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| Chef oder Freund � das leidige Dominanzproblem in Mensch-Pferd-Beziehungen Teil 5 | | |
Letzte Woche haben wir uns mit der Frage beschäftigt, was es heißt, ein guter Chef zu sein. Diese Woche wollen wir uns dieses Thema aus der Sicht der Pferde näher betrachten.
Auch wenn Pferde in vielen Fachbüchern meist nur als Herden-, Lauf- und Fluchttiere sehr allgemein beschrieben werden und in fast allen Ausbildungs- und Reitanleitungen grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass alle Pferde gleich behandelt und erzogen werden können, wird wohl jeder Mensch, der im Laufe seines Lebens mehr als nur ein Pferd richtig kennen lernt, feststellen, dass jedes Pferd seine ganz eigenen individuellen Eigenschaften besitzt, die es � genau wie bei uns Menschen � zu einem ganz besonderen unverwechselbaren Einzelwesen werden lassen.
Aus diesem Grund eignet sich auch nicht jedes Pferd für jede Ausbildungsmethode bzw. Reitweise und auch nicht für jede mögliche Art von Mensch-Pferd-Beziehung. Möchte der Reiter gerne den machtvollen Chef spielen, dann sind dafür vor allem rangniedere Tiere ohne besonders ausgeprägten eigenen Willen und mit natürlichem Anlehnungs- und Unterordnungsbedürfnis die idealen Partner. Solche Pferde dulden die totale Unterwerfung meist nicht nur, sie fühlen sich darin sogar oft sehr wohl, weil sie so jeglicher Verantwortung enthoben sind und sie sich bei ihrem dominanten Reiter � sofern dieser sie grundsätzlich gut und gerecht behandelt � beschützt und geborgen fühlen.
Versucht man rangniedere Pferde, die von ihrem Naturell her eher schüchtern und ängstlich sind und sich in anhänglicher Weise gerne hinter bzw. unter ihrem Herrn verstecken, dazu zu bringen, eigenverantwortlich die Führung zu übernehmen und Entscheidungen zu fällen, so wird man dabei meist auf große Widerstände stoßen, denn die eigene Unsicherheit lässt bisweilen so manches sonst so lammfromm erscheinende Wesen panisch oder sogar aggressiv reagieren.
Solche Pferde, die z.B. bei Gruppenausritten daran zu erkennen sind, dass sie partout nicht an vorderster Front gehen möchten, sind halt nun mal nicht zum Leittier geboren und haben deshalb auch kein Problem damit, sich einem Anderen freiwillig unterzuordnen, ja sie brauchen vielmehr � genau wie unterwürfige Menschen � immer jemanden, der ihnen sagt, was sie zu tun haben.
Völlig anders verhält es sich bei ranghöheren Tieren, die gerne selbst das Kommando übernehmen würden. Mit ihnen gibt es im Normalfall � vor allem, wenn man als Mensch selbst keine überragende Führerpersönlichkeit ist � immer wieder Machtkämpfe, bis entweder die Rollenverteilung von Chef und Untergebener endgültig festgelegt ist oder man sich als Besitzer bzw. Reiter eines solchen willensstarken Pferdes zu gewissen Kompromissen bereit erklärt.
Werden Pferde mit natürlichem Führungsinstinkt und ausgeprägtem Machtbedürfnis reiterlich in eine untergeordnete Position gezwungen, so kann man dies an ihrem zumeist übertrieben aggressiven Verhalten gegenüber anderen Pferden sehr gut erkennen. Sie laden dann ihren ganzen Frust � ähnlich wie es unterdrückte Menschen tun � auf schwächere Artgenossen ab.
Spätestens wenn man dies bemerkt, sollte man sich als �Chef� dieses Pferdes fragen, ob es nicht doch noch andere Wege der Zusammenarbeit gibt, von denen alle Beteiligten profitieren könnten, zumal man bei solchen Pferden unter diesen Bedingungen niemals wirkliche Verlässlichkeit erwarten kann. Wann immer man als Mensch ihnen gegenüber auch nur kleine Schwächen erkennen lässt, werden sie dies ausnutzen und versuchen, die Vormachtstellung zu erkämpfen.
Manche Reiter haben kein Problem damit, ihre Chefrolle tagtäglich neu unter Beweis zu stellen, ja einige unter Ihnen brauchen diesen ständigen Nervenkitzel wahrscheinlich sogar, ich persönlich finde jedoch diese Art der Mensch-Pferd-Beziehung nur anstrengend und kein bisschen erstrebenswert, da ich meine, dass damit der ästhetische Sinn des Reitens verloren geht.
Was ich mir wünsche, ist ein Pferd, das mich liebt und mir vertraut, das bei gemeinsamen Unternehmungen freudig mitarbeitet und auf das ich mich in brenzligen Situationen voll verlassen kann. Ich wünsche mir einen charakterfesten Freund fürs Leben und nicht einen unterdrückten Untergebenen, dem ich immer wieder neu beweisen muss, dass ich der allmächtige Chef bin, nach dessen Pfeife er gefälligst ständig zu tanzen habe. Was nun natürlich nicht heißt, dass ich nur völlig antiautoritäre Erziehung gutheiße.
Selbstverständlich sind gewisse Regeln notwendig, damit diese Zusammenarbeit klappen kann. Eine gesunde Form der Dominanz (Auch bei Freunden gibt immer irgendeiner den Ton an!) ist sicherlich angebracht, doch biete ich meinen Pferden zumindest zeitweise die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen sowie Gefühle zu äußern, denn meiner Meinung und Erfahrung nach kann man sich nur auf echte Freunde auch in Notfällen verlassen.
Sogar das Leittier einer Herde erwartet schließlich nicht ununterbrochene Unterwerfung, wie uns von vielen machtbegeisterten Trainern weisgemacht wird. Bei Gefahr oder bei anderen wichtigen Entscheidungen, die das Wohl der ganzen Herde betreffen, hat jedoch nur dieses das Sagen und alle anderen folgen ihm dann bedingungslos.
Da mich diese natürliche Autorität schon immer fasziniert hat, fühle ich mich nicht nur ganz besonders zu solchen Pferdepersönlichkeiten hingezogen, sondern ich versuche auch, mich ähnlich wie eine Leitstute zu verhalten, ohne dabei den freundschaftlichen Aspekt aus den Augen zu verlieren. Dies ist absolut kein Widerspruch in sich, denn auch Leitstuten pflegen ihre Freundschaften und sind um das Wohlergehen ihrer Artgenossen besorgt, ohne dadurch gleich ihren Rang und den Respekt der anderen Pferde zu verlieren.
Jedes Reiter-Pferd-Paar sollte sich jedoch am besten selbst die zu ihm passenden individuellen Bedingungen �aushandeln�. Wie immer heißt es aber, ein gesundes Mittelmaß zu finden und den Begriff �Freundschaft� nicht falsch zu verstehen, denn ansonsten können im Umgang mit Pferden sehr wohl große Probleme entstehen, was ich Ihnen nächste Woche genauer erläutern werde.
Kontakt | Heidelinde Keppel | | Hauptstr. 67A | A-2723 Muthmannsdorf | E-Mail › Heidelinde Keppel | | Tel. +43 2638/88023 | Mobil 0664/4992935 |
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