Generell fällt auf, daß die Pferde durchweg unglaublich massige Hufe haben. Die auffälligsten Unterschiede liegen in der Färbung. Palominos, Falben, Schecken, Schimmel - Hauptsache bunt. Selbstverständlich handelt es sich ausschließlich um Hengste, die sich entsprechend gebaren. Zum Teil sind zwei Pferde in einem Bild dargestellt, die natürlich miteinander kämpfen.
In der Mitte ein Bild, das sich mir ohne weiteres nicht erschließen will. Links oben thront Gottvater (oder Zeus?), angetan mit einer Code, auf einer Wolke, die von einem Adler getragen wird. Diesem flattert ein Pegasus entgegen, der offenbar seinen jugendlichen Reiter, ausgerüstet mit Krone und Schwert, abgeworfen hat, welcher infolgedessen in die Tiefe stürzt, geradewegs kopfüber in das Maul eines schrecklichen Drachen links unten.
Der Pferdeführer hat seine Mühe mit dem sich aufbäumenden Hengst. Er ist mit einer Art Lendenschurz bekleidet und trägt zusätzlich eine reich bestickte Decke (es könnte auch ein Mantel sein). Der Mann hat die Statur eines Ringers und den Kopf eines Philosophen. Nach Pferdeknecht sieht er eigentlich nicht aus.
Der Hengst hat eine unglaubliche Mähne und einen phantastischen Schweif. So wie die gemalten Pferde auch, die sich wie ein Barbie-Pferd dem anderen gleichen (vielleicht blättern Sie noch einmal zum Eingangsbild zurück - dort kann man Schweif und Mähne vorzüglich bewundern).
Wenn ich recht sehe, besitzt auch dieser Hengst eine vollständige Zahnreihe nach menschlichem Muster. Die Lücke in den Zähnen der Pferde ist nun wirklich nicht schwer zu beobachten und wird bekanntlich für die Zäumung ausgenutzt.
Desto mehr wundert es mich, daß über die Jahrhunderte hinweg reihenweise Kunstwerke geschaffen worden sind, die Pferde mit lückenlosen Gebissen zeigen. Das deutet darauf hin, daß die Künstler mehr voneinander als von der Natur abgemalt haben.
Wenn ich recht darüber nachdenke, leuchtet mir das sogar ein. Kunst und Kultur wird überliefert, muß gelernt werden wie ein Vokabular. Die Zahlen, die Buchstaben, lesen, rechnen, schreiben. Wir übersetzen Zeichen in Bedeutung.
Alle Kulturen, die nicht naturalistisch gearbeitet haben, haben ihre Botschaften genauso übermittelt wie wir heutigen, die wir mit der Fotografie arbeiten. Sehr häufig stellt die Fotografie das dar, was wir auch mit Augen sehen. Es wäre aber fatal, wenn man meinen würde, die Fotografie gäbe die Wirklichkeit ungeschminkt und ungefiltert wieder.
Die Künstler des Kubismus hatten es sich sogar zur Aufgabe gemacht, die bildliche Darstellung wieder auf ein primitives Vokabular von Zeichen zurückzuführen. Selbstverständlich gaben sie gleichzeitig die naturalistische Arbeit auf. Zähne sind in diesem Sinne einfach ein Wort in einem Vokabular. Wer will da schon genau hinschauen?
Nehmen wir die Hufe, zum Beispiel. Ich hatte bemerkt, daß die Hufe sich alle bemerkenswert ähneln. Sind sie aber einem wirklichen Huf ähnlich? Ich weiß es nicht. Dazu müßte ich selbst genau hinschauen. Zwar weiß ich, wie individuelle Hufe aussehen, aber ich kann nicht ausschließen, daß es Hufe gibt, die so aussehen wie auf diesen Bildern.
Und dann die Gangarten: Bis es die Fotografie gab mit der Möglichkeit, Serienbilder zu schießen, wußte kein Mensch, wie ein Pferd galoppiert. Die Pferdebeine bewegen sich einfach zu schnell, als daß das Auge die Bewegung im einzelnen erfassen könnte. Wir haben uns deshalb daran gewöhnt, daß die Künstler dafür gewissermaßen eine Metapher erfunden haben, die wir eben als Galopp lesen.
Trotzdem: das mit den Zähnen will mir nicht einleuchten. Zähne liegen offen zutage und sind leicht zu untersuchen. Warum sollten Pferde ein Menschengebiß haben? Vielleicht komme ich eines Tages nochmal drauf, oder jemand steckt mir ein Licht auf.
Quellen / Verweise
Fotos © › Gerd Hebrang
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