| ...Linda musste Bettina wirklich recht geben, denn der Begriff 'ungeduldig' stellte eigentlich eine gewaltige Untertreibung dar. Es war ihr neben ihrer Reitlehrerin sogar schon richtig mulmig geworden, da diese mit dem kraftstrotzenden Goldfuchs wirklich zu kämpfen hatte.
Abwechselnd scharrte er mit den Vorderhufen, tänzelte am Stand umher und schlug unwillig mit dem Kopf auf und ab. Bisweilen versuchte er sogar, nach seiner Ausbilderin spielerisch zu schnappen, was diese sofort mit einem kräftigen Ruck an der Longe quittierte. Doch das half nur wenig, denn der Dreijährige war erst vor wenigen Wochen kastriert worden und besaß immer noch das überschäumende Temperament eines Hengstes.
"Am besten wird es sein, wenn du mir heute einmal nur gut zusiehst, was ich so mache. Die genaue Erklärung aller Handgriffe liefere ich dir dann nächstes Mal bei einem ruhigeren Pferd. Wenn ich Sylvester nun rechtsherum longiere, ist es nur wichtig, dass du stets auf meiner linken Seite hinter der Peitsche bleibst und dich mit mir mitdrehst. Sollte dir dabei stärker schwindlig werden, musst du es mir natürlich sagen. Alles klar?"
Linda nickte und nahm ihre Position ein. Dann sah sie zu, wie Bettina den großen Fuchs mit ein paar Peitschenbewegungen auf die gewünschte Kreislinie hinaustrieb. Dieser wäre am liebsten gleich in vollem Tempo losgestürmt, doch wurde er durch mehrere kräftige Rucke an der Longierleine und die scharfen Worte seiner Trainerin sofort wieder zum Gehorsam ermahnt. An seiner gespannten Haltung konnte man allerdings auch schon im Schritt deutlich erkennen, wie er unter Strom stand, und sobald Bettina Trab verlangte, legte er unter heftigem Schnauben und Prusten auch sogleich in flottem Tempo los.
Als Belinda beim schnellen Mitdrehen die Hallenwände an sich vorbeirasen sah, wurde ihr sofort sehr schwindlig, doch bevor sie dies ihrer Reitlehrerin mitteilen konnte, hörte sie deren ermahnenden Kommentar: "Pass auf, gleich wird er einen kleinen Machtkampf beginnen!"
Im selben Moment ging das Spektakel auch schon los. Sylvester begann heftigst zu buckeln und versuchte gleichzeitig, aus dem vorgeschriebenen Kreis auszubrechen. Da Bettina jedoch mit dieser Aktion gerechnet hatte, gelang es ihm nicht. Sie ließ die Longierleine kurzfristig locker, um dann seinen Kopf mit einem plötzlichen kräftigen Ruck herumzureißen. Für den jungen Wallach kam dies vollkommen unerwartet und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Das verdatterte Pferd nun völlig zum Stillstand zu bringen, war jetzt für einen Profi wie Frau Wegner keine große Kunst mehr.
"Na, nun hast du gleich gesehen, warum es besonders wichtig ist, das longierte Pferd nie aus den Augen zu lassen. Ansonsten ist man vor allem bei jungen Tieren nie vor Überraschungen sicher. Diese Lektion wirst du wahrscheinlich nicht so schnell vergessen. Hab ich recht?"
Doch von der Angesprochenen kam keine Antwort. In deren Ohren rauschte es nämlich wie ein Wasserfall, alles drehte sich um sie, und der Schreck war ihr so in die Glieder gefahren, dass sie zu keiner Bewegung fähig war. Die besorgte Stimme ihrer Reitlehrerin hörte sie nur wie aus weiter Ferne.
"Linda, was ist los? Du bist ja ganz blass um die Nase. Setz dich kurz nieder! Das Ganze war anscheinend doch etwas zu viel für den Anfang."
Linda wollte gerade erwidern, dass dies nicht nötig sei, als sie auch schon auf dem Boden saß, denn ihre Beine waren einfach unter ihr weggesackt. Das Rauschen und Dröhnen in ihrem Kopf war nun so schlimm, dass sie nichts mehr mitbekam, was um sie herum passierte.
Erst ein sanftes Rütteln an ihrer Schulter holte sie wieder ins Reich der Sinne zurück. Benommen stellte sie fest, dass sie mittlerweile auf dem Boden lag, und sich jemand über sie beugte.
"Linda! Was ist mit dir? Kannst du mich hören? Gib mir doch wenigstens irgendein Zeichen, wenn du mich verstehst!"
Bettina Wegner ließ nicht locker, bis das Mädchen endlich ein schwaches Nicken zustande brachte.
"Na endlich! Bin ich froh, dass du wieder unter den Lebenden weilst. Warte, ich bringe dir ein Glas Wasser, dann wirst du dich gleich wieder wohl fühlen."
Kaum hatte sie dies gesagt, war sie auch schon weg.
Als Belinda sich nun langsam aufrichtete, fiel ihr erster Blick auf einen jungen, gut aussehenden Mann, der sie freundlich anlächelte. Am liebsten wäre sie vor Scham zur Gänze im Erdboden verschwunden, doch da dies nicht möglich war, lächelte sie etwas zaghaft zurück.
"Na, geht's wieder?", fragte der Mann Anteil nehmend.
Seine Stimme klang sanft und melodisch und ließ Linda leicht erschauern. Dieser große, schlanke Mann, der in geringer Entfernung von ihr den zuvor so unbändigen, aber jetzt friedlich wie ein Lamm wirkenden Goldfuchs festhielt, verfügte über eine enorme Ausstrahlung, die das scheue Mädchen vollkommen verwirrte.
"Ja, danke, alles in Ordnung!", stammelte sie verlegen.... | | |