| | Springsport um die Jahrhundertwende | | | |
| Zum hundertjährigen Jubiläum hat die FN also allen Grund, zu feiern und zu triumphieren. Dieser Erfolg ist umso bemerkenswerter, als der Anfang unter den genau entgegengesetzten Zeichen stand. Deutsche Reiter versagten im internationalen Vergleich.
Das erste große internationale Militär-Reitturnier der Geschichte, der "Premio Concorso ippico internazionale", wurde 1902 in Turin veranstaltet.
| 147 Offiziere aus sieben Ländern treten in der norditalienischen Stadt zum Kräftemessen an, allen voran die Gastgeber mit 91 Teilnehmern. Von den 30 ersten Preisen fallen 14 an die Italiener, 8 an die Franzosen und 6 an die Offiziere aus Österreich-Ungarn. Die 15 Deutschen kehren nach zehn Wettkampftagen mit einer einzigen Plazierung heim. Kaiser Wilhelm verhängt ob dieser Blamage ein Auslandstartverbot, daß erst 1911 im Vorfeld der ersten olympischen Reiterspiele (1912) aufgerufen werden sollte. Susanne Hennig: 100 Jahre FN | | |
Nun hätte man über die Erkenntnis der mangelnden Leistungsfähigkeit einfach hinweggehen können. Anscheinend ist durch die Niederlage aber doch ein entscheidender Nerv getroffen worden. Der Ehrgeiz der deutschen Pferdezüchter wurde angestachelt.
Das ist überhaupt nicht selbstverständlich und eigentlich auch ganz unerwartet. Nach einer Niederlage mag man die Gründe dafür erforschen wollen. Die deutschen Militärs mußten schon einmal eine empfindliche Niederlage einstecken, nämlich beim militärischen Distanzritt im Oktober 1892 zwischen Berlin und Wien unter Beteiligung des Bündnispartners Österreich-Ungarn. Auch dort triumphierten die Gegner.
Es liegt nahe, die Gründe nicht bei sich, sondern bei den Pferden zu suchen. Selbstverständlich sind die deutschen Militärreiter Spitze, allein die Pferde taugen nichts. Prima, dann muß man ja nichts tun - oder?
| | | Gründungsversammlung, Berliner Central-Hotel "Zum Heidelberger": Verband d. Halbblutzüchter | | | |
| | | Rechts im Bild Initiator Oscar von Funcke | | | |
| Da die Reiterei bis zur Jahrhundertwende der Hauptsache von der Armee, genauer den Offizierskorps, getragen wird, orientiert sich die Pferdezucht fast ausschließlich an militärischen Bedürfnissen. Für Sportzwecke im noch jungen Reit- und Fahrsport sowie auf den Rennenbahnen gilt das deutsche Zuchtprodukt in den Augen vieler Beobachter als weitgehend ungeeignet.
Die Vormachtstellung der Ungarn im Rennsport sowie das schwache Abschneiden der deutschen Offiziere bei Distanzritten und beim Militärreitturnier in Turin - über Jahre lebhaft in der Presse diskutiert - bringen dem deutschen Pferd und insbesondere dem ostpreußischen einen schlechten Ruf ein und bescherte ihm Gegenzug dem ungarischen Pferd einen wahren Triumphzug.
Das ungarische, aber auch das englische Pferd erfreuen sich so großer Wertschätzung, daß sich Pferdehändler nicht scheuen, sogar deutsche Pferde mit heimischem Gestütsbrand als Ausländer zu verkaufen - bis ein studierter Landwirt aus Dresden derartigen Täuschungsmanövern und allen Fehl- und Vorurteilen über die Qualität der deutschen Pferdezucht den Kampf angesagt: Oscar von Funcke.
In Zeitungsartikeln und in seinem 1903 erscheinenden Werk "Das deutsche Halbblutpferd" beleuchtet er die Hintergründe, warum die deutschen Offiziere bei den Distanzritten ihren Konkurrenten unterlägen waren. Mit der angeblichen mangelnden Leistungsfähigkeit des deutschen Pferdes hatte dies nämlich nichts zu tun. Ausschlaggebend waren vielmehr schlechte Vorbereitung auf derartiger Wettbewerbe, schwächere reiterlichen Qualitäten und ungenügende Ausbildung der Pferde.
Energisch treibt von Funcke die Gründung einer Interessenvertretung voran. Am 15. Februar 1905 hat er sein Ziel erreicht, Pferdezüchter und hochrangige Persönlichkeiten heben in Berlin den "Verband der Halbblutzüchter" aus der Taufe. Susanne Hennig: 100 Jahre FN | | |
Auf diese Vereinsgründung führt sich die FN zurück. Deshalb der 15. Februar 2005 als Datum des Festaktes, deshalb die Wahl des Veranstaltungsortes Berlin. Die heutige FN begann als Interessenvertretung von Pferdezüchtern. Auslöser waren Niederlagen im Sport, die zu wirtschaftlichen Einbußen in der Pferdezucht führten.
Heute triumphieren die Deutschen im Sport und in der Pferdezucht ( Eliteauktionen, Weltranglisten, Züchterischer Fortschritt, Zuchtzieldefinition, BLUP und INTERSTALLION). Ursache ist die Verknüpfung von Zucht und Sport, die lange Zeit eigentümlich für Deutschland war und den Grund für den langanhaltenden Erfolg gelegt hat.
Jürgen R. Thumann schreibt als Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V. (FN) im Vorwort zur Pressebroschüre "100 Jahre FN - ein bewegtes Jahrhundert, ein bewegender Moment - 100 Jahre Pferdezucht und Pferdesport in Deutschland" unter anderem:
| Die enge Verbindung von Sport und Zucht, von großen hippologischen Visionären wie Gustav Rau vorangetrieben, ist ursächlich für die "Erfolgsgeschichte Pferdesport" verantwortlich. Um diese Allianz wird Deutschland in der ganzen Welt beneidet. Wie gegenseitig befruchtend die Einheit von Sport und Zucht wirkt, erkennt das Ausland erst Jahrzehnte später. | | |
Quellen
- » Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN)
- » www.pferd-aktuell.de
- » 100 Jahre FN - Pferdesport und zucht im Wandel der Zeit
- NRHA, Ausgabe 294
- 33 Jahre Equitana, Die Weltmesse des Pferdesports, Ausgabe 309
- Feuer, Nebel, Tanz, Wie man dem Publikum den Atem raubt, Ausgabe 312
- Zahlen, Daten, Fakten, Presseunterlagen der FN
- » Industrieboss Thumann zum Jobgipfel: "Entscheidend ist, was am Ende rauskommt" - Wirtschaft - SPIEGEL ONLINE
- » Nach Lob am Jobgipfel: Thumann erntet Kritik von Verbandskollegen - Wirtschaft - SPIEGEL ONLINE
- » Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des Festaktes zum 100-jährigen Bestehen der FN
- Susanne Hennig: 100 Jahre FN, Presseunterlagen der FN
- Eliteauktionen, Hannoveraner als Beispiel moderner Zuchtpolitik, Ausgabe 304
- Weltranglisten, World Breeding Federation for Sport Horses, Ausgabe 305
- Züchterischer Fortschritt, Kann man die Zucht planmäßig verbessern? Ausgabe 306
- Zuchtzieldefinition, Was ist ein Hannoveraner? Ausgabe 307
- BLUP und INTERSTALLION, Zucht mit wissenschaftlichen Daten, Ausgabe 308
| |
Fotos
© Quelle: Privatarchiv H. Munzendorf
| |