| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | Meine Meinung zu dem Buch: von › Werner Popken
Vor fünf Jahren kam die erste Auflage dieses Buches heraus und wurde von mir in Ausgabe 285 der Pferdezeitung positiv gewürdigt (› Rezension). Nun also eine Neuausgabe, die als neue Auflage präsentiert wird. Der Verlag behauptet, dass mehr Übungen und Erklärungen beigefügt sind; das kann und will ich im einzelnen nicht nachprüfen.
Meine damalige Besprechung gilt im Grunde auch für die neue Ausgabe, die etwas moderner anmutet; das fängt mit dem Titelbild an und setzt sich durch das Buch fort. Wichtig ist natürlich der Inhalt, der anscheinend, wie die beiden » Rezensionen bei Amazon zeigen, auch für Erwachsene hilfreich und interessant ist.
Es wird nämlich im Grunde nichts vorausgesetzt und in einer sehr einfachen Sprache erklärt, worum es geht. Das ist ja ein Teil des Problems bei Büchern für Reiter: Weil es um ganz spezielle Erfahrungen geht, die im Alltag so nicht vorkommen, wird auch eine spezielle Sprache benutzt, die Reitersprache, die für Außenstehende oft völlig unverständlich ist und in den Büchern meist nicht weiter erklärt wird. Beispiel:
| Der Unterschenkel
Sehr bald in seiner Reitausbildung wirst du einmal etwas über "Schenkelhilfen" hören. Dieser Begriff ist etwas verwirrend. Denn in der Alltagssprache bezeichnen wir häufig den Oberschenkel als "Schenkel". Die Oberschenkel bleiben beim Westernreiten aber fast immer locker und entspannt. Gemeint ist vor allem der Unterschenkel, also das Bein zwischen Knie und Fußknöchel, und dabei vor allem die Wade. Mit diesem Teil des Beines können wir Druck auf den Pferdekörper ausüben. Auch die Ferse und der Absatz des Schuhs gehören in der Reitersprache noch zum Unterschenkel.
Wir haben schon bei der Arbeit mit dem Pferd am Boden gesehen, dass ein Pferd lernen muss, dem Druck eines Fingers zu weichen. Ähnlich ist es auch mit dem Unterschenkel. Drücke ich mit meiner Wade oder meiner Ferse rechts an den Pferdekörper, so soll das Pferd nach links weichen. Drücke ich links, so geht das gut ausgebildete Pferd in die entgegengesetzte Richtung nach rechts. Wie bei der Übung auf Seite 72 oben, kannst Du deinen Unterschenkel an unterschiedlichen Stellen des Pferdekörpers anlegen. Drückst du deine Wade oder deine Ferse etwa am vorderen Sattelgurt gegen den Pferdekörper, so wird ein gutausgebildetes Pferd seinen Schulterbereich und die Vorderbeine (man nennt das die Vorderhand) in die andere Richtung bewegen. Spürt das Pferd den Druck eine Handbreit hinter dem Gurt, so wird sich der Pferdekörper als Ganzes seitlich in die andere Richtung bewegen. Man bewegt die so genannte "Mittelhand". Wenn der Druck des Unterschenkels etwa 2-3 Handbreit hinter dem Vordergurt einwirkt, dann bewegt das Pferd das Hinterteil und die Hinterbeine (also die so genannte Hinterhand) weg von der Druckstelle. Die Schenkelhilfe ist also in erster Linie eine Möglichkeit, (zusammen mit anderen Hilfen, wie wir noch sehen werden) das Pferd sehr fein und genau zu steuern und zu führen. a.a.O., Seite 74,75 | | |
Kein Wunder also, dass auch Erwachsene diese genaue und einfühlsame Beschreibung genießen und darüber in Begeisterung verfallen. Das Buch wird abgeschlossen mit einem Western-Lexikon (englische Begriffe werden in Lautumschreibung wiederholt, so dass man sich ungefähr vorstellen kann, wie man die Worte ausspricht), der Jugendversion der ethischen Grundsätze der FN (wo angesichts der Skandale der letzten Jahre festzustellen ist, dass die FN selbst ihre eigenen Grundsätze nicht ernst zu nehmen gewillt war - was im Westernsport übrigens nicht anders ist, und Ute Holm müsste es ziemlich genau wissen) und einem Register.
| Register
Weißt du, wozu ein Register gut ist? Es hilft dir, im Buch etwas zu finden, das dich gerade besonders interessiert. Nehmen wir mal an, in der Reitstunde übt ihr gerade das Rückwärtsrichten. Und du hast irgendwie nicht ganz verstanden, wie du es machen sollst. Also suchst du hier im Register nach dem Stichwort "Rückwärtsrichten". Auf der Seite, die dazu angegeben wird, findest du dann die Hilfengebung für die Reitaufgabe. Oder jemand spricht von einer Hinterhandwendung und du weißt nichts damit anzufangen. Dann kannst du wieder unter dem Stichwort und der angegebenen Seitenzahlen nachschlagen und findest die Erklärung. a.a.O., Seite 174 | | |
Genau: Alles das sind Kulturtechniken, die man lernen muss. Wie benutzt man ein Buch? Was ist ein Register? Ich werde nie vergessen, wie ein ehemaliger Mitarbeiter, der 1997 schon zwei Jahre Interneterfahrung hatte, auf meine Frage reagierte, was vom Internet zu halten sei.
Er griff zu einem Vergleich. Eine Universitätsbibliothek, so sagte er, halte das gesamte Wissen der Welt in ihren Regalen bereit. Wenn man in der Bibliothek stehe, sei man aber noch genauso dumm. Man müsse sich dieses Wissen erschließen können, also herausfinden, wie man in all diesen Regalen die richtigen Bücher für die Probleme findet, die einen beschäftigen, und aus diesen Büchern dann wiederum das Wissen herausziehen können, das man unbedingt braucht, um zu einer Lösung zu kommen.
Es leuchtet ein, dass man dafür eine gewisse Zeit braucht; Studenten lernen das, sie brauchen diese Techniken als wesentliche Hilfsmittel für ihr Studium. Manche haben das vielleicht schon zuhause gelernt oder in der Schule, die sind dann im Vorteil. Und genauso ist es mit dem Internet. Die Welt liegt einem zu Füßen, wenn man gelernt hat, mit diesem Instrument umzugehen.
Wir wissen inzwischen, dass das Internet unsere Welt enorm bereichert hat; immer wieder ist diese Entwicklung mit der Erfindung des Buchdrucks verglichen worden, die bekanntlich die Welt unglaublich verändert hat, weil dadurch das Wissen zu immer geringeren Kosten in immer höherer Auflage unter die Menschen gebracht werden konnte. Mittlerweile ist klar, dass das Internet die Bücher nicht verdrängen wird; es ist eine Ergänzung, eine Erweiterung, aber kein Ersatz. Ob Bücher in digitaler Form einmal ein Erfolg sein werden, ist im Moment noch unklar. Es ist aber abzusehen, dass auch diese Form der Wissensvermittlung das Buch als Papierobjekt nicht ersetzen wird. Bücher sind eben ganz einzigartig und unvergleichlich.
Kennen Sie den Witz: "Ich weiß gar nicht, was ich ihm schenken soll!" "Schenk ihm doch ein Buch!" "Geht nicht, hat er schon!" Dieser Witz zielt auf diejenigen, die kein Buch besitzen, oder wenn, keine Bücher lesen. Ich fürchte, die meisten Menschen gehören dazu. Wenn sie überhaupt lesen, dann irgendwelche Illustrierten. Das ist schade. Diese Menschen entgeht so viel. Bücher sind etwas ganz Wunderbares, und wenn jemand viele Bücher besitzt und gelesen hat, kann man sicher sein, dass diese Lektüre ihn verändert hat.
Ob diese Veränderung positiv oder negativ war, hängt natürlich von der Qualität der Bücher ab. Selbstverständlich kann man auch viel Unfug zwischen zwei Buchdeckel packen. Neulich habe ich einen Aufsatz in einem Museumskatalog gelesen, in dem der Autor eine Liste von Buchtiteln über Pferdebücher eingeflochten hat, anhand derer schon deutlich wurde, wie sehr sich unser Verhältnis zu Pferden in den letzten 100 Jahren geändert hat. Bücher verändern Bewusstsein, und das veränderte Bewusstsein produziert wiederum andere Bücher.
Dieses Buch ist auf der Höhe der Zeit; es bringt nicht nur viel Verständnis für die Zielgruppe auf, sondern auch für die Pferde. Dass die Realität leider nur allzu oft den darin formulierten Ansprüchen nicht gerecht wird, spricht gegen die Realität, aber nicht gegen das Buch. Wenn das Bewusstsein der nächsten Generation der Reiter durch Bücher wie dieses entwickelt wird, wird sich auch die Realität entsprechend ändern. Wer dieses Buch in seiner Bibliothek hat, ist auf dem richtigen Weg, vor allen Dingen dann, wenn er es liest.
erschienen 15.11.09
Siehe auch die folgenden Rezensionen: Ausgabe 159, Holm, Ute: › Western-Reiten, aber bitte klassisch Ausgabe 285, Holm, Ute / Hummler-Schaufler, Birgit: › Reiten wie ein Cowboy, So wirst du ein guter Western-Reiter Ausgabe 539, Holm, Ute / Steen, Carola : › Westernreiten - Ranchpferde ausbilden und trainieren
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