Die Br�der L�wenherz Ilon Wikland, Schweden Schutzumschlag, Ausschnitt Astrid Lindgren: Die Br�der L�wenherz Einband und Illustrationen von Ilon Wikland Hamburg 1974, Verlag Friedrich Oetinger In den letzten Galeriebeitr�gen habe ich mich mit den grafischen Arbeiten von Ilon Wikland besch�ftigt, soweit sie die Pferde betreffen ( Ronja R�ubertochter, Mio, mein Mio). Beide B�cher behandelten schwere Themen; dies ist bei den Br�dern L�wenherz nicht anders. Es ist ein ausgewachsenes Buch mit 225 Seiten, hat aber bei weitem nicht die Ber�hmtheit erlangt, wie andere B�cher von Astrid Lindgren, etwa Pippi Langstrumpf, die Kinder aus Bullerb�, der Krachmacherstra�e oder Michel aus L�nneberga. Das liegt sicher am Thema. Eine gewisse Verwandtschaft mit "Mio, mein Mio" ist zu erkennen und man geht bestimmt nicht fehl in der Annahme, da� die Autorin sich pers�nlich mit dem Thema besch�ftigt hat. Ilon Wikland, 1930 in Estland geboren, kam als 14-j�hriger Fl�chtling nach Schweden. Sie studierte an der Kunsthochschule und in Signe Barths Malerschule. 1954 bekam sie den Auftrag, Mio, mein Mio zu illustrieren. Seitdem hat sie die meisten B�cher von Astrid Lindgren illustriert, aber u.a. auch die B�cher von Hans Peterson �ber Matthias. Ilon Wikland arbeitet mit unglaublicher Sorgfalt alle Details des Milieus aus. Sie will sichergehen, dass sie die Charaktere der Personen exakt einf�ngt. Und das gelingt ihr auch immer. Ihre eigenen Kinder waren die Inspiration zu den Bullerb�-Kindern und viele andere stupsnasige Kinder mit runden Wangen. Bei Karlsson auf dem Dach war das schwieriger. Das Vorbild f�r ihn fand sie schlie�lich in den damaligen Hallen ("Les Halles") in Paris: einen kleinen, dicken, pfiffigen alten Mann mit Trollgesicht und borstigen Haaren. Die R�uber in Ronja R�ubertochter haben alle vorm Schnapsladen Schlange gestanden! Ilon Wikland ist eine vielseitige K�nstlerin. Ihr Register reicht von der harmonischen Idylle in der Krachmacherstra�e bis hin zu den schwindelerregenden schwarzen Abgr�nden am Karmafall in den Br�dern L�wenherz. Sie hat viele Preise und Auszeichnungen bekommen, 1969 wurde sie mit der Elsa-Beskow-Plakette f�r ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Kommentar Von Werner St�renburg Astrid Lindgren verr�t nicht, was sie pers�nlich an diesem Thema interessiert hat und ich m�chte nicht spekulieren. Jeder Mensch hat Eltern, die normalerweise vor einem sterben; das ist ein nat�rlicher Vorgang, der einen wichtigen Einschnitt im Leben jedes Menschen darstellt. Wenn ein Kind vor den Eltern stirbt, widerspricht das der Regel und ist besonders schmerzhaft. Nicht die Eltern sollen das Kind zu Grabe tragen, sondern das Kind die Eltern. Astrid Lindgren mu�te ein Kind zu Grabe tragen; sie ist sehr alt geworden, und damit steigen die Chancen f�r dieses Schicksal. Sie hat selbst erz�hlt, wie sie zu der Idee gekommen ist ( Wie die Idee zu den Br�dern L�wenherz entstand, zusammengestellt aus drei verschiedenen Interviews): Die Br�der L�wenherz sind auf verschiedene Weise entstanden. Erstens bin ich immer viel auf Friedh�fen herumgewandert. Und auf dem Friedhof von Vimmerby las ich einmal die Inschrift auf einem Grabstein: "Hier ruhen die Br�der Fahl�n, gestorben im zarten Alter 1860 ..." Da wusste ich pl�tzlich, dass mein n�chstes Buch vom Tod und von diesen beiden kleinen Br�dern handeln sollte. Und dann fing ich an, dar�ber nachzudenken, was nun mit diesen Br�dern war, die dort lagen, was sie in ihrem Leben erlebt hatten. Aber das war erst der Anfang ... Dann erinnere ich mich daran, wie wir einen Michel f�r die Verfilmung aussuchen wollten. Da war es so, dass die ganze Presse den Vorgang verfolgte, als ob es darum ginge, einen neuen Papst oder so was zu w�hlen. Es gab einen Presseempfang und der kleine Janne wurde auf einen Tisch gestellt. Fotografen krochen herum, Journalisten fragten und er stand ruhig da und antwortete. Als endlich alles fertig war, sprang er herunter und setzte sich auf den Scho� seines 7 Jahre �lteren Bruders, der etwa 15 war. Und der gro�e Bruder beugte sich vor und k�sste ihn auf die Backe. Da dachte ich ... das sind aber zwei liebevolle Br�der ... Dann dachte ich weiter �ber meine Br�der nach. Ich wusste noch nicht, wozu ich sie haben wollte und was sie tun sollten, aber dann war ich in V�rmland, ich glaube, es war Neujahr 1970/71. Ich fuhr mit der kleinen Bahn am See Fryken entlang, es war ein fr�her Wintermorgen, und der Himmel hatte die wunderbarsten Farben, es war ein so wunderbarer Morgen, so sch�n, dass er schon nicht mehr von dieser Welt war. Und ich dachte, dass sie wohl nicht auf der Erde seien ... Deshalb machten sie sofort einen Satz nach Nangijala hinauf! | | Ob das die ganze Wahrheit ist? Sie mu� sie uns ja nicht preisgeben... Herbe Kritik  |  |  |  | Schutzumschlag, an den R�ndern mit Tesafilm geflickt |  |  |  |
| Das Buch ist schwer kritisiert worden ( Die Br�der L�wenherz - Literaturkritik 1973): - "Die Br�der L�wenherz sind eine Beleidigung der Befreiungsbewegungen auf der Welt." (Kerstin Stj�rne in der Zeitung Arbetet)
- "'Es gibt Abenteuer, die d�rfte es nicht geben', hat Jonathan einmal gesagt, und es gibt tats�chlich Abenteuer, die es in einem Kinderbuch nicht geben d�rfte."
Astrid Lindgren stelle das B�se eindimensional dar, hie� es, und dass "der Tod als die L�sung der Probleme hingestellt wird", sei nicht nur verantwortungslos, sondern auch grausam. (Eine Gruppe marxistischer Literaturwissenschaftler in Dagens Nyheter) |
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Das Buch ist also auch von Erwachsenen, insbesondere von politisch interessierten und engagierten Menschen ernstgenommen worden. Damals spielten die Befreiungsbewegungen eine gro�e Rolle, man setzte noch gro�e Hoffnungen in den Marxismus. Inzwischen geh�rt dies alles der Vergangenheit an und interessiert niemanden mehr. Wie bei "Mio, mein Mio" wird hier der Kampf gegen das B�se dargestellt, und die Befreiungsbewegungen haben sich selbstverst�ndlich als die Guten gesehen, die sich in einem Kampf gegen das B�se befinden. Bereits bei Mio war uns aufgefallen, da� die Autorin ein Schwarz/Wei�-Gem�lde entwirft. Es stellt sich nat�rlich die Frage, was passiert, wenn das B�se endg�ltig besiegt ist. Zieht dann der Friede auf Erden ein? In der Philosophie und Theologie scheint Astrid Lindgren nicht besonders beschlagen zu sein. Das B�se kann nur im Gegensatz zum Guten existieren und umgekehrt - es sind also gewisserma�en zwei Seiten einer Medaille. Man kann nicht das eine vernichten, ohne das andere ebenso zu treffen. Am Ende des Buches ist das B�se, hier personifiziert durch einen schrecklichen Drachen, der einem Despoten zu Willen ist, mausetot. Die Pferde hat es ebenfalls dahingerafft; sie haben den hei�en Atem des Untiers nicht �berlebt. Das Buch beginnt mit einer Problemfamilie: der Vater hat sich verdr�ckt, die Mutter lebt mit den beiden S�hnen allein, und der j�ngere ist dem Tode geweiht. Merkw�rdigerweise stirbt der �ltere zuerst beim Versuch, den j�ngeren aus dem brennenden Haus zu retten. Zuvor hat er seinem Bruder von dem Lande Nangijala erz�hlt, in das alle kommen, die sterben m�ssen. Er schm�ckte diese Erz�hlung so geschickt aus, da� der Todkranke sich schon danach sehnte, dahin zu gelangen. Nun sind sie also beide dort und wieder vereint und finden sich in einer heilen Welt des Guten, die bedroht ist durch das �berm��ig B�se, genau wie in "Mio, mein Mio". Und genau wie dort sind es die beiden Knaben, die es fertigbringen (m�ssen), die Welt vom B�sen zu erl�sen. Kein Wunder, da� sich die Befreiungsbewegungen und deren Sympathisanten verh�hnt f�hlten, denn schlie�lich ist ein Befreiungskampf keine M�rchenstunde: da wird richtig Blut vergossen, und zwar von gestandenen M�nnern. Milchb�bchen haben da nichts zu suchen. Am Ende des Buches, so stellt sich heraus, geht es auch f�r die Knaben wieder ans Sterben, und der �ltere wei� auch schon, wohin die Reise diesmal geht: ins Land Nangilima. Der Schlu�satz lautet: "Oh, Nangilima! Ja, Jonathan, ich sehe das Licht! Ich sehe das Licht!" | | Das Fatale ist nur, da� vom J�ngeren diesmal ein Mord und Selbstmord verlangt wird: er soll mit dem gel�hmten Bruder auf dem R�cken in einen Abgrund springen. Das wird als Mutprobe aufgefa�t. Lebenstheorie Welches Lebensmodell hat Astrid Lindgren? Offenbar kein christliches. Die Licht-Metapher deutet darauf hin, da� sie von den erstaunlich �bereinstimmenden und gleichlautenden Berichten erfahren hat, die von Menschen stammen, die bereits klinisch tot waren und trotzdem wieder ins Leben zur�ckgekehrt sind. Religi�s gestimmte Kommentare sehen im Licht-Ph�nomen eine Gotteserfahrung; das kommt f�r Astrid Lindgren anscheinend nicht in Frage. Gott kommt weder in ihrem Weltbild noch in ihrem schriftstellerischen Werk vor, wenn es nicht aus historischen Gr�nden unvermeidlich ist. Astrid Lindgren ist vermutlich im �blichen Kirchenglauben herangewachsen und hat diesen verlassen, wie die meisten Menschen des letzten Jahrhunderts. Sie hat dieses Vakuum mit einer Mythologie gef�llt, die vielleicht ihre eigene Erfindung ist. Es ist eine Art Reinkarnationstheorie. Ein Leben nach dem anderen ist zu bew�ltigen, wobei m�glicherweise alte Bekanntschaften wiederaufleben: in diesem Falle erleben die beiden Br�der zumindest zwei Inkarnationen gemeinsam, und es sieht so aus, als w�rde die dritte folgen. Die einzelnen Welten scheinen sich nicht sehr zu unterscheiden; das Leben ist M�hsal und Qual. Die einzige Hoffnung des Helden, der die Geschichte erz�hlt, ist, da� er durch den Sprung in die Tiefe, vor dem er sich f�rchtet, seine Angst endg�ltig �berwinden wird: Und dann werde ich nie wieder Angst haben. Nie wieder Angst ha... | | Dann folgt der Schlu�satz; der Leser schlie�t also messerscharf, da� der Junge gesprungen ist. Das Licht-Erlebnis ist in diesem Zusammenhang Beweis daf�r, da� der Tod eingetreten ist und der �bergang in die n�chste Welt erfolgt. Die Pferde sind Mittel zum Kampf und Freunde, liebe Wesen, die zum Schlu� sogar ihr Leben lassen m�ssen. Der �ltere Bruder, der auf wundersame und nicht n�her erkl�rte Weise immer etwas mehr wei�, verk�ndet, da� die Pferde in den n�chsten Welt bereits auf sie warten. Wie reagieren Kinder auf derart abstruse Konstruktionen? Wie verarbeiten sie die bodenlos pessimistische Ansicht und Aussicht? Astrid Lindgren hat sich gegen die Kritik wie folgt gewehrt: - "... solche Beurteilungen sind schwierig und m�ssen voller Respekt vor dem Kunstwerk getroffen werden, mit Weitsicht und vielleicht auch mit einem gewissen Humor. Sonst besteht da ein kleines Risiko, n�mlich, dass man sich in die Kommission des Obersten Sowjet f�r Sozial-Realistische Kinderliteratur verwandelt. Besonders kompliziert wird das, wenn es um ein Buch geht, das vom Tod handelt; an diesem Punkt dr�ckt Marx sich ziemlich d�rftig aus." Aus einem Artikel von P.C. Jersild in Dagens Nyheter
- Astrid Lindgren erz�hlt in einem Interview in Expressen von einem Seminar im Erica-Stift.
"Da gab es einen jungen Psychologen, der sagte, diese Schlusszeilen aus Die Br�der L�wenherz k�nne er niemals einem Kind vorlesen. Und zwar, weil die Vorstellung so schrecklich sei, dass die Br�der zweimal sterben m�ssten. Da sagte ich: 'Es ist doch so - je �fter man stirbt, desto mehr gew�hnt man sich daran.' Aber darin konnte er keinen Trost finden. Als ich nach dieser Tagung nach Hause kam, rief das M�dchen an, das in den Michel-Filmen die kleine Ida gespielt hatte, und sagte: 'Ich habe soeben Die Br�der L�wenherz gelesen. Vielen Dank, dass du so einen gl�cklichen Schluss geschrieben hast.' So k�nnen Kinder es verstehen." Aus "Astrid Lindgren - Ein Lebensbild" von Margareta Str�mstedt |
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Astrid Lindgren macht sich also etwas vor. Sie beruft sich auf die Freiheit der Kunst und den Respekt vor dem Kunstwerk - eine sehr billige Ausrede. �berdies scheint sie sehr viel �bung im Sterben zu haben. Hat sie noch mitbekommen, da� sich junge Menschen von hohen Klippen in den Tod st�rzten, weil sie des Lebens �berdr�ssig waren? Man kann sich seinen Lesern gegen�ber nicht so leicht aus der Aff�re ziehen. Die Illustratorin hat die d�stere Atmosph�re wieder einmal gut eingefangen. Zun�chst mag man meinen, da� die Freude in einem Buch �ber den Kampf gegen das B�se und das Sterben keinen Platz haben kann, aber das Unbehagen sitzt tiefer: es gibt keine Hoffnung. Diese Botschaft ist f�r heranwachsenden Menschen wenig nahrhaft. Da m�gen die Erfindungen im einzelnen �berraschend und vielf�ltig sein, unter dem Strich kann man nur verzweifeln. Astrid Lindgren kann auch anders, wie die Geschichten �ber Lotta, Michel und viele andere beweisen. Nun ist sie inzwischen selbst gestorben und wird wissen, wie das ist und wo man hinkommt, wenn man dieses Leben verl��t. Leider kann sie uns davon nicht mehr berichten.
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