| | Eingangstitel für „Kunstgangarten“ | | | |
In den letzten Ausgaben hatte ich bei meinem Bericht über die DVD › Schulen und Touren der barocken Reitkunst der » Fürstlichen Hofreitschule Bückeburg wiederholt über die Schwierigkeiten geschrieben, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Das liegt an vielen Gründen; beispielsweise werden Dinge, Fähigkeiten und Sachverhalte, die selbstverständlich sind, normalerweise nicht festgehalten, werden also nicht überliefert und sind damit verloren. Andere wiederum werden so beschrieben, dass man daraus nicht recht schlau werden kann.
Oder es werden Bezeichnungen gewählt, die heute nicht mehr üblich sind und man deshalb auf Mutmaßungen angewiesen ist, was damit gemeint sein könnte. Man kann gar nicht anders als diese Beschreibungen mit seinen eigenen Erfahrungen vergleichen und wird dadurch möglicherweise auf eine falsche Fährte geführt. Ein Beispiel ist der Begriff „Stolzer Schritt“ . Was meinten die damit?
| Die kunstvolle Verzierung des Schritts in Form von Spanischem Schritt vermuten einige Experten hinter den Ausführungen über den „Stolzen Schritt“ in historischen Reitanleitungen, der jedoch recht eindeutig die Piaffe meint.
Manuskript | | |
Aus diesem Satz entnehme ich, dass diese Experten ziemlich lange über den Begriff „Stolzer Schritt“ gebrütet haben. Die Sache kann nicht eindeutig gewesen sein, sonst hätte man nicht so lange gerätselt. Die Experten in Bückeburg, so entnehme ich aus diesem Satz außerdem, sind einen Schritt weiter als die genannten Experten: Für sie ist es ganz klar, dass damit etwas ganz anderes gemeint war, oder zumindest ist es ihnen ziemlich klar, denn das Adjektiv „eindeutig“ wird durch die Präposition „recht“ wieder abgeschwächt. Ganz sicher sind sie sich also auch nicht.
Es geht außerdem ja auch nicht nur darum, zu verstehen, was gemeint war, sondern eine Reitkunst wieder aufleben zu lassen, die man als solche ohnehin nur sehr schwer aus Büchern lernen kann. Natürlich lesen Reiter jede Menge Bücher und schreiben zuweilen auch welche, aber die Schwierigkeit besteht bekanntlich genau darin, dass man über das Reiten an sich eigentlich wenig sagen und schreiben kann und auch Fotos nicht wirklich das wiedergeben, worauf es ankommt.
Man kann also die Überlieferung nur als Richtschnur nehmen, genauso wie man Bücher und Filme nur als Richtschnur nehmen kann, um sich in die Sache einzufühlen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, worum es eigentlich überhaupt geht, und davon ausgehend zu versuchen, diese Sache zu erleben, in diesem Falle nachzuerleben. Reiten lernte man nur durch Reiten sagt man, und genau das haben sich wohl die Barockreiter in Bückeburg gesagt: Alles akademische Studium der Bücher ist sinnlos, wenn man die Sache nicht zum Leben erweckt. Man muss also aufs Pferd und versuchen, so zu reiten, wie die damals wohl geritten haben.
Und damit sind wir wieder bei den Texten und Bildern. Denn nur damit kann man sich vergleichen. Und auch hier haben wir wieder gesehen, dass die Bückeburger nicht am Buchstaben oder Bild kleben, sondern Augenmaß walten lassen und sich stets dessen bewusst sind, dass sie im einundzwanzigsten Jahrhundert arbeiten. So wie manche Praktiken der Vergangenheit heute einfach tabu sind, nehmen sie sich auch die Freiheit, Ãœbungen mit in ihr Programm zu nehmen, die es im Barock noch gar nicht gab, etwa die Galoppwechsel, die » François Baucher im neunzehnten Jahrhundert erfunden hatte.
Was versteht man nun unter „Kunstgangarten“ ?
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