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Editorial zu Ausgabe 644 | |||||||||||||||||||||||||||
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Fachleute Ein beträchtlicher Teil, das ganze letzte Kapitel, des in dieser Woche besprochenen Buches › Junges Pferd - was nun? ist der Frage gewidmet, warum man einen Fachmann braucht, wie man einen Fachmann findet, wie man gute von schlechten Fachleuten unterscheidet, was die Inanspruchnahme eines Fachmanns kostet und wie man sich vertraglich gegen Enttäuschungen absichert. Das Buch ist von jemandem geschrieben, der mit Fug und Recht selbst als Fachmann gelten kann. Nun darf man von Fachleuten erwarten, dass sie ihre Grenzen kennen und wissen, wann sie selber Fachleute in Anspruch nehmen müssen oder sollten. Alternativ könnten sie natürlich auch ihr Wissen erweitern und den Ehrgeiz entwickeln, auch auf Gebieten Fachmann zu werden, auf denen sie es bisher nicht sind. Diese Frage stellt sich hier in der Tat, denn die Autorin hat sich in das Gebiet, auf dem sie selbst als Expertin gelten darf, selbst eingearbeitet und dort Erfolge erzielt, die Fachleute vermutlich nicht hätten erarbeiten können. Warum also diese Bescheidenheit an dieser Stelle, diese Selbstbeschränkung? Die Autorin beantwortet die naheliegende Frage, ob man sein Jungpferd selbst anreiten sollte, negativ mit der Begründung, dass beim Anreiten sehr viel schief gehen kann. Das ist zweifellos richtig, aber gerade sie hat doch gezeigt, dass sie aus einem vollkommen verdorbenen Pferd ein berühmtes Showpferd machen konnte - weshalb ist sie nicht bereit, das Risiko einzugehen? Denn offensichtlich hat sie ihr Jungpferd von einer Kollegin einreiten lassen, für die sie ganz nebenbei kräftig Reklame macht. Kollegenschelte Aber nicht nur das - sie prangert auch, ohne Namen zu nennen, Missstände in allen Disziplinen des Reitsports mit deutlichen Worten an und gibt zu, dass sie selbst „schon viel zu viel Pfusch mit jungen Pferden gesehen hatte“ . Einer der Gründe, warum sie ihr Pferd nicht selbst angeritten hat, ist die Nachbarschaft. Sie konnte sich von der Kompetenz ihrer Kollegin immer wieder überzeugen. Ein weiterer Grund war deren Ãœberlegenheit im Bereich Erfahrung und Fachkompetenz - das überzeugt mich nun weniger. Erfahrung und Kompetenz muss man sich erwerben, und wenn man Fachleute in Anspruch nimmt, lässt man diese Chance ungenutzt. Die Fachleute können es, man selber wird es nicht lernen. Als dritten Grund, der vielleicht der entscheidende war, nennt sie gesundheitliche Gründe - „weil ich aus gesundheitlichen Gründen Starlight unter dem Sattel nicht so weit hätte fördern können, wie es seinem Potenzial entspricht“ (alles Seite 116). Das klingt toll, aber ist es toll? Was ist das Potenzial des Pferdes? Und warum muss man das Pferd weiter fördern, als man es selbst später nutzen kann? Und überhaupt: Was hat das Anreiten mit dem Potenzial zu tun? Das Buch erhebt nicht den Anspruch, das Anreiten vermitteln zu wollen - der Untertitel lautet „Kreative Erziehung mit Spaß und Verstand“ . Insofern löst das Buch seinen Anspruch ein. Dennoch verbleibt ein ungutes Gefühl. Und das Buch endet auch damit, dass dieses ungute Gefühl beschrieben wird, denn ein Jungpferd wird in unserer Welt zu einer Art Familienmitglied, das man dann weggibt, für längere Zeit, für wie lange, lässt sie offen. Sie spricht von einem Jahr, wobei nicht ganz klar ist, ob dies das Jahr bei der Trainerin ist oder das Jahr, seit das Pferd ihr gehört, was wenig plausibel erscheint, da sie ja die ersten beiden Jahre beschreibt und das Pferd anscheinend mit neun Monaten angekauft hat. Ein Jahr lang Kosten zwischen 500 und 1000 €, das kann die Autorin anscheinend nicht weiter schrecken, da er ja im zweiten Jahr schon Kosten von über 7000 € locker einkalkuliert worden sind. Haftung Ãœberhaupt sieht sie in ihrer Kostenkalkulation grundsätzlich Stunden beim Profi vor. Nun gut, sie ist selbst Profi und lebt vielleicht davon, anderen zu helfen. Das ist das Wesen des Expertentums. Der Fachmann verkauft sein Wissen und seine Fertigkeiten und seine Zeit und gegebenenfalls seine Einrichtung und deren Möglichkeiten an diejenigen, die diese Dienstleistung brauchen oder auch sonst in Anspruch nehmen wollen. Was mir an dem Gerüst zum Ausbildungsvertrag fehlt, ist das, was in jedem Vertrag hineingehört: Was passiert, wenn gegen Vereinbarungen des Vertrages verstoßen wird? Was passiert, wenn vereinbarte Leistungen nicht oder nicht in dem beschriebenen Umfang erbracht werden? Die Autorin sieht lediglich vor, dass der Kunde das Recht zur sofortigen Kündigung des Vertrages erhält. Das ist aber ein bisschen wenig, wenn man sich vor Augen hält, dass sie schon jede Menge Pfusch gesehen haben will. Das bedeutet ja lediglich, dass der Kunde das Recht bekommt, die Dienstleistung nicht weiter in Anspruch nehmen zu wollen und damit auch von der weiteren Zahlung freigestellt zu werden. Der entstandene Schaden wird überhaupt nicht beziffert und der Experte wird nicht zur Rechenschaft gezogen. Sollte er sich etwas zu Schulden kommen lassen, muss er nicht haften. Ein solcher Vertrag ist fantastisch für den Experten. Sollte es Ärger geben, ist er höchstens einen Kunden los, das war's dann aber auch schon. Und selbst darauf muss er sich nicht einlassen, wenn er sich auf den Standpunkt stellt, dass der Kunde seine Rechte doch bitte schön einklagen solle. Darauf hat die Autorin nämlich Wert gelegt: Der Gerichtsstand müsse vereinbart werden. Sie rechnet also damit, dass es Ärger in einem Umfang geben kann, der schließlich vor Gericht ausgefochten werden muss. Unter diesen Umständen muss man sich doch wirklich fragen, ob die Ratschläge zur Vertragsgestaltung nicht einseitig zu Gunsten der Dienstleister ausfallen. Wenn mein Pferd beim Ausbilder verdorben wird, habe ich nicht nur Geld verloren, sondern auch ein gutes Pferd, denn wenn ich mich nach den Regeln des Buches gerichtet habe, habe ich ein vielversprechendes Fohlen erworben und dieses in mühevoller Arbeit zwei Jahre lang auf das Anreiten vorbereitet. Diese Kosten und Mühen werden durch den Ausbilder im schlimmsten Fall zunichte gemacht. Ob man das Pferd überhaupt und mit welchem Aufwand wieder „geradebiegen“ kann, ist die Frage. Vertragsstrafe In jeden Vertrag, also auch in den Ausbildungsvertrag, gehört eine Vertragsstrafe, das heißt die Vereinbarung darüber, was passiert, wenn die Dinge nicht so laufen, wie beide Parteien sich das bei Vertragsabschluss vorstellen. Ein Rechtsanwalt, der es wissen müsste, hat mir vor vielen Jahren einmal folgendes gesagt: „Wenn alles gutgeht, braucht man keinen Vertrag. Wenn man einen Vertrag hat, kann man sich damit höchstens vor Gericht streiten.“ Mit anderen Worten: In dem Moment, wo ich einen Vertrag schließe, rechne ich schon mit der Möglichkeit, dass ich mich mit dem Vertragspartner vor Gericht streiten muss. Wenn ich schon so weit denke, dann sollte ich dafür sorgen, dass ich vor Gericht auch wirklich etwas in der Hand habe. Es geht nämlich vor Gericht nicht darum, wer Recht hat, sondern nur um das Geld. Wenn der Ausbilder mein Pferd verdorben hat und der Vertrag in dieser Hinsicht nichts hergibt, brauche ich ihn erst gar nicht zu verklagen. Einen Gutachter zu bestellen, der dann nachträglich feststellen soll, welcher materielle Schaden durch den Pfusch des Ausbilders, den man vermutlich auch gar nicht zweifelsfrei nachweisen kann, entstanden ist, ist selbst wieder ein Risiko, dessen Ausgang nicht absehbar ist. Selbstverständlich freuen sich die beteiligten Rechtsanwälte, Gutachter und letzten Endes auch Richter, obwohl die ja als Beamte weniger direkt davon profitieren, über unzureichende Verträge, die viel Spielraum für fruchtlosen Streit hergeben. Ist der Vertrag allerdings so gestaltet, dass beim Fehlverhalten des Ausbilders beziehungsweise bei unerfreulichen, unzureichenden oder unbefriedigenden Resultaten keinerlei Zweifel über die Feststellung und die Konsequenzen der Vertragsverletzung bestehen, kann man sich den Gang zum Gericht und die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten und Gutachtern ersparen, da er es ja überhaupt nichts zu streiten gibt. Wie man einen Ausbildungsvertrag so gestalten könnte, dass dieses Ziel erreicht wird, ist allerdings eine spannende Frage. Wer noch gar keinen oder nur wenig Pfusch erlebt hat, wird nicht in der Lage sein, einen solchen wasserdichten Vertrag zu formulieren. Auch Rechtsanwälte, die auf diesem Gebiet viel Erfahrung haben, sind vielleicht nicht die richtigen, die man hier fragen könnte, weil die unter Pfusch vermutlich nicht das verstehen, was ein Pferdefachmann oder der Besitzer darunter verstehen würde. Das Rechtswesen ist immer nur Reaktion auf das, was passiert. Man muss also viel Pfusch erlebt haben, bevor man sich gegen alle Eventualitäten wappnen kann. Spam Der Spam der Woche: Mut zur Lücke! Haiku
Spruchweisheit » Die Vision - unmöglich?
» Im Ãœbrigen bin ich der Meinung, dass das » Bandbreitenmodell eingeführt werden muß, und zwar global. |
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