Zitronenpferd Franz Marc, Deutschland Zitronenpferd und Feuerochse des Prinzen Jussuff Postkarte, Piper-B�cherei: M�nchen,1954 Eine weitere Postkarte von Franz Marc an Else Lasker-Sch�ler mit der Inschrift "Zitronenpferd und Feuerochse des Prinzen Jussuff". Der Ochse schleicht sich an wie ein Fuchs - es sieht aus, als seien Marc die Tierarten durcheinandergeraten. Oder sehe ich da etwas falsch? Das Pferd reagiert durchaus pferdem��ig, es k�nnte sich um den Ansatz einer Fluchtreaktion oder aber auch um eine Aufforderung zum Spiel handeln. Ich gestehe, eine Aufforderung zum Spiel zwischen Ochse und Pferd noch nicht gesehen zu haben. Wenn diese beiden Tierarten zusammen auf der Weide waren, hat jede f�r sich friedlich gegrast. Zwischen Pferd und Hund jedoch kenne ich diese Art Spiel, die f�r den Hund nicht unbedingt besonders spa�ig sein muss. Vielleicht also sollen wir diese Postkarte als Aufforderung zum Spiel lesen. Franz Marc, 1880-1916 Nachdem er zuerst Pfarrer werden wollte, versp�rte er im Alter von 20 Jahren eine Berufung zum Maler und begann, an der M�nchener Akademie zu studieren. Auf zwei Reisen nach Paris (1904 und 1907) lernte er die Bilder Manets, der Impressionisten und von Vincent van Gogh kennen. Im Jahre 1910 freundete er sich mit August Macke an. Das Jahr 1911 war f�r ihn ein entscheidendes Jahr: Er lernte die Maler Jawlensky, Kandinsky, M�nter und Werefkin kennen, mit denen er die K�nstlergemeinschaft des "Blauen Reiters" gr�ndete. Franz Marc starb am 4.3.1916 im Ersten Weltkrieg in der N�he von Verdun als Soldat. Kommentar Von Werner St�renburg In der letzten Woche hatten wir uns mit der angeblichen Poesie in den Arbeiten von Franz Marc besch�ftigt, speziell bei den Postkarten, die er Else Lasker-Sch�ler vor dem Ersten Weltkrieg geschickt hatte. Als Pferdeliebhaber interessieren uns nat�rlich vor allem diejenigen Karten, die Pferde darstellen. Wir haben auch verstanden, dass sich die Kunstwelt zu dieser Zeit in einem Umbruch befand (das tut sie eigentlich immer) und dass Marc ein Teil dieses Umbruchs war, sich von Zeitgenossen und Mitstreitern hat beeinflussen lassen. Soweit nichts Besonderes. Verwunderlich ist, dass die Arbeiten von Franz Marc immer noch stark wirken, w�hrend das Werk von Hunderten, wenn nicht Tausenden von Zeitgenossen l�ngst untergegangen ist. Das kann man unter anderem an den Angeboten von Reproduktionen und deren Ums�tzen ablesen. Die Pferde von Franz Marc sind als Poster und Postkarten sehr beliebt und weit verbreitet. Sie m�ssen also auch den heutigen Menschen etwas geben, was diese brauchen. Was ist das? Die These in dem B�chlein aus dem Piper Verlag von 1954, erschienen 40 Jahre nach der Entstehung der Postkarten, die der Intention nach rein privat waren, lautet: die Arbeiten von Marc sind der Inbegriff des Poetischen. Die Poesie nun, so wird implizit weiter unterstellt, entspreche einem Bed�rfnis des Menschen. Da die Postkarten dieses Bed�rfnis befriedigen, werden sie gebraucht, produziert und gekauft. Was hat es mit diesem Bed�rfnis und dem Poetischen auf sich? Formalien | | | | | Ausschnitte mit Konstruktionslinien | | | |
| Im Kunstunterricht w�rde man sich vielleicht mit den Formalien aufhalten: kann man grobe Formen und Linien erkennen? Man kann. Im Bereich des Pferdes fallen zun�chst einmal die ovalen Konstruktionselemente auf, wobei der gr�ne Kreis, der ebenso wie die Form im Vordergrund keinerlei erkennbare gegenst�ndliche Bedeutung hat, mit dem Kreis korrespondiert, der oberhalb der Kruppe des Ochsen erkennbar ist. Nun darf man nicht denken, der K�nstler h�tte zun�chst die Linien konstruiert und dann sein Bild dar�ber entworfen. Das glaube ich nicht. Marc wird wohl eine Bleistiftvorzeichnung gemacht haben, wie man das bei einigen anderen Karten deutlich erkennen kann, und dann frisch mit dem Pinsel dar�ber gegangen sein. Auch die Bleistiftskizze, wenn es sie gegeben hat, ist mit Sicherheit ohne Konstruktion entstanden. Das liegt daran, dass unser Gehirn zwei H�lften hat, die v�llig unterschiedlich arbeiten. Normalerweise ist die linke H�lfte analytisch orientiert, die rechte ganzheitlich (bei Linksh�ndern umgekehrt). Ein Kunstwerk entsteht (wiederum normalerweise) durch Arbeit der rechten H�lfte, die intuitiv ein architektonisches Ger�st schafft, was die linke H�lfte sp�ter erkennen kann. Die Konstruktionslinien verdeutlichen nun, warum eine formale Geschlossenheit entsteht. Die vielen Ellipsen und halbwegs parallelen Linien klingen zusammen und suggerieren eine Notwendigkeit, die eigentlich gar nicht besteht. Ich vermute zum Beispiel, dass die unf�rmige Gestalt im Vordergrund urspr�nglich ein weiteres Pferd h�tte werden sollen, aber irgendwie hat es nicht geklappt und die Sache ist versumpft. Das ist in Ordnung so. Dieses Blatt zeigt n�mlich ganz deutlich, was eigentlich neu war an der Kunst am Anfang des 20. Jahrhunderts. Es geht nicht um Formalien, es geht um etwas ganz anderes. Die Formalien sind nur Mittel. Eine Analyse hilft also nicht viel und f�hrt h�chstens in die Irre, n�mlich dann, wenn man meint, man h�tte nun etwas begriffen und w�sste, was ein Kunstwerk ist und wie man ein Kunstwerk macht. Krise und Suche | | | | Marc: Die Tr�nke am Rubinberge Postkarte an Else Lasker-Sch�ler | | | | Im 19. Jahrhundert hatte sich die Kunst ziemlich tot gelaufen. Techniken kann man lernen, aber sie produzieren keine Kunst. Die Frage, was Kunst eigentlich ist, wurde immer weniger gestellt, so dass die ganze Sache mehr oder weniger auf Kunstfertigkeit, also auf Technik hinauslief, was wiederum keine Kunst ist. Die K�nstler haben das nat�rlich sehr deutlich gesp�rt, konnten aber das Dilemma nicht l�sen. Wie immer in solchen F�llen wurden verschiedene Ans�tze probiert. Der Impressionismus z. B. war ein solcher, der aber nicht weit f�hrte, weil er inhaltlich ebenso leer war wie die akademische Kunst. Der Expressionismus, wie er z. B. von Vincent van Gogh entwickelt wurde, schreit sehr deutlich die Not seiner Seele heraus. Van Gogh war bekanntlich Prediger, bevor er sich der Kunst zuwandte. Es geht also, zumindest bei einigen K�nstlern, um die Seele. Cezanne versuchte dem Impressionismus wieder eine architektonische Grundlage zu verschaffen, und Picasso und Braque hatten gemeint, im Kubismus eine L�sung gefunden zu haben, indem die Architektur zu einer eigenen Sprache entwickelt wurde, die mit der Realit�t nur noch wenig gemein hatte. In Deutschland sprach sich die Seele st�rker aus, z. B. bei den Malern der Br�cke und eben auch beim Blauen Reiter. Bei Picasso hat sich die Seele sp�ter wieder sehr stark durchgesetzt und von den formalen Erfahrungen des Kubismus profitiert (siehe Galeriebeitrag › › › Guern�ca› ). Marc versucht, sich von der Realit�t zu l�sen und eine Traumwelt zu schaffen, wobei er eben auch ein architektonisches Ger�st braucht, das seinem Bild Tragf�higkeit verleiht. Oder besser gesagt: seine Seele sucht nach Bildern, die seiner Sehnsucht entsprechen und dieser Ausdruck geben. Das Ger�st ist also Hilfsmittel, mehr nicht, und da er dieses Ger�st in der Natur nicht finden kann, weil sich seine Bilder gar nicht auf die Natur beziehen, verwundert es nicht, dass formale Prinzipien sich einschleichen. Das haben sie schon immer getan, das war eines der Geheimnisse der K�nstler, die sie intuitiv entdeckt hatten: geometrische Konstruktionen sprechen zur Seele des Betrachters. Man findet das auch bei Leonardo oder D�rer. Seelensprache | | | | Marc: Postkarte an Else Lasker-Sch�ler | | | |
| Das Neue sind die Inhalte, ist die Tatsache, dass die Seele aus sich heraus Gegenst�nde "erfindet", die sie so nicht in der Realit�t vorfindet. Im Prinzip ist dieser Vorgang nicht neu, sondern ganz ganz banal und jedem Menschen bekannt. Ein Traum ist n�mlich ebenfalls Ausdruck der Seele, und bekanntlich tr�umt jeder Mensch und schafft spielend die wunderlichsten Welten. Bei Marc wird also diese sch�pferische T�tigkeit der Seele ernstgenommen und in die Welt gestellt. Das hatten sich die K�nstler bis zum Impressionismus nicht getraut. Das ist neu in der Kunst seiner Zeit. Selbst van Gogh hatte nicht begriffen, was er bzw. seine Seele eigentlich suchte. Er hatte die allergr��ten Schwierigkeiten, die Gegenst�nde f�r seine Bilder zu finden, und suchte sie stets im �u�eren. Teilweise benutzte er Gem�lde von Kollegen, die er um ihre F�higkeit beneidete, Themen zu finden, aber es lief auf dasselbe hinaus: er bezog sich auf etwas, was er au�erhalb seiner selbst vorfand. Marc tut das nicht. Er studiert zwar die Pferde, aber die Pferde, die er malt, laufen so nicht auf der Wiese herum. V�llig klar, aber man muss es einmal aussprechen. Was aber ist die Sehnsucht des Franz Marc, die im Bilde zum Ausdruck kommt und die die Menschen seit fast 100 Jahren anspricht? Ein Hinweis ist die blaue Farbe, die er bevorzugt verwendet. 100 Jahre fr�her hatten die Dichter der Romantik nach der "Blauen Blume" gesucht, welche das Symbol f�r ihre unerf�llbare Sehnsucht war. Welche Sehnsucht war das? Die Sehnsucht des Menschen nach etwas Wesentlichem, das er nicht benennen kann, die ihn verzehrt, ist sehr alt. Sie hat offensichtlich Bez�ge zu etwas Absolutem. Im letzten Jahrhundert, noch zu meinen Lebzeiten, hat sich diese Sehnsucht in einem franz�sischen K�nstler in extremer Weise ausgesprochen. Yves Klein ist bekanntgeworden als "Yves le Monochrome", weil er gro�e Gem�lde mit nur einer einzigen Farbe gemacht hat. Diese Farbe war ein tiefes Blau, das er sich sogar sch�tzen lie�. Blaue Sehnsucht Sp�ter gen�gte ihm das Blau nicht mehr und er nahm dann Gold. Gold ist nun ein �u�erstes Symbol f�r das Absolute, f�r das Ultimative, f�r das Allergr��te, und die Antwort auf die Frage, was das denn nun ist, f�llt nicht mehr schwer. Die Maler des Mittelalters haben bekanntlich ebenfalls reichlich Gebrauch vom Gold gemacht, und jedermann hat damals verstanden, was damit gemeint ist: der Urgrund der Existenz, oder mit einem Wort: Gott. Womit sich der Kreis schlie�t. Van Gogh war ein Gottsucher, Franz Marc und Yves Klein ebenfalls. (Ob sie selber das wussten, ist eine andere Frage.) Soeben entdecke ich bei meiner ersten Recherche nach Yves Klein "The Chelsea Hotel Manifesto" von 1961. Darin bekennt er, auf der Suche nach dem verlorenen Paradies zu sein. Sehr gut! Das ist schon ziemlich warm. Der Rest ist leider reichlich konfus. Weiter ist er offenkundig nicht gekommen. Er tappte im Dunkeln. Der Kommentator, der dieses Manifest ins Internet gestellt hat, blickt schon besser durch. Er stellt es in Zusammenhang mit Beethovens » » » Heiligenst�dter Testament und dem gro�en Gem�lde von Paul Gauguin mit dem Titel: "Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?" Dies ist die sogenannte religi�se Frage. Der Schweizer Psychologe C.G. Jung war der Meinung, dass sich diese Frage f�r jeden Menschen in der Lebensmitte stellt, wenn er feststellt, dass er nun den Gipfel seiner Laufbahn erreicht hat und es fortan abw�rts geht (Midlife Crisis). Das Ziel des Lebens ist klar, obwohl es vor allem f�r junge Menschen schwer ist, dies zu erkennen und vor allen Dingen im Bewusstsein pr�sent zu halten. Es ist n�mlich: der Tod. Wir sind geboren, und wir m�ssen sterben, eines guten Tages. Das ist banal, aber immer wieder �berraschend. Wie hei�t es im Gebet? "Herr, lehre uns, dass wir sterben m�ssen." Anders als vermutlich Tiere und Pflanzen stellen wir uns jedoch irgendwann die Frage, welchen Sinn unser Leben gehabt hat; manche Menschen tun das fr�her, manche sp�ter. Soweit wir die Geschichte der Menschheit �berblicken k�nnen, ist diese Frage gestellt worden. Darauf sind unterschiedliche Antworten gegeben worden, aber es lassen sich doch klare Gemeinsamkeiten erkennen. Die Unterschiede betreffen n�mlich bei genauer Betrachtung nur das Dogma, also Regeln. Es geht um Seelenfrieden und Gotteserkenntnis. Pferdeturm | | | | Marc: Der Turm der blauen Pferde Postkarte an Else Lasker-Sch�ler | | | | Die Frage ist aber, ob und wie Gott sich erkennen l�sst. Erkenntnis ist individuell und nur bedingt vermittelbar. Das betrifft selbst die einfachsten Dinge. Ich kann niemandem vermitteln, wie Erdbeeren schmecken. Das muss jeder selber herausfinden, indem er eine isst. Wenn ich verstanden habe, warum der Satz des Pythagoras sein religi�ses Dogma "Alles ist Zahl" widerlegt, bedeutet das nichts f�r meinen Sch�ler, der davon zum erstenmal h�rt. Seine Einsicht kann und sollte von mir als Lehrer zwar erleichtert werden, haben aber muss er sie selbst. Das betrifft nun auch das religi�se Erleben. Und damit ist es bei uns im Westen nicht weit her. Wer kann dem armen Franz Marc oder Yves Klein oder meinem Nachbarn sagen, was er tun muss, um Gott zu erkennen? Unsere etablierten Kirchen reden dar�ber nur ungern. Man muss den Eindruck gewinnen, sie w�ssten es selbst nicht. Aber auch sonst ist es eher selten, dass jemand von sich behauptet, er habe Kontakt zu Gott. Trotzdem ist das Bed�rfnis danach durchaus vorhanden. Neben den etablierten Gro�religionen gibt es eine un�bersehbare Schar von Organisationen, die sich anerbieten, dieses Bed�rfnis zu erf�llen. Viele Menschen sind unterwegs, um Erfahrungen zu machen. Sogar der Spiegel schreibt dar�ber (Jenseits des Wissens, 22.12.2000: » » » Die Zukunft der Weltreligionen). �ber die Zeiten hinweg hat es immer wieder einzelne Menschen gegeben, die nicht nur behaupteten, Kontakt zu Gott zu haben, sondern auch dar�ber redeten, wie sie es bewerkstelligt haben. Eines der bekanntesten Beispiele ist Jesus Christus im Neuen Testament. Er gibt eine Menge Ratschl�ge an seine J�nger und sonstigen Zuh�rer. Die kann man jederzeit nachlesen. Ob das etwas n�tzt, ist eine andere Frage. Lao Tse z. B. formulierte: "Ein Wissender redet nicht; ein Redender wei� nicht." (�bersetzung G�nther Debon) Es kommt also auf das Handeln an und die Erfahrung, die man dadurch macht, nicht auf das abstrakte Wissen. Bis dahin wird die Sehnsucht anders gestillt, z. B. durch Poesie oder Franz Marc. Der Turm der Pferde w�chst gegen den Himmel, die Sterne und der Mond strahlen in den K�rpern der blauen Pferde, �ber allem w�lbt sich der Regenbogen. Alle K�pfe schauen nach links und warten auf das Heil. M�ge es kommen. Quellen Franz Marc, Botschaften an den Prinzen Jussuff, Piper-B�cherei: M�nchen, 1954 |
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Fotos Wie angegeben unter Berufung auf das Zitatrecht (Fair Use). | |