Bärenjagd
Unbekannt, Thrakien Zierbeschlag, Ausschnitt Silber, vergoldeten, Höhe 5 cm Schatzfund von Letniza, Bezirk Lowetsch 400 -350 v. Chr. Historisches Bezirksmuseum Lowetsch ( )
In der letzten Woche hatten wir uns ein erstaunliches Ensemble angeschaut: vier Zierbeschläge für ein Pferdegeschirr ( ). Der Katalog der Ausstellung wimmelt von Beschlagteilen für Zaumzeug, Geschirre und Wagen. Ich habe nicht gezählt, aber mir scheint fast, als gäbe es davon viel mehr als von Schmuckstücken wie Ohrringen, Armreifen und dergleichen (siehe z. B. Ohrstecker in ).
Manche dieser Zierbeschläge sind als mehr oder weniger komplizierte geometrische Figuren gestaltet; im Film habe ich eine ähnlich einfache zeitgenössische Verzierung am Zaumzeug eines Kaltblüters gesehen - so etwas gibt es also heute noch. Sehr viele, vielleicht die meisten dieser Beschläge sind jedoch darstellend gestaltet, wie dieses Beispiel.
Die Gruppe der Beschläge der letzten Woche erzählte einen Mythos nach und war deshalb verständlich. Diese Szene hingegen könnte einfach eine Jagd beschreiben. Es gibt aber sehr viele ähnliche Stücke, die sich nicht so einfach deuten lassen. Im Abschnitt des letzten Beitrags habe ich erwähnt, daß eine bulgarische Wissenschaftlerin genau diese Reiter entschlüsseln möchte. Ob sie Erfolg gehabt hat, ist mir nicht bekannt.
Kommentar Von › Gerd Hebrang
Bei der hier vorstellten Arbeit handelt es sich um eines der Highlights der Ausstellung, denn sie ist auf dem Rückumschlag abgebildet. Der Katalog beschreibt das Fundstück wie folgt:
| Unregelmäßige Form; teilweise von Eierstab umrandet, der von den Figuren unterbrochen wird. Dargestellt ist ein Reiter im Kampf mit einem Bären. Auf seinem Hengst sitzende, schwingt er die Lanze mit der rechten Hand, während er mit der linken die Zügel hält. Er trägt ein Panzerhemd und Beinschienen mit Menschenmaske am Knie. Diese erinnern an den Fund von Wraza. Unter dem Pferd liegt ein Wolf auf dem Rücken. | | |
Der Reiter scheint von den Füßen bis zum Hals in Metall gerüstet zu sein. Insbesondere trägt er Beinschienen mit einem abschreckenden Gesicht als Abschluß über dem Knie (siehe ). Die Rüstung mag auf der Jagd nach gefährlichen Tieren sinnvoll sein, die Maske wird allerdings unwirksam sein. Aber auch das mag noch hingehen, denn dem Ritter ist nicht zuzumuten, für Jagd und Krieg jeweils zwei vollständige Rüstungen vorrätig zu halten.
Pferd und Reiter sind stereotyp gestaltet; die Figur der letzten Woche ist ganz ähnlich. Insbesondere wiederholen sich die Auffälligkeiten am Pferd, etwa der deutlich gezeichnete Schlauch oder die Schmuckteile an den Beinen. Die Reiterfigur wiederholt sich gleichermaßen auf vielen Plaketten, die Randfiguren aber ändern sich. In der letzten Woche gab es gar keine zusätzlichen Figuren, der Hintergrund war ornamental ausgefüllt. Hier sind zwei wilde Tiere hinzugefügt, deren Jagd lebensgefährlich sein kann.
Die Szene ist also durchaus realistisch gestaltet. Man kann sich vorstellen, daß der Ritter zunächst den Wolf erlegt hat und nun dem Bären nach dem Leben trachtet. Dieser richtet sich auf, greift nach einem Pferdebein und droht das Pferd in den Kopf zu beißen. Mit dem Angriff auf das Bein mag das Schicksal des Pferdes schon besiegelt sein, aber das Leben des Bären ist ebenfalls zu Ende, denn die Lanze berührt schon den Kopf und der Ritter wird den Bären in der nächsten Sekunde zermalmen.
Der Reiter
Auf Seite 142 des Katalogs werden z. B. die nebenstehenden Zierbeschläge abgebildet und mit dürren Worten beschrieben:
| Unregelmäßige Form; dargestellt ist ein Reiter, der eine Lanze schwingt; hinter ihm ein Pferdekopf.
Rechteckig; Reiter mit Lanze in der linken Hand, mit Panzerhemd und kurzem Bart. Hinter ihm ein Menschenkopf. | | |
Beim ersten Exemplar konnte man auf den ersten Blick an einen Ausschnitt denken; in diesem Falle wäre der Reiter vielleicht Teil einer Armee, der nächste Reiter würde folgen und der Pferdekopf als Teil des Ganzen stehen. Das ist aber nicht der Fall, denn der Hals des Pferdes ist ganz klar abgeschnitten. Man sieht übrigens bei diesem Kopf sehr deutlich beide Ohren, was ein Kennzeichen der thrakischen Pferdedarstellung zu sein scheint; in den anderen Fällen ist es nicht immer so deutlich.
Die Augen sind immer von vorne gesehen und als Mandeln gestaltet; lediglich ein Auge wird gezeigt. Es liegt sozusagen das kubistische Prinzip vor: der Künstler zeigt, was er weiß, und nicht etwa, was er sieht. So erarbeiten sich übrigens kleine Kinder die Welt: sie zeichnen, was sie wissen. Picasso hat nach dem Ersten Weltkrieg dieses Prinzip noch weitergetrieben und im Profil beide Augen eingetragen. Damals revolutionär, heute selbstverständlich, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe ( ).
Was weiß der Künstler im Fall des abgeschnittenen Pferdekopfes? Der Archäologe hat offensichtlich keine Ahnung. Die zweite Plakette ist noch merkwürdiger. Hier reitet der Reiter nach rechts. Das mag nicht weiter verwundern, aber die gesamte Gestaltung ist einfach spiegelverkehrt, d. h. der Reiter hält nun die Lanze in der linken Hand und den Zügel in der rechten. Auch das kann vielleicht erklärt werden durch die Bildgestaltung, denn andernfalls müßte der Lanzenarm vorne liegen, der Zügelarm hinten, was weniger überzeugend wirken würde.
Nun aber der Menschenkopf! Dieser ist ebenfalls abgeschnitten, liegt waagerecht, mit der Nase nach unten. Leider ist die Abbildung nicht farbig, aber ich könnte mir vorstellen, daß die Nase insgesamt goldüberzogen ist. In der letzten Woche hatte ich mich gewundert und vermutet, daß der "Bräutigam" unserer Hochzeit einen Helm auf habe, weil die Nase so klobig und golden ist. Dabei hatte ich übersehen, daß die Nase der "Braut" genauso gestaltet ist.
Hier besteht kein Zweifel: es sind Haare dargestellt und ein Bart, definitiv kein Helm. Der Mann Hand seinen Mund geöffnet, und nur eine Deutung ergibt von der Gestaltung her Sinn - der Mann ruft. Vielleicht stößt er auch einen Schrei aus, auf jeden Fall erzeugt er einen Laut. Nun sind die Augen nicht besonders individuell gestaltet, sondern vielmehr genauso stereotyp wie sonst auch, aber in diesem Zusammenhang wirkt der Blick wie angsterfüllt. Demnach würde es sich um einen Schreckensschrei handeln, oder aber auch um einen Kampfschrei, der das Entsetzen übertönen und den Kämpfer mit Mut erfüllen soll.
Was aber noch mehr auffällt: dieser Kopf ist viel größer als der Kopf des Reiters. Und das trifft auch auf den abgeschnittenen Kopf des Pferdes zu. Dieser ist ebenfalls deutlich größer als der des Pferdes, das als Reittier dient.
Relative Größe ist aber im Sinne der konstruktiven Kunst ist signifikant. Je größer desto mächtiger, desto heiliger, desto jenseitiger. Damit hätten wir einen Ansatz, der den Torso erklären würde, denn in diesem Falle würde ein Teil für das Ganze stehen können. Der Pferdekopf würde also ein heiliges Pferd bezeichnen, der Menschenkopf einen heiligen Menschen oder einen Gott.
Innen und außen
Wenngleich die Einzelheiten manchmal etwas summarisch behandelt sind, kann man doch erkennen, daß der zum Schrei geöffnete Mund zu dieser Art Symbol gehört wie der erhobene Lanzenarm oder andere Einzelheiten.
Eine wurfbereite Lanze deutet auf eine Situation hin, in der es auf den richtigen Augenblick ankommt und wo es kein Zurück gibt. Der Reiter hat nur einen Wurf, und der muß sitzen. Der Kampf mit Wolf und Bär könnte real oder aber auch symbolisch gemeint sein - in jedem Fall geht es auf Leben und Tod. Das ist der typische Höhepunkt eines Kriegerlebens, der Moment, auf den es ankommt.
Der Krieger darf weder zu früh noch zu spät handeln, und wenn er handelt, muß er alles geben. Die Thraker waren Krieger; für einen freien Mann geziemte es sich nicht, zu arbeiten. Wer kämpft, riskiert sein Leben, das entsprechend kurz ausfallen könnte. Nun sollen die Thraker die Neugeborenen beweint haben, weil diese ja ein Leben voller Mühsal vor sich hatten, während die Verstorbenen mit Fröhlichkeit zu Grabe getragen wurden, weil ein wunderbares Leben nach dem Tode auf sie wartete.
Demnach müßte der Tod süß und eine besondere Vorsicht unangebracht gewesen sein. So einfach war es aber wohl nicht. In allen mir bekannten Religionen ist es nicht zulässig, sein Leben selbst zu verkürzen. Möglicherweise gibt es auch so etwas wie eine allgemeine Todesangst, unabhängig vom Glaubenssystem. Jedenfalls ist es üblich, sich gegen Gefahren durch Anrufung höherer Mächte zu schützen.
In diesem Sinne könnte man die abgeschnittenen Köpfe als Beschwörung göttlicher Mächte deuten, die den Reiter und vermutlich auch sein Pferd beschützen sollten. Und nun sind wir auf einer Spur, die die eingangs betrachtete Szene in einem neuen Licht erscheinen läßt.
Die Lesart "Jagdschilderung" ist vordergründig und bequem. Es stellt sich die Frage, ob diese Leute die Illustration eines Jagdausflugs für würdig genug gehalten haben, um damit das Geschirr ihres Pferdes zu schmücken. Vermutlich nicht.
Was stellt diese Szene dann dar? Der Ausschnitt mit den Köpfen des Bären und des Pferdes zeigt eine Intensität, die den Tieren eigentlich nicht gemäß ist. Bär und Pferd stehen Auge in Auge gegenüber, haben das Maul aufgerissen, die Zähne gefletscht - es geht für beide ebenfalls um Leben oder Tod. Das aber ist eine unrealistische Situation. Ein Pferd würde niemals einen Bären angreifen und umgekehrt, es sei denn, der Bär wäre in die Enge getrieben und müßte sich durch den Angriff verteidigen.
Die in unserer westlichen Tradition überaus häufigen Drachenkämpfe deuten an, daß es sich vielleicht nicht um einen realen Kampf handelt, sondern um einen symbolischen, den Kampf gegen das Ungeheuer, gegen das absolut Böse, das es aus dieser Welt auszurotten gilt. Dieser grundsätzliche Kampf Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß, Held gegen Antiheld, ist auch in der heutigen Seele noch so lebendig und faszinierend, daß Hollywood nicht müde wird, einen Neuaufguß nach dem anderen zu produzieren. Auf allen Fernsehkanälen geht es immer wieder darum, dem Guten zum endgültigen Sieg zu verhelfen.
Selbstverständlich findet dieser Kampf nicht außen statt, sondern innen. Der Held, d. h. Jedermann, kämpft ständig diesen Kampf des Guten gegen das Böse im Inneren. Die Seele weiß genau, was gut und böse ist, und findet ihr Heil in der Entscheidung zum Guten. Ein Bösewicht nach dem anderen muß erledigt werden, der Wolf, der Bär, der Drache und was dergleichen finstere Gestalten noch sind, die die Seele in Versuchung führen wollen.
Übrigens hatten die Thraker schon so etwas wie ein hannoversches Sperrhalfter, wenn ich das Bild richtig lese. Ein Sattel scheint aber noch unbekannt gewesen zu sein, von Steigbügeln ganz zu schweigen. Mit anderen Worten: Die Thraker ritten wie die Teufel, wenn sie aus vollem Galopp den Speer ins Ziel bringen konnten.
Fotos
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