| ..."Hallo, Schönheit!", ertönte Alexanders melodische, einschmeichelnde Stimme direkt hinter Lindas Rücken.
Diese zuckte zusammen, als hätte ein Blitz sie gestreift, machte abrupt auf dem Absatz kehrt und starrte ihr Gegenüber ziemlich geistlos an.
"Nanu, kennst du mich nicht mehr, oder sehe ich etwa wie ein Schreckgespenst aus?", wunderte sich der junge Mann über Belindas seltsame Reaktion, doch er schien mit seinen Fragen das Mädchen gar nicht zu erreichen.
Das wäre im Moment auch sicher niemandem gelungen, denn in Lindas hübschem Kopf schwirrten unzählige Gedanken durcheinander. In den letzten Tagen hatte sie ständig nach Alex Ausschau gehalten und sich ausgemalt, wie das nächste Wiedersehen wohl ablaufen würde. Mit jedem weiteren Tag, an dem er nicht im Reitstall erschien, wuchs jedoch ihre Enttäuschung, und der Hoffnungsschimmer, dass er doch mehr als nur gewöhnliches freundschaftliches Interesse an ihr haben könnte, erlosch schließlich ganz.
Alexanders plötzliches Auftauchen brachte Belinda nun völlig aus der Fassung. Sämtliche aufgestauten Gefühle schienen nun gleichzeitig in ihr zu explodieren. Einerseits war sie außer sich vor Freude, ihn zu sehen, glücklich darüber, dass er ihr nicht böse zu sein schien, doch andererseits verspürte sie eine unerklärliche Wut in sich, weil er sich so lange nicht hatte blicken lassen.
Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihm um den Hals zu fallen, und dem Bedürfnis, ihn anzuschreien, stand sie einfach nur wie versteinert da und bot - mit ihren zerzausten Haaren und den Schmutzflecken in ihrem Gesicht, auf ihren Armen und auf ihrer hellen Reitkleidung - einen eher bemitleidenswerten Anblick.
"Du siehst ziemlich müde aus", stellte Alexander mit besorgter Miene fest. "Warum arbeitest du eigentlich auch an deinem freien Tag hier im Reitstall? Gönnst du dir denn gar keine Ruhepause?", versuchte er, nachdem seine erste Frage keinerlei Anklang gefunden hatte, erneut ein Gespräch in Gang zu bringen.
Diesmal gelang es ihm auch, allerdings fiel Lindas Antwort nicht unbedingt in der erhofften Art und Weise aus.
"Ich hatte ja sonst keine besseren Angebote und an so einem schönen, sonnigen Tag wollte ich nicht die ganze Zeit allein zu Hause sitzen. Bei Lady weiß ich außerdem ganz sicher, dass sie sich wirklich freut, wenn sie mich sieht und ich mich mit ihr beschäftige. Nicht wahr, mein Mädchen?", lautete Belindas bissiger Kommentar, während sie zärtlich den Hals der edlen Rappstute, die sie gerade auf Hochglanz gebracht hatte, streichelte.
Alexander würdigte sie dabei keines Blickes, doch ihre schnippischen Worte hatten auch so ihre Wirkung nicht verfehlt.
"Ich hatte die ganze Woche über so viel zu tun, dass es mir leider unmöglich war, früher hierher zu kommen. Sogar heute am Samstag musste ich diverse Schreibarbeiten machen, dabei hätte ich viel lieber die Zeit mit dir verbracht", entschuldigte sich der junge Mann sofort, wohlwissend, dass es in dieser Situation taktisch am klügsten war, den reuevollen Unschuldsengel zu spielen.
"Ich verstehe. Und die Erfindung des Telefons hat sich wahrscheinlich noch nicht bis zu dir herumgesprochen", kam prompt die ätzende Antwort.
"Es tut mir Leid, dass ich mich nicht früher bei dir gemeldet habe, aber ich konnte ja nicht wissen, dass du solche Sehnsucht nach mir hast. Ab jetzt werde ich dir täglich über meine Aktivitäten Bericht erstatten, damit du wieder ruhig schlafen kannst", versuchte Alex, die verfahrene Situation mit Hilfe seines lausbübischen Charmes zu retten, erreichte damit jedoch genau das Gegenteil.
Linda fühlte sich durchschaut, wollte sich aber keine weitere Blöße geben und blieb deshalb weiterhin in aggressiver Abwehrstellung.
"Was du doch für ein eingebildeter Gockel bist! Nur zu deiner Information, es interessiert mich absolut nicht, was du so den ganzen Tag treibst! Und nun geh mir bitte aus dem Weg, denn ich muss Lady wieder in den Stall zurückbringen!"
Alexander zuckte unter ihren messerscharfen Worten förmlich zusammen und wich schließlich ihren blitzeschleudernden Blicken kleinlaut aus. Er wusste, dass er diese Schlacht verloren hatte, doch da er den Krieg unbedingt gewinnen wollte, zog er sich vorerst lieber ohne Widerrede zurück.
Noch immer ziemlich wütend, aber auch enttäuscht darüber, dass Alexander sich so rasch geschlagen gegeben hatte, führte Belinda ihr Pflegepferd zurück in den Stall.
"Männer sind doch wirklich seltsame Geschöpfe! Findest du nicht auch?", flüsterte sie der geliebten Stute ins Ohr, welche mit einem leisen Schnauben anscheinend sofort ihre Zustimmung kundtat.
Mit dieser kleinen, eher unbedeutenden Reaktion schaffte das anhängliche Tier etwas, was wohl kein Mensch in diesem Moment erreicht hätte, nämlich - Linda zum Lachen zu bringen. Dieses Lachen löste ihre Anspannung und ließ auch ihren Ärger im Nu verfliegen, womit der böse Bann gebrochen war.
Lady konnte den plötzlichen Sinneswandel ihrer Betreuerin sichtlich nicht verstehen, denn sie sah diese mit ihren großen, sanften Augen verwundert an, nutzte jedoch die Gunst der Stunde, um Lindas Hosentaschen mit ihren weichen Lippen vorsichtig nach irgendwelchen Leckerbissen abzutasten.
"Ah! Du willst meine gute Laune wohl ausnutzen, meine raffinierte Schöne?!"
Schmunzelnd schob Linda eine letzte kleine Karotte in das ungeduldige, samtige Maul und verabschiedete sich von ihrem vierbeinigen Liebling mit einem freundschaftlichen Halsklopfen. Einem plötzlichen Gefühl folgend verließ sie daraufhin eilig das kleine Stallgebäude.... | | |