| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | 02.12.2007
Usertreffen
Haben Sie in letzter Zeit auch merkwürdige E-Mails erhalten? Mit Betreffs wie "Usertreffen" oder "Einladung zu unserem Netzwerk" oder "Man erwartet Sie auf dem Fest" oder "das sollten sie gesehen haben"?
Das sind deutsche Spam-E-Mails, und die sprachlichen Schwächen, die darin vorkommen, gehen nicht über das Maß hinaus, das heutzutage für Muttersprachler üblich ist. Der Text ist in allen Fällen derselbe. Es beginnt immer mit einer Art zusätzlichem Betreff: "Zusatzeinnahmen". Dann geht es korrekt weiter: "Sehr geehrte Damen und Herren", anschließend allerdings ein bißchen zu vertraulich:
| wir gehen einfach mal davon aus, dass Sie sicher eine Videokamera haben. Wenn nicht, tut es auch Ihr Handy oder ein Digi-Fotoapparat. | | |
Nanu? Worauf wollen die hinaus?
| Sie werden sicher denken, was soll denn das nun sein? Schauen Sie selbst:
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Ich habe die betreffende Adresse hier unkenntlich gemacht, denn ich möchte deren Popularität nicht durch einen zusätzlichen Link auf deren Seite erhöhen und meine Seite dadurch gleichzeitig in Mißkredit bringen. Die Seite gehört zu einer von der Sorte, die neulich Schlagzeilen gemacht hat: » Jugendschützer träumen vom Minderjährigen-Internet, » Arcor blockiert Zugang zu Youporn.
Zensur
Ich habe keine Ahnung, wie man auf diese Weise Geld verdienen können soll, aber anscheinend gibt es eine Menge Leute, die schmutzige Videos von sich selbst oder ihren Freunden drehen und diese ins Internet stellen. Diese E-Mail suggeriert, daß man das auch gerne tun möchte oder sogar schon tut und lädt dazu ein, die Machwerke auf ihre Seite zu laden.
Und dann gibt es eine Menge Leute, die sich diese Videos anschauen. Das finde ich interessant. Zum Jugendschutz kann ich wenig sagen - wenn ich an meine eigene Jugend zurückdenke, wäre ich vermutlich vor allem schockiert gewesen. Hätte mich so etwas verderben können? Vermutlich nicht.
Es ist nichts Neues, daß die Menschen im Internet nach Schmuddelkram suchen. Google hatte eine Hitliste - ich habe sie mir nie angeschaut, nur darüber gelesen, und weiß auch nicht, ob sie noch existiert - sie hieß wohl "Zeitgeist" - wo die ersten Plätze immer von zotigen Ausdrücken belegt waren. Ich weiß auch nicht, ob sich das Interesse der Menschen verändert hat. Wahrscheinlich gibt es gar keine Untersuchungen darüber, aber Pornographie ist kein neues Phänomen. Heutzutage ist nur der Zugang einfach.
Als man vor 30, 40 Jahren die Haltung in Bezug auf Pornographie änderte, glaubten manche das Ende des Abendlandes gekommen. Heute werden sogar die Rundfunkzeitungen immer freizügiger, an die Nackedeis in der Bild-Zeitung haben sich alle gewöhnt, die Kontaktanzeigen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, das Fernsehen ist auch nicht mehr jugendfrei, wieso sollte ausgerechnet das Internet eine saubere Zone sein?
Es stellt sich heraus, daß dieses Urteil von einem Mitbewerber erzwungen wurde. Deutsche Produzenten von Schmuddelkram müssen nämlich sicherstellen, daß ihre Besucher volljährig sind. Diese Rechtslage kann man natürlich im Ausland nicht erzwingen, und das ist ein Wettbewerbsnachteil. Deshalb haben diese Kollegen nach einem Hebel gesucht, wie man die Konkurrenz treffen kann. Und der Leidtragende ist der unschuldige Provider, der es jetzt richten soll. Kann das richtig sein?
Freizügigkeit
Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Wer Kinder in die Welt setzt, ist sich dessen wahrscheinlich mehr oder weniger bewußt. Man muß ja nicht gleich bei einem Verkehrsunfall umkommen, Kriege und Bombenanschläge sind bei uns inzwischen glücklicherweise ziemlich unwahrscheinlich, aber auch sonst gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich zu ruinieren. Zum Beispiel durch ganz einfachen Alkoholismus.
Ob man dieser Gefahr dadurch begegnen kann, daß man Jugendlichen den öffentlichen Zugang zu Alkohol verbietet, kann ich nicht beurteilen, aber ich fürchte, daß der Schutz nur vordergründig ist. Wer an Alkohol kommen will, hat vermutlich keine großen Probleme. Alkohol ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Alleine der Kampf um das Verbot des Rauchens in der Öffentlichkeit zeigt, was auf einen zukommen würde, wenn man die Konsequenzen des Alkohols in ähnlicher Weise bekämpfen würde.
Nun kann man argumentieren, daß das Rauchverbot nicht zum Schutze der Raucher, sondern zum Schutze der Nichtraucher erlassen wurde, und daß ein Alkoholiker nur sich selbst schädigt, nicht seine Mitmenschen, und daß jeder sich nach Belieben schädigen darf. Man kann das körperlich oder auch seelisch verstehen. Niemand hindert einen, seine Zeit mit Killerspielen oder Horrorfilmen zu verbringen, und auch an gedruckten Machwerken dieser Richtung ist ja kein Mangel. Und zwar deshalb nicht, weil die Menschen danach verlangen. Solche Sachen werden gerne gekauft, man zieht sie sich gerne rein, ohne zu bedenken, welche Auswirkungen das auf Körper oder Seele hat.
Seelenheil
Seele? Wer redet heute noch davon? Höchstens irgendwelche Katholiken, oder? Dabei wird doch niemand abstreiten, daß Menschen etwas anderes sind als Maschinen, daß wir mehr sind als ein Haufen Atome und Moleküle, Blutbahnen und Nervenleitungen, Herz und Gehirn. Zwar hat noch niemand die Seele gefunden, der einen Menschen aufgeschnitten hat, aber was will das heißen? Das Leben ist ja nun mal eine Tatsache, und auch das findet man nicht, wenn man jemanden seziert.
Wenn jemand "ich" sagt, bezieht er sich auf etwas, das nicht sein Körper ist. Da sind wir uns einig, denn sonst wäre zum Beispiel die Organtransplantation nicht gut zu rechtfertigen. Das "Ich" wird durch das fremde Ersatzteil in keiner Weise berührt, selbst wenn es ein Herz ist. Das Eigentliche des Menschen, das ich probehalber mit Seele bezeichnen möchte, ist unabhängig davon. Beim Tode bleibt das Herz zurück und alles andere auch, aber das Leben und die Seele und das "Ich" sind verschwunden.
Merkwürdigerweise gibt es auch so etwas wie ein "Gewissen". Und bei den meisten funktioniert dieses ganz gut. Dieses Gewissen sagt, was gut und böse ist, was der Seele zuträglich und abträglich, und deshalb darf es nicht verwundern, daß jemand, der sich selbst ruiniert, der etwas tut, was ihm nicht gut tut, dies durchaus weiß. Wenn dem so ist: darf man ihn davon abhalten? Oder muß er da durch und diese Erfahrung machen, muß er so weit gehen, daß er sein Tun anschließend bedauert?
Offensichtlich muß nicht jeder alles ausprobieren. Die meisten Menschen müssen beispielsweise niemanden umbringen, um zu wissen, daß man niemanden töten darf. Es ist für sie keine Frage, daß Mord, selbst Totschlag - ein feiner juristischer Unterschied - und sogar fahrlässige Tötung eine schwere Bürde sind, die sie sich auf keinen Fall aufhalsen möchten.
Erfahrungen
Andere Sachen scheinen aber einen unwiderstehlichen Reiz auszuüben. So wundere ich mich immer wieder, mit welcher Wollust sich zum Beispiel die Journalisten von Spiegel Online auf alkohol- und/oder drogenkranke Stars stürzen und fasziniert davon berichten, als handele es sich um heldenhafte Taten, als wären die betroffenen Vorbilder und Helden, nicht nur für unsere Jugend, sondern auch für die Erwachsenen. In gleicher Weise werden die abartigsten Themen zur Sexualität hochstilisiert. Je perverser, desto interessanter. Irgend jemand hat sogar schon geschrieben, daß man heute im Grunde schwul oder lesbisch sein müsse, am besten bi, sonst gelte man als uninteressant.
Dann, so denke ich mir, müssen die Betreffenden wohl diese Erfahrungen machen. Und wenn sie diese Erfahrungen virtuell machen, indem sie einen Roman lesen oder ein Video schauen, ist die Gefahr für sie selbst wahrscheinlich noch am geringsten - wenn man sich wirklich ins Gewühl stürzt, ist ja zum Beispiel die Gefahr, sich eine schwere Geschlechtskrankheit zuzuziehen, nicht abwegig.
Warum aber manche Menschen manche Erfahrungen unbedingt machen müssen und andere nicht, ist mir unbekannt. Glücklicherweise muß ich das auch nicht herausfinden. Ich betrachte deshalb die betreffenden Spam-E-Mails mit einer gewissen Belustigung. Mal was Neues! Auch eine Aussage über unsere Gesellschaft und meine Mitmenschen. Die letzte E-Mail hatte übrigens einen etwas verkürzten Text. Der Betreff lautete: "Diese Einladung ist an Sie gerichtet".
| Martina schickt Ihnen diesen Link:
www.**********.com
Es gibt nichts zu gewinnen, aber umso mehr zu verdienen. Man sagt, probieren geht auch ohne studieren. | | |
Tja, sie probieren es halt. Kost ja nichts. Das Geschäftsmodell habe ich immer noch nicht verstanden. Vielleicht will man durch kostenlose Angebote zahlende Kunden für die zahlungspflichtigen Pornoseiten fangen. Die Pornoindustrie hat ja bekanntlich als erste herausgefunden, wie man mit dem Internet Geld verdienen kann. Das ist einfach ein Geschäft, und wie bei jedem Geschäft, muß man sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Das hört nie auf.
| | Chefredakteur und Herausgeber | | | |
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