Wand bis oben hin gekachelt ist, in der Mitte sieht man ein eindrucksvolles Diagramm mit zwei Kurven, einer gewaltigen gelben mit einem dramatischen Ausschlag nach unten und einer unscheinbaren grünen am unteren Rand, die man leicht übersieht. Und unten das Foto eines Organs, in diesem Fall wird es das Herz sein, schön rot und relativ unblutig.
Ein solches Behandlungszimmer sieht man als Pferdehalter nicht häufig, da im Regelfall der Tierarzt einen Weide- oder Hausbesuch macht - es ist einfacher, den Tierarzt zum Pferd zu bringen als umgekehrt. Zweimal in meinem Leben habe ich ein und dasselbe Pferd in dieselbe Klinik gebracht und kenne also ein solches Pferdebehandlungszimmer aus persönlicher Anschauung. Es wirkte auf mich wie eine Garage, genauso gemütlich und anheimelnd. Ob man dort kardiologische Untersuchungen hätte machen können, kann ich nicht sagen, da in unserem Fall so etwas nicht nötig war.
Die Autoren dieses Bandes sind, so meine ich aufgrund der beruflichen Positionen schließen zu können, die besten Kräfte unseres Landes, zusammengesucht aus den führenden Hochschulen in Hannover, München und Leipzig, ergänzt durch ein führendes Mitglied der Praxisfraktion und der Anwaltschaft, beide natürlich spezialisiert auf das betreffende Thema.
Dieses Buch wendet sich natürlich nicht an Laien, sondern an den praktischen Tierarzt, den Studierenden der Tiermedizin und den kardiologisch interessierten Pferdetierarzt. Es will einen Überblick über die Grundlagen der kardiologischen Diagnostik und die Möglichkeiten weiterführender Untersuchungen und Therapieverfahren beim Pferd geben. Die Durchführung der entsprechenden Untersuchungen, die Diagnose und die Therapie bleiben dann vermutlich Spezialisten vorbehalten.
Pferde werden für die unterschiedlichsten Zwecke gezüchtet; besonders Hochleistungspferde kosten sehr viel Geld, und wenn diese dann die von ihnen erwarteten sportlichen Leistungen nicht oder nicht mehr, unter Umständen sogar plötzlich, erbringen können, wird zunächst der praktische Tierarzt konsultiert. Nach den Erkrankungen des Bewegungsapparates und der Atemwege sind Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Apparats die häufigste Ursache für einen Leistungsabfall. Der Tierarzt soll dann klären, ob eine Herzerkrankung vorliegt, ob diese angeboren oder erworben ist, ob sie mit Herzrhythmusstörungen einhergeht oder nicht, wie man die Erkrankung gegebenenfalls behandeln kann.
Darüber informiert dieses Buch anschaulich mit zahlreichen Illustrationen und Fallbeispielen. Die Pferdekardiologie hat sich nach Aussage der Herausgeberin innerhalb der Inneren Medizin des Pferdes in den letzten Jahren sehr stark weiterentwickelt. Dieses Buch stellt die kardiologische Diagnostik, insbesondere die echokardiografischen Untersuchungstechniken und die Herzkatheteruntersuchung dar. Die Echokardiographie wird inzwischen nicht nur in speziell ausgestatteten Kliniken, sondern auch in vielen Pferdepraxen angeboten und durchgeführt, da es mittlerweile moderne, tragbare Echokardiographiegeräte mit einer hohen Auflösung gibt, die man im Stall einsetzen kann.
Es geht bei den Untersuchungen natürlich nicht nur darum, einen schon vorhandenen Schaden zu diagnostizieren, sondern auch frühzeitig drohende Schäden zu erkennen; diese Aufgabe wird durch eine Vielzahl von Untersuchungstechniken hinsichtlich der Beurteilung von Schweregrad und Prognose erleichtert. Trotzdem bleibt die Beurteilung besonders bei gering- und mittelschweren Herzveränderungen beziehungsweise Funktionsstörungen schwierig; deshalb ist diesem Thema ein gesondertes Kapitel gewidmet worden.
Auch Fragen hinsichtlich der Therapie, ob eine solche möglich und sinnvoll ist, insbesondere bei Notfällen, der Medikamentenauswahl, der Dosierung und der Applikationsart werden in einem gesonderten Kapitel behandelt. Auch die praktische Bedeutung der Kardiologie im Rahmen der Kaufuntersuchung wird besprochen und mit Fallbeispielen veranschaulicht.
Das Buch ist in zwei Teile unterteilt: 1. Die kardiologische Untersuchung, 2. Kardiovaskuläre Erkrankungen.
Im ersten Teil wird zunächst die Anatomie diskutiert: Aufbau und Lage des Herzens, Herzbeutel und Herzwand, Herzskelett, Herzklappen, herznahe Gefäße. Im zweiten Abschnitt folgt die Physiologie: Allgemeine Aspekte des Blutkreislaufes, Arbeitsphasen des Herzens, kardiale Reizbildung und Erregungsleitung, Regulation der Herztätigkeit, Physiologie des Herz--Kreislauf-Systems unter Belastung, Einfluss von Training auf das Herz, hormonelle Regulationsmechanismen des Herz-Kreislauf-Systems. Abschnitt drei ist der Diagnostik von Herzerkrankung gewidmet: Leitsymptome kardialer Erkrankungen (dazu gehören Leistungsabfall, Leistungsschwäche, plötzliches Stürzen, Niedergehen), klinische Herz-Kreislauf-Untersuchung, Untersuchung des Atmungsapparates im Rahmen der Herz-Kreislauf-Untersuchung. Abschnitt vier ist der weiterführende Diagnostik gewidmet: Elektrokardiographie, Ultraschalluntersuchung des Herzens, Herzkatheteruntersuchung, physiologische Füllungsdrücke, Messung, thorakale Diagnostik, Labordiagnostik.
Im zweiten Teil werden zunächst die kardialen Erkrankungen diskutiert: Angeborene Herzerkrankungen und erworbene Herzerkrankungen. Im zweiten Abschnitt geht es um die Herzrhythmusstörungen: Physiologische Herzarrhythmien sowie pathologische Herzarrhythmien. Der dritte Abschnitt ist der Pharmakotherapie gewidmet: Arzneimittelrechtliche Grundsätze, herzwirksame Medikamente, kreislaufwirksame Pharmaka, Regulatoren des Wasser- und Elektrolythaushaltes. Der nächste Abschnitt heißt Beurteilung kardiologischer Erkrankungen: Schweregradbeurteilung und prognostische Einschätzung, Verlaufsuntersuchungen bei Herzklappeninsuffizienzen. Dann kommt der Abschnitt Fallbeispiele, 10 insgesamt. Schließlich forensische Aspekte bei der kardiologischen Untersuchung: Herzbefunde im Rahmen der Kaufuntersuchung, Fallbeispiele forensischer Sachverhalte und Gutachterbeurteilungen. Der vorletzte Abschnitt heißt kardiovaskuläre Zwischenfälle bei Sedierung und Narkose und enthält nur einen Abschnitt: Narkosekomplikationen mit sechs Unterabschnitten, von Hypotension bis Herzstillstand. Der letzte Abschnitt heißt Gefäßerkrankungen: Gefäßthrombosen, sonstige Gefäßerkrankungen, sonografische Untersuchungen bei Gefäßerkrankungen und Therapie von Gefäßerkrankungen. Den Abschluss bildet das Stichwortregister.
Je nach Wert eines Pferdes und dessen gesundheitlicher Problematik dürfte sich die Anschaffung dieses Buches auch für einen Pferdehalter lohnen. Zumindest könnte er den Bemühungen seines Tierarztes besser folgen. Das Buch könnte aber auch schon im Vorfeld nützlich sein, bevor nämlich das betreffende Pferd erworben wurde. Denn bei einem Rechtsstreit ist wesentlich, ob ein Mangel schon zum Zeitpunkt der Übergabe vorlag. Dazu einige Fallbeispiele: Der erste juristische Fall des Buches diskutiert, ob ein Herzgeräusch, das fünf Monate nach Übergabe zufällig bei einer Routineuntersuchung entdeckt worden ist, schon bei Übergabe vorhanden war. Die Sache wird vor Gericht behandelt und gutachterlich untersucht. Der Gutachter bestätigt die Beobachtung des Tierarztes und stellt fest, dass das Herzgeräusch beim Verkauf des Pferdes nicht vorhanden gewesen sein muss.
Die Sache kann aber komplizierter werden. Im Rahmen einer Kaufuntersuchung wird ein Herzgeräusch festgestellt, woraufhin der Käufer vom Kauf zurücktritt. 10 Tage später wird das Pferd erneut von einem anderen Tierarzt untersucht, der kein Herzgeräusch feststellt. Daraufhin macht der Besitzer gegenüber dem ersten Tierarzt Schadensersatzansprüche geltend. Es stellt sich heraus, dass die Kaufuntersuchung im Gegensatz zur normalen ärztlichen Tätigkeit, die als Dienstvertrag gewertet wird, ein Werkvertrag ist. Es wird also ein konkreter Erfolg, das heißt hier die Erstellung eines „richtigen“ Gutachtens am Tag der Untersuchung, geschuldet. Trotzdem ging die Forderung fehl, da der Tierarzt korrekt aufgeklärt und zu einer weiteren Untersuchung geraten hatte, die dann vermutlich ergeben hätte, dass kein Herzfehler vorliegt. Herzgeräusche können auch ohne pathologischen Herzklappenbefund phasenweise auftreten.
Das letzte der acht Fallbeispiele ist vor dem Bundesgerichtshof gelandet. Ein Absetzer wurde über eine Auktion verkauft. Zweieinhalb Jahre später wurde ein Herzgeräusch festgestellt, das vom Gutachter auf einen angeborenen Defekt zurückgeführt werden konnte. Trotz gegenteiliger Auktionsbedingungen konnte der Ersteigerer das Fohlen aufgrund der gesundheitlichen Problematik zurückgeben. Kardiologische Probleme beschäftigen die Gerichte aber relativ selten; trotzdem sollte auch dieser Bereich bei einer Kaufuntersuchung sorgfältig untersucht und dokumentiert werden.
Die Literatur ist den jeweiligen Kapiteln zugeordnet, die Fotos sind häufig von Grafiken überlagert, die es dem Leser erleichtern sollen, die wesentlichen Einsichten zu gewinnen. Alle Kapitel sind von den jeweiligen Autoren gekennzeichnet.
Sollten Sie als Pferdebesitzer sich zum Kauf dieses Buches entschließen, würde ich mich nicht wundern, wenn Sie das Buch nicht nur durchblättern, sondern sich an vielen Stellen nachgerade festlesen.
erschienen 10.10.10
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