Fohlen
Unbekannt, Deutschland Bildhauer bei der Arbeit 1936, Foto, Privatbesitz Witwe des Künstlers
Der Bildhauer bei der Arbeit am Modell für das Fohlen. Wer hätte das gedacht: der Künstler holt sich das Modell in die Werkstatt!
Und da ein Fohlen nicht so lange dürsten will, wird die Mutter kurzerhand gleich mit eingeladen.
Der oder die Fotograf/in hält nun den Moment fest, da das Fohlen nachtanken muß.
Werner Gürtner, 1907 - 1991 Gebürtig aus Speyer, ist Gürtner mit zwei Jahren nach Überlingen am Bodensee gekommen. Dort hat er von 1923-1928 eine Lehre und Gesellenzeit als Holzbildhauer absolviert. Von 1928-1932 hat er in München an der Akademie für angewandte Kunst studiert und sich 1934 in Überlingen als Bildhauer niedergelassen. Seine Arbeiten, überwiegend aus Bronze, sind im ganzen Bodenseeraum verbreitet.
Kommentar Von Werner Stürenburg
Dieses Foto ist interessant in mehrerlei Hinsicht: es ist erst einmal anekdotisch, es erzählt eine kleine Geschichte, die amüsant ist: das Modell labt sich.
Darüber hinaus zeigt sie den Bildhauer in Aktion. Man sieht seine Werkstatt, man sieht seine Arbeit. Nun möchte man fragen, was der Bildhauer macht, wenn das Fohlen gerade einmal nicht Modell stehen kann. Genau dieser Moment ist erfaßt.
Das Foto zeigt den Bildhauer in einer eigenartigen Haltung, die fast nach einer eingefrorenen Tanzbewegung aussieht. Er hat die Augen dazu geschlossen und schaut auf den Boden, weg von der Skulptur. Ist das nicht eigenartig?
Würde man nicht erwarten, daß der Bildhauer sich entspannt, von seiner Arbeit abläßt, den Fotografen anlächelt, sich vielleicht sogar hinsetzt, die Unterbrechung als willkommen hinnimmt?
Reflektion
| | | | John de Andrea, Ausschnitt Bildhauer und Modell Museum Ludwig, Köln | | | | | | | | | John de Andrea Bildhauer und Modell Nahansicht Bildhauer | | | | | | Das erinnert mich an eine Skulptur in Köln, die einen anderen Bildhauer bei der Arbeit zeigt. Dargestellt ist ebenfalls der Moment, wie der Bildhauer inne hält, also gerade nicht arbeitet.
Er entspannt sich auch nicht, ist vielmehr konzentriert, nicht auf das Abbild, nicht auf das Vorbild, sondern auf eine Art Innenschau, die nicht einmal konkret sein müßte. Die Arbeit des Bildhauers nämlich geht weit darüber hinaus, ein Vorbild abzubilden.
Wenn es in der Kunst damit getan wäre, Vorbilder abzubilden, würde jedes Foto Kunst produzieren, und eine perfekte dreidimensionale Reproduktion würde automatisch eine perfekte Skulptur sein.
Das ist jedoch nicht der Fall. Kunst weist auf etwas, das nicht automatisch sichtbar ist, man kann sogar sagen, daß Kunst genau das ist, was nicht unmittelbar sichtbar ist.
Um ein anderes Beispiel zu bringen: wer klassische Musik als lebendige Kunst darbringen will, muß natürlich zunächst einmal die technischen Fähigkeiten dazu besitzen. Das ist eine notwendige Bedingung, wie der Mathematiker sagt.
Diese Bedingung ist jedoch nicht hinreichend, was sagen soll, daß jemand, der die Noten so spielen kann, wie sie auf dem Blatt stehen, noch lange kein großer Künstler ist. Da fängt die Kunst erst an.
Diese hinreichenden Bedingungen sind meines Wissens noch nirgendwo vernünftig beschrieben worden. Immerhin gibt es Hinweise. So hat vor vielleicht 20 Jahren eine Amerikanerin mit einer Arbeit promoviert, die in Deutschland unter dem Titel "Garantiert zeichnen lernen" veröffentlicht worden ist.
Darin weist sie nach, daß die Fähigkeit des Zeichnens genauso entwickelt werden kann wie die Fähigkeit des Rechnens, Schreibens oder aller anderen Techniken, die heute das Curriculum der Schulen ausmachen.
Hinsichtlich des Zeichnens setzt sie an der eigenen Beobachtung an, daß sie nicht gleichzeitig reden und zeichnen kann. Zufällig hatte man etwa zu dieser Zeit herausbekommen, daß die beiden Gehirnhälften sehr unterschiedlich arbeiten und für verschiedene Dinge zuständig sind.
So stellte sich heraus, daß man für das Reden die linke Gehirnhälfte braucht, für das Zeichnen jedoch die rechte. Der Prozeß des Umschaltens ist nun der Trick, der es ihr ermöglicht, jedermann die Kunst des realistischen Zeichnens beizubringen.
Die rechte Gehirnhälfte weiß nämlich genau über Proportionen Bescheid. Man muß sie nur machen lassen. Mit Hilfe dieser Fähigkeiten können wir, selbst auf große Entfernungen hin, Leute unterscheiden und wiedererkennen. Wir wären aber nicht in der Lage, die Gründe dafür sprachlich anzugeben.
So stellte sie fest, daß alle Künstler irgendwie davon wissen, denn man fühlt sich vollkommen anders, wenn man rechts lebt, und dieses Gefühl ist oft genug beschrieben worden, was ja auch kein Wunder ist, wenn es sich so verhält.
Nun wissen wir also, wer da arbeitet, wenn jemand seine Kunst ausübt. Wir wissen aber immer noch nicht, was die Kunst eigentlich ist, denn wir haben damit wieder nur die notwendige Bedingung beschrieben.
Von der hinreichenden haben wir immer weiterhin Ahnung, und da der Autorin auch jegliche persönliche Erfahrung fehlte, konnte sie keine Auskunft geben.
Mysterium
Der Jazzmusiker Miles Davis war dafür bekannt, daß er aus seinen Mitmusikern Leistungen herausholte, die diese in anderen Formationen nicht brachten. Was war sein Geheimnis?
Er brachte die Musiker in einen Zustand, in dem sie über sich hinaus wuchsen. Wenn man sich Liveaufnahmen aus den 70er und 80er Jahren anschaut oder anhört, fällt auf, daß das Konzert mit einem ungeheuren Druck und Tempo beginnt. Und wenn alle so richtig in Fahrt sind, wird der Dampf weggenommen und die Musik läuft himmlisch.
In einem Interview hat der amerikanische Gitarrist Henry Kaiser neulich gesagt, daß es die Absicht von Miles gewesen sei, "to make the magic happen", also das Geheimnis regieren zu lassen. Wie also macht man das, daß eine höhere Gewalt das Besondere geschehen läßt?
Die Skulptur des Fohlens auf dem Foto ist schon recht weit gediehen. Bis es soweit kommen kann, ist viel Handwerkliches vonnöten.
Ein Gerüst muß gebaut werden, welches die grundlegenden Proportionen und Richtungen bereits berücksichtigt, der Ton muß die richtige Konsistenz haben und in ausreichender Menge vorhanden sein, der Körper der Skulptur muß aufgebaut werden - alles relativ grobe Arbeiten, die aber bereits grundlegende Vorentscheidungen treffen, die später nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Wir sehen uns also mit einem Zustand konfrontiert, der der Vollendung entgegen schreitet. Hier kann noch alles schiefgehen oder aber der entscheidende Schliff gelingen. Jetzt entscheidet es sich, welche Qualität das Werk letztendlich haben wird.
Es könnte zum Beispiel einfach kitschig werden, oder ein ungutes Gefühl hinterlassen, als ob irgend etwas nicht stimmen würde, oder es könnte einfach nur rührend wirken, oder unbeholfen, oder nett - kurz: das Entscheidende, die Kunst an der Kunst, würde fehlen.
Insofern wäre der Besuch des Fohlens mit seiner Mutter im Atelier vielleicht eher dazu angetan, die Kräfte zu aktivieren, die dieses Mehr zum Vorschein bringen, als vordergründig dem Bildhauer die reale Erscheinung des Abzubildenden vor Augen zu führen.
Denn um das Gerüst zu bauen, muß der Bildhauer schon die Proportionen berücksichtigen. Er wird also vielleicht Fotos angefertigt haben oder Zeichnungen. Wir haben anläßlich der Skulptur von Leonardo einige Zeichnungen gesehen, die der wirklichen Skulptur vorangegangen sind.
Dieses Foto ist daher viel besser geeignet, das Geheimnis des Kunstschaffens selbst sichtbar zu machen. Der Künstler in Betrachtung des Fohlens, das Fohlen in perfekter Haltung für den Künstler, diese Szenarien wären vermutlich ziemlich langweilig und irreführend.
Übrigens trägt die Stute ein Geschirr. Vielleicht ist also der Besuch rein zufällig. Die Stute mußte natürlich arbeiten und das Fohlen lief mit. Der Bauer wird neugierig gewesen sein, wie weit denn der Künstler mit seiner Arbeit gediehen ist.
So ein Künstler ist doch ein bunter Vogel. Letzten Endes ist er für den Bauern vermutlich unverständlich. Hier aber treffen sich die beiden, denn der Bauer ist auf das Fohlen natürlich sehr stolz. Das zweite Foto zeigt dieses als Modell, der Bauer sorgt dafür, daß es nicht hampelt, er hat sich dafür fein angezogen.
Übrigens kann man an vielen Fotos von Überarbeitungen sehr deutlich erkennen, daß es sich um ein Hengstfohlen handelt. Soweit ich weiß, sind die Pferde, die als Modelle für Skulpturen gedient haben, überwiegend männlich.
| | | | Don Quixote und Sancho Pansa in Madrid | | | | Nur ein Gegenbeispiel fällt mir ein: die Skulptur von Don Quixote und Sancho Pansa auf dem Grand' Place in Brüssel, die ich am Samstag aus dem Augenwinkel gesehen habe. Rosinante ist bekanntlich eine Stute.
Leider hatte ich keinen Fotoapparat dabei, und außerdem war es dunkel und ich hatte keine Zeit. Gerne hätte ich diese Skulptur von allen Seiten fotografiert.
Im Internet habe ich leider keine Abbildung gefunden, aber es gibt nicht nur in Brüssel Skulpturen dieser Helden. Zumindest Rosinante ist mehrfach in Lebensgröße verewigt, und als Kleinplastik natürlich sowieso. Moment mal: ist nicht auch Halla in Bronze gegossen worden? Diese Frage kläre ich aber jetzt nicht mehr.
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