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Editorial zu Ausgabe 602

W. Popken im Fenster

   
W. Popken im Fenster
Selbstportrait 08/2004
   
   
10.10.2010

Wissenschaft

Ich liebe die Wissenschaft. Es ist einfach fantastisch, was Wissenschaftler in ein paar 100 Jahren herausgefunden haben. Das Tempo der Entdeckungen nimmt immer noch zu. Es ist atemberaubend, was die Wissenschaft jeden Tag entdeckt. Natürlich ist Wissenschaft mühsam und entsetzlich langweilig. Wenn man sich vorstellt, welche Mühen die Chemiker des 19. Jahrhunderts auf sich genommen haben, als sie ganz allmählich die Grundlagen der heutigen Chemie legten und die Eigenschaften der elementaren Stoffe herauspräparierten, muss einem dieser Leistung noch viel größer erscheinen. Und heute mühen sich alleine Tausende von Wissenschaftlern am CERN in Genf seit Dutzenden von Jahren mit gewaltigen finanziellen Anstrengungen, dem subatomaren Bereich die letzten Geheimnisse zu entlocken.

Natürlich sind diese Ergebnisse aus dem Wunsch entstanden, aus Dreck Gold machen zu können. Magie stand am Anfang der Wissenschaft, das Unwissen führte zum Wissen, möglicherweise unvermeidlich. Noch heute ist die überwiegende Mehrzahl aller Menschen eher der Magie zugeneigt als der Wissenschaft. Jede obskure fantastische Behauptung bekommt mehr Zulauf als die nüchternen Methoden der Wissenschaften, was jeder weiß, der sich ein wenig mit medizinischen Problemen beschäftigt hat. Ich stelle mir vor, dass Mediziner enorme Bauchschmerzen bekommen, wenn sie sich vorstellen, welchen Quacksalbern ihre Patienten sonst noch nachlaufen - aber da fällt mir sofort ein, dass es genügend Mediziner gibt, die selber solchen obskuren Theorien und Methoden anhängen.

Die Menschheit hat also noch einiges vor sich, aber angesichts des Tempos, mit dem die Wissenschaften durch die letzten zwei Jahrhunderte gefegt sind, habe ich keine Bedenken, dass irgendwann auch der letzte begriffen haben muss, dass man mit Voodoo wenig erreicht. Man darf natürlich nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und verkennen, dass die Wirklichkeit um ein Vielfaches komplizierter ist als die Wissenschaft dies zu jedem beliebigen Zeitpunkt glauben machen möchte. Das ist gerade das Schöne an der Sache: Mit jeder neuen Erkenntnis der Wissenschaftler wird deutlich, wie primitiv das bis dahin gültige Weltbild war. Dass dies für das jeweils gültige Weltbild ebenso gelten muss, liegt auf der Hand. Von daher glaube ich nicht, dass wir jemals verstehen werden, wie die Welt funktioniert, aber doch jedenfalls genug, um damit gut umgehen zu können.



Krankheit

In einer idealen Welt gäbe es keine Krankheit. Aber nicht nur wir Menschen werden krank, auch die Tiere und Pflanzen. Dabei geht es nicht eigentlich um einen Kampf - wenn wir krank werden und Bakterien oder Viren die Ursache sind, kann man mit Fug und Recht sagen, dass unser Organismus sich mit den Erregern noch nicht gut genug arrangiert hat, was eben durch die Krankheitssymptome zum Ausdruck kommt. Man kann sogar behaupten, dass das Leben selbst eine Symbiose darstellt aus verschiedenen Organismen; so könnten wir überhaupt nicht leben ohne eine Vielzahl von Lebewesen, die für uns beispielsweise wichtige Nahrungsbestandteile aufschließen. Das nennt man Symbiose, und gewöhnlich hat eine solche Symbiose Vorteile für beide Parteien.

Davon wussten unsere Vorfahren vor wenigen Generationen rein gar nichts. Im Hauptartikel dieser Woche geht es um eine Symbiose zwischen Gräsern und Pilzen, die unter Umständen Pferden gefährlich werden kann. Die beteiligten Giftstoffe sind denen des Mutterkorns sehr ähnlich, unter dem im Mittelalter und noch bis in die Neuzeit die Menschheit sehr gelitten hat, ohne zu wissen, was der Auslöser ist. Wie schrecklich muss es sein, totkrank zu sein und entsetzlich zu leiden und nichts anderes tun zu können als Kerzen anzuzünden und Heilige anzuflehen. Wie gut, dass wir heute in Zeiten leben, wo unbekannte, neue schreckliche Krankheiten wie AIDS innerhalb von Jahrzehnten erkannt und behandelt werden können.

Trotzdem bleibt noch viel zu tun; die Versuche, einzelne Krankheiten vollständig auszurotten, sind bisher allesamt gescheitert, obwohl die Anstrengungen im Prinzip durchaus hätten Erfolg haben können. Es sind natürlich auch noch nicht alle Krankheiten heilbar. Es sind noch nicht einmal alle Krankheiten verstanden. Es bleibt also noch viel zu tun. Eins aber ist sicher. Die so genannten alternativen Methoden werden dazu nichts beitragen. Das ist Voodoo. Voodoo kann möglicherweise Wunder vollbringen. Wunder soll es ja geben. Nur ist es sehr schwer, ein Wunder zu dokumentieren, und so gut wie unmöglich, ein Wunder zu wiederholen. Aber der Glaube beruhigt ungemein. Und das ist ja auch etwas.



Komplexität

Der Hauptartikel dieser Woche und auch die Rezension geben einen Einblick in die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft, aber auch eine Vorstellung von der Komplexität der Realität, vor allen Dingen wenn es sich um Phänomene handelt, die die Grenzen der Wissenschaft überschreiten. Tiere fressen Pflanzen, Tiere werden krank, Tierärzte kümmern sich um kranke Tiere. Wenn die Tiere durch Pflanzen krank werden, stellt sich die Frage, ob die Tierärzte dazu etwas sagen, ob sie es überhaupt erkennen können. Denn die Biologie ist ein völlig anderes Fach, und obwohl es bekanntermaßen giftige Pflanzen gibt, muss die Veterinärmedizin darauf vertrauen, dass die Tiere das schon wissen und die für sie giftigen Pflanzen meiden.

Was aber nun, wenn an sich harmlose Pflanzen, die sogar die Grundnahrung darstellen, plötzlich krankmachen? Dann ist interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt. Dann werden Biologen gebraucht, die sich mit den Tieren beschäftigen wollen, die die von ihnen untersuchten Pflanzen fressen, und Veterinärmediziner, die mehr über die Pflanzen wissen wollen, die die von ihnen betreuten Tiere gefressen haben könnten. Aber nicht nur Biologen sind gefragt, sondern auch Chemiker und Pharmazeutiker, denn die Pflanzen sind im Verein mit Pilzen (was eigentlich schon wieder eine völlig andere Sorte ist) enorm gute Chemiker und produzieren jede Menge Substanzen, die sowohl Gutes als auch Böses anrichten können.

Das hatte die Menschheit freilich schon vor langer Zeit herausgefunden und sich zunutze gemacht, ohne über die Hintergründe groß nachzudenken, vermutlich einfach durch Versuch und Irrtum; aber vielleicht gibt es auch noch bisher völlig unerkannte Kräfte, denn manchmal kann man beobachten, dass Tiere ganz gezielt nach Mineralien oder Pfanzen suchen, um sich selbst zu medikamentieren. Wir kennen das ja von uns selbst auch. Angefangen vom Hungergefühl über den Heißhunger auf saure Gurken oder sonst irgendetwas, mit dem man uns zu anderen Zeiten jagen könnte, bis hin zu dem spontanen Gefühl der Übelkeit oder des Erbrechens bei Gerüchten oder Geschmäckern, die uns nie Probleme bereitet haben, aber unter bestimmten Umständen oder Situationen plötzlich unerträglich sind. Die Welt ist trotz aller Erkenntnis immer noch ein großes Rätsel. Und sie wird es vermutlich auch immer bleiben.



Spam

Der Spam der Woche: Lust auf Abenteuer?

 




Haiku

  1. Wissenschaft ist toll.
    Die Welt ist so wundersam.
    Man staunt immer mehr.


  2. Ein paar Minuten.
    Sie möchten uns kontaktieren.
    Billiger sein kann.


Chefredakteur und Herausgeber

   
Chefredakteur und Herausgeber
   
   




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