Auch andere Pferdebesitzer, die ebenfalls eine sehr enge Beziehung zu ihren Tieren haben, konnten sich bei verändertem Gang "unbemerkt" nähern, ohne erkannt zu werden. Lediglich in einem Fall hat ein als Fohlen großgezogenes Pferd derart reagiert, daß es mehr oder weniger irritiert auf die Bezugsperson zugelaufen ist, allerdings ohne eine weitere Gefühlsäußerung zu zeigen. Vielleicht war es nur Neugierde, vielleicht war es auch ein teilweises Erkennen anhand der Gesichtsmimik oder der Armbewegungen. Nach einer Normalisierung der Bewegungen folgte in allen Fällen sofort das gewohnte Begrüßungsritual durch die Pferde. Ein ähnliches Verhalten zeigt Eddy bezüglich anderer Bewegungsmuster, wenn er mich durch Hab-Acht-Stellung beim Spaziergang oder beim Spiel auf der Weide auf seine optischen Wahrnehmungen hinweisen will. Eddy erwartet, daß ich auch in die betreffende Richtung blicke und ihm erkläre, was da zu sehen ist. Als Kinder im hohen Gras herumrobbten, ließ Eddy weder "Wauwau" noch "Miezekatze" gelten, erst nachdem ich die Kinder gesehen und er den Begriff "Kinder" gehört hatte, fraß er weiter. Ein anderes Mal war es nicht der optische Reiz durch einen "Traktor" in 500 Meter Entfernung, sondern das nur Ameisengroße "Pferd" am Horizont, das es zu erkennen galt. Und bei den langsamen Bewegungen eines alten Herrn in Nachbars Garten ließ er meine Behauptung "Mann" nicht gelten. Nach zwei Minuten teilte mir Eddy mit: "Das ist kein Mann". Wieder zwei Minuten später in der dritten Runde einigten wir uns schließlich auf "Opa" - und Eddy war zufrieden. Ein Kind wäre sicher mit dem Begriff Mann, bzw. alter Mann einverstanden gewesen, weil für uns Menschen der optische Eindruck von Details zählt. Einzelne Details, Äußerlichkeiten wie Kleidung etc. werden höher bewertet als ein Gesamteindruck. Eddy hingegen hat offenbar meine Erklärungen stets den Bewegungsmustern zugeordnet � und deshalb konnte diese dahinschleichende Gestalt seiner Meinung nach kein "Mann" sein � trotz aller anderen Ähnlichkeiten aus menschlicher Sicht. Eine in der Wiese schlafende oder eine für den Mäusefang sprungbereite Katze in Lauerstellung scheint Eddy trotz meines Hinweises "Da ist eine Mietzekatze" nicht ernsthaft wahrzunehmen, auch wenn er vom Grasen kurz aufschaut. Eine Bewegung von dieser Katze � und Eddy reagiert sofort "Huch, Mietzekatze im Futter". Bei langsamen Bewegungen gewinne ich in der Regel das Spiel "Ich seh�s zuerst" wie etwa bei den Schiffen auf dem Kanal. Aber bei im Gebüsch schleichenden Mietzekatzen oder in der Ferne fahrenden Radlern habe ich keine Chance. Und wenn Eddys Hinweis nur indirekt über das Ohrenspiel erfolgt und ich dies mit "Da ist nichts" kommentiere, dann folgt unfairer Weise eine 180-Grad-Wendung und ein direkter Hinweis mit Kopf und Augen auf irgendwelche, nur Zentimeter große Fußgänger hinter meinem Rücken. Einen Zechbruder, der unseren Weg bei einem Spaziergang kreuzte, verfolgte Eddy mit Argusaugen. Da jener Herr offenbar etwas über den Durst getrunken hatte, schien ihm ab und zu sein Gleichgewichtssinn einen Streich zu spielen � unmotiviert wankte er von einer Straßenseite auf die andere � stets aufmerksam mit verständnislosem Blick von Eddy beobachtet � dieses Bewegungsmuster war ihm offenbar fremd und passte keinesfalls zu dem Bewegungsmuster Mann, so wie er es kannte. Bei einem der anfänglichen Ausritte mit dem "Wildpferd" Eddy kamen wir zufällig an einem Wohnhaus mit einer Glastüre vorbei, die aufgrund des Lichteinfalles wie ein Spiegel wirkte. Wir waren noch nicht vollständig an dieser Türe vorbei, als Eddy plötzlich laut wieherte und sich anschickte, eine Kehrtwendung zu machen, um den Artgenossen begrüßen zu können. Ich ließ Eddy gewähren und das Bewegungsmuster Pferd ergründen � vielleicht war es Eddy�s erstes bewußt wahrgenommenes Spiegelbild in seinem Leben. Eddy verlor jedenfalls relativ rasch das Interesse an seinem Spiegelbild � und schenkte fortan auch anderen Spiegelbildern wie etwa in der Reithalle keine erkennbare Beachtung mehr. Für mich ist dies ein Beweis, daß Eddy sehr wohl zwischen einem flachem Bild der eigenen Gestalt und einem dreidimensionalen Eindruck beim Betrachten mit beiden Augen unterscheiden kann. Obgleich Pferde die Umgebung mit einem phantastischen Photogedächtnis speichern und auch kleine Änderungen sofort erkennen können, scheinen die einzelne Bilddetails meist nur untergeordnete Bedeutung zu haben; neue Objekte, egal welcher Art, und Bewegungen erregen die Aufmerksamkeit. Sicher haben auch einfache und charakteristische "starre" Bildmuster einen Erkennungswert. Pferdeäpfel üben eine magische Anziehungskraft auf Eddy aus. Aber bei dunklen Dreckhaufen "sieht" Eddy seinen Irrtum immer erst nach kurzer Schnüffelprobe ein, während ich bereits ab 3 Meter Entfernung eindeutig erkennen kann, daß es sich nicht um Pferdeäpfel handelt. Eddy vertraut den optischen Reizen, die von "starren" Gegenständen ausgehen, nur bedingt, alles im Nahbereich muß zusätzlich � soweit möglich � beschnüffelt und betastet werden, ganz so, als ob er im Nahbereich nicht scharf sehen kann.
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