Wie gefährlich es werden kann, wenn Pferde ständig mit harter Hand und ziehenden oder reißenden �Zügelhilfen� geritten werden, habe ich ja schon letzte Woche angesprochen, und diese Problematik mit einem Erlebnis aus meinem Bekanntenkreis deutlich gemacht. Ein abgestumpftes oder übersensibles Pferdemaul bereitet nämlich nicht nur klassischen Turnierreitern Schwierigkeiten, es kann auch so manchen Freizeitreiter in arge Bedrängnis bringen.
Gerade beim Geländereiten ist es enorm wichtig, dass das Zusammenspiel zwischen Reiter und Pferd gut funktioniert, und dies ist nur dann der Fall, wenn sich das Pferd unter seinem Reiter auch wirklich wohlfühlt. Dies wiederum erreicht man nur durch Rücksichtnahme und Einfühlungsvermögen, wobei eine pferdefreundliche Hilfengebung den wichtigsten Grundstein für eine gute, kameradschaftliche Zusammenarbeit bildet.
Sanfte, feinfühlige und vor allem sparsam angewandte Zügel- und Schenkelhilfen bewirken aber nicht nur eine Zufriedenheit des Pferdes � die ja möglicherweise nicht jedem Reiter am Herzen liegt � sondern erhalten auch die Sensibilität des Tieres, wodurch dieses viel leichter zu lenken und natürlich auch zu stoppen ist. Dies macht sich dann vor allem in Krisensituationen bezahlt, wenn das Pferd auf furchterregende Situationen mit Panik reagiert und durchzugehen versucht bzw. dieses auch schafft.
Wahrscheinlich werden jetzt viele Pferdeleute einwenden, dass dies keinen großen Unterschied macht, da ein durchgehendes Pferd sowieso nicht gehalten werden kann, doch dieser Meinung kann ich aufgrund meiner Erfahrungen nur bedingt zustimmen. Es ist schon wahr, dass ein bereits im Höchsttempo befindliches Pferd mit normalen Hilfen nicht gebremst werden kann, aber zum Einen ist dies mit der richtigen Technik bei entsprechender Zäumung sehr wohl möglich und zum Anderen kann man ein sensibel erhaltenes Tier auch mit herkömmlicher Zäumung zumindest am Durchgehen hindern, wenn man schnell genug reagiert.
Dies erfordert allerdings auch ein gewisses Pferdeverständnis und die ständige geistige Präsenz des Reiters � Eigenschaften, die ebenfalls sehr wichtig sind, die aber leider bei weitem nicht jeder Freizeitreiter aufzuweisen hat. Dieses Thema möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt noch näher behandeln, kehren wir aber jetzt zum ursächlichen Problem des Durchgehens zurück und betrachten wir die Möglichkeiten, die dem Reiter als wirkungsvolle Maßnahmen dagegen zur Verfügung stehen.
Ich reite meine Pferde � wie meine Stammleser sicherlich schon wissen � mit Sidepull, einer gebisslosen Zäumung, die manche Westerntrainer zum Einreiten von Jungpferden verwenden, und die Frau Linda Tellington-Jones unter der Bezeichnung �Lindel� vermarktet. Wer diese Zäumung korrekt verwendet, hat immer einen optimalen Einfluss auf sein Pferd, kann damit ein Durchgehen jederzeit verhindern und in den meisten Fällen sogar das bereits durchgehende Pferd erfolgreich einbremsen.
Wichtig ist dabei, nie mit anstehenden Zügeln zu reiten, sondern diese immer locker durchhängen zu lassen � allerdings nur so weit, dass man im Notfall schnellstens wieder Kontakt zu der Pferdenase herstellen kann � und nur durch leichtes Zupfen oder Vibrieren daran, Richtung und Tempo zu bestimmen. So erhält man Nase, Genick und Hals des Pferdes sensibel genug, um bei notfalls stärker gegebenen Hilfen auch eine prompte Reaktion erwarten zu können.
Auch bei herkömmlicher Reitweise wird von Fachleuten empfohlen, ein durchgehendes Pferd auf eine Kreislinie zu lenken (was sich vor allem in unwegsamem Gelände als sehr schwierig erweisen kann), und ähnlich, aber bei weitem effektiver funktioniert diese Methode bei der Verwendung eines Sidepulls, weil hier auch ein etwas stärkerer, einseitig angewandter Ruck dem Tier nicht schadet, es aber sehr rasch aus dem Gleichgewicht bringt, wodurch es sozusagen zur Verlangsamung gezwungen wird. Dies ist durchaus auch von einem nicht sehr kräftigen Menschen durchführbar und wird eigentlich von allen Pferden, auch dickköpfigeren Exemplaren, gut verstanden.
Wichtig ist eben nur, dass der Ruck direkt aus der losen Haltung heraus erfolgt und der Zügel nicht erst langsam angenommen und gespannt wird, denn dann würde man wieder ziemlich machtlos gegen die Kraft des Pferdes ankämpfen. Erfolgreich wird diese Methode nämlich nur durch den Überraschungsmoment und das plötzliche, vom Pferd nicht erwartete �Herumreißen� des Kopfes. Dies klingt jetzt auf den ersten Blick brutal, ist aber keineswegs so gemeint, sondern soll nur die Technik ein wenig erläutern.
Außerdem wird jeder, der schon mal gegen die Kraft eines Kaltblutes, eines Haflingers, etc. gekämpft hat, verstehen, was ich meine, denn mit sanftem Zupfen steht man bei solchen Pferden auf verlorenem Posten, wenn diese nicht zu freiwilliger Mitarbeit bereit sind. Im Grunde ist aber meine Reitweise so konzipiert, dass zwischen Pferd und Reiter ein freundschaftliches Miteinander entsteht, sodass solche Maßnahmen wirklich nur in äußersten Notfällen angewandt werden müssen.
Bei herkömmlicher Trensen- oder Kandarenzäumung ist es da schon ungleich schwieriger, ein durchgehendes Pferd einzubremsen, denn hier kann ein kräftiger Ruck das empfindliche Pferdemaul durchaus verletzen und bewirkt außerdem � wie bereits letzte Woche beschrieben � oft den gegenteiligen Effekt. Durch den Schmerz wird fast jedes Pferd zu noch stärkerem Durchgehen veranlasst, da es in seiner Panik nicht mehr denkt, sondern nur noch fühlt und als Fluchttier instinktiv gar nicht anders reagieren kann.
Deshalb ist es beim Reiten mit einem Gebiss von großer Bedeutung, das jeweilige Pferd mit allen seinen Ängsten und Eigenheiten so gut zu kennen, dass ein Durchgehen bereits im Ansatz verhindert werden kann, denn nur solange sich das Pferd noch nicht im �Rausch� der Höchstgeschwindigkeit befindet, kann es mit herkömmlichen Methoden erfolgreich �gezügelt� werden. Doch darüber möchte ich dann nächste Woche noch genauer sprechen. |