Angebot für Kalenderwoche 05-15
"Du sollst mit dem Pferd während des Unterrichts nicht reden! Richtiges Reiten besteht nur aus körperlichen Hilfen. Du hast Deine Befehle mit den Zügeln, den Schenkeln und dem Kreuz zu geben, die Stimme hat da absolut nichts verloren!"
Solche und ähnliche Kommentare musste ich mir als jugendliche Reitanfängerin öfter anhören, da es mir schon immer ein dringendes Bedürfnis war, mit meinem jeweiligen Schulpferd aufmunternd oder beruhigend zu reden.
"Dieses Pferd ist nur mit Stimmhilfen zu reiten! Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen sind fast nicht erforderlich und sollten nur ganz fein gegeben werden, da das Pferd sehr sensibel reagiert!"
Diese Anweisungen erhielt ich Jahre später vom Verkäufer meines ersten Pferdes, der westerngerittenen Anglokabardiner-Stute �Pantera�.
Welch ein Kontrast! Ich fand diese Umstellung einfach herrlich! Endlich musste ich nicht mehr jeden Schritt mühsam mit den Schenkeln heraustreiben. In passivem Sitz mit abgespreizten Beinen und lose durchhängenden Zügeln (so wie es mir vom Profi gezeigt wurde) genoss ich dieses freie, unbeschwerte Reitgefühl anfänglich wirklich sehr.
Ein Zungenschnalzen brachte meine Stute im wahrsten Sinne des Wortes in Trab, ein weiteres Schnalzen beschleunigte das Tempo, ein �Bussi geben� ließ sie angaloppieren und ein leises �Whoa� (Ho!) war für sie das Zeichen, aus jeder beliebigen Gangart sofort abrupt zu stoppen.
Mit der Zeit allerdings musste ich feststellen, dass auch diese Form des Reitens so ihre Tücken hat. Erstens stürmte meine �Panti�, wie ich sie nenne, bei jeglicher � auch unabsichtlicher � Berührung mit den Beinen los, und zweitens wurde die stufenweise Verlangsamung durch ihr wirklich überempfindliches Maul sehr erschwert. Das gewohnte stimmliche Kommando brachte sie aber zum völligen Stillstand, was ich ja nicht immer wollte. Außerdem reagierte sie dabei auf jedes langgezogene �O�, sodass es mit Gefahren verbunden war, während eines Rittes mit anderen Reitern zu reden. Der Satz: "Wo sollen wir jetzt hinreiten?" oder auch die unbedachte Frage: "Was hast du gesagt?" in Mundart gesprochen: "Wos host g�sogt?" konnten einen mitunter schon in brenzlige Situationen bringen.
Abgesehen davon störte es mich auch, dass ich mit meinem Pferd nur in kurzen eindeutigen Kommandos sprechen sollte, weil es angeblich keine ganzen Sätze verstehen konnte. Diese �Weisheit� hatte ich auch schon auf dem Hundeabrichteplatz gehört und in diversen Fachbüchern gelesen, aber mein Gefühl sagte mir, dass das nicht stimmt. Schon als jugendliche Hundeabrichterin hatte ich bewiesen, dass man Kommandos auch in ruhigen, gleichförmig gesprochenen ganzen Sätzen geben kann, ohne dass es zu Missverständnissen kommt. Dies funktioniert zwar nur, wenn der Hund daran gewöhnt ist, das heißt, wenn man tagtäglich viel mit ihm spricht, doch genau genommen lernt ja auch ein Kleinkind nur auf diese Weise unsere Sprache!
Also habe ich diese Erkenntnisse auch auf den Umgang mit meinem Pferd übertragen, und siehe da � es funktionierte! Bereits nach wenigen Wochen hatte ich den Eindruck, dass meine �Panti� fast alles verstand, was ich so zu ihr sagte. Ich konnte sogar bei einigen Anweisungen zweisprachig mit ihr reden bzw. verschiedene Begriffe für ein und denselben Befehl verwenden. So verstand sie z.B. sofort ohne Probleme, dass "Back!" und "Zurück!" oder auch "Ruhig!" und "Langsam!" dieselbe Bedeutung haben.
Selbstverständlich verwende auch ich einen unterschiedlichen Tonfall, um meine lobenden, zurechtweisenden, aufmunternden oder beruhigenden Worte zu unterstreichen, doch tun wir das doch alle auch im zwischenmenschlichen Gespräch, das ist schließlich etwas ganz Natürliches. Dieselben Worte können auch bei einem menschlichen Gegenüber durch einen unterschiedlichen Tonfall eine ganz andere Bedeutung erlangen.
Meine Stute reagiert aber nicht nur auf den Tonfall, sondern tatsächlich auf den Inhalt meiner Sätze, und sie weiß auch zwischen �Befehlen� und �Vorschlägen� zu unterscheiden.
Da sie in jungen Jahren einige Zeit auf der Rennbahn verbracht hat, neigt sie im Gelände auf ebenen Flächen zum hitzigen Davonstürmen, wenn man sie mit dem üblichen Kommando (�Bussi geben�) angaloppieren lässt. Darum verwende ich draußen nur das langgezogene Kommando �Ruuuhig angaloppieren!�, wodurch sie auch wirklich vom ersten Galoppsprung an ein gemütliches Tempo an den Tag legt.
Zwei Jahre lang stand uns ein wunderbares Augelände zum Ausreiten zur Verfügung, wo ein langer Wiesenweg so richtig zum Galoppieren einlud. Um meine Stute nicht zu einem unkontrollierbaren Renner zu erziehen, habe ich es allerdings vermieden, bei jedem Ausritt auf derselben Strecke zu galoppieren. Dementsprechend gespannt wartete meine �Panti� fast immer auf das geliebte Signal, um dann mit einem freudigen Quietscher loszulegen, sobald es ertönte. Nur selten war sie nicht zum Galoppieren aufgelegt, was sie auch sofort deutlich zeigte, indem sie sich zuerst weigerte und dann einige unwillige Buckler absolvierte, bevor sie � ebenfalls als Trotzreaktion � heftig losstürmte.
Da ich � wie schon mehrfach erwähnt � auf die Wünsche meiner Pferde einzugehen versuche, und außerdem der Meinung bin, dass ein Ausritt der beiderseitigen Erholung dienen sollte, wollte ich meine Stute keinesfalls zum Galoppieren zwingen, wenn sie keine Lust dazu hatte. Aus diesem Grund habe ich mir angewöhnt, ihr den Galopp nicht zu befehlen, sondern nur anzubieten. "Wenn du willst, kannst du jetzt ruhig angaloppieren!" lautete nun mein Vorschlag, den sie � sofern sie tatsächlich Lust zum Galoppieren verspürte � sofort dankbar annahm. Stand ihr allerdings der Sinn mehr nach einem gemütlichen Schrittausflug, reagierte sie auf dieselben Worte nicht einmal mit der geringsten Beschleunigung.
Dieser Umstand zeigt deutlich, dass meine �Panti� den ganzen Satz in seiner vollen Bedeutung verstand. Sie wusste eigentlich auf Anhieb, dass es erstens ums ruhige Angaloppieren ging, und dass sie sich zweitens selbst dafür oder dagegen entscheiden konnte.
Aber auch wenn sie Angst vor bestimmten Dingen hat, die sie in der Ferne nicht deutlich erkennen kann (Pferde haben ein vortreffliches Bewegungssehen, sie können jeden beweglichen Punkt am Horizont wahrnehmen, aber ihre Sehschärfe lässt sehr zu wünschen übrig), wie z.B. ein Auto, ein Traktor, eine Menschengruppe oder auch ein Reh, kann ich sie nicht einfach mit irgendwelchen Erklärungen beruhigen. Erst wenn ich ihr genau sagen kann, um welche scheinbaren Gefahren es sich handelt, konzentriert sie sich wieder auf den Ritt.
Über diese Tatsache war ich anfangs selbst sehr überrascht, denn auch ich glaubte, dass nur meine beruhigende Stimme Bedeutung haben würde, doch dem war nicht so.
Bemerkt habe ich dieses Phänomen � welches wohl nicht bei jedem Pferd feststellbar sein wird � eigentlich zufällig, als ich einmal selbst nicht erkennen konnte, wovor sich meine �Panti� fürchtete. Also erklärte ich ihr einfach, dass es sich bei diesem in weiter Ferne sichtbaren Gebilde um ein Auto handle, worauf meine Stute aber nur noch nervöser wurde. Sie glaubte mir offensichtlich nicht, da dieses Gebilde sich nur langsam fortbewegte. Erst nach einiger Zeit, konnte ich endlich feststellen, dass dies eine wandernde Menschengruppe war, was ich meiner �Panti� sofort mit den Worten "Es sind nur Menschen!" mitteilte. Schlagartig veränderte sich ihr Verhalten und sie kümmerte sich fortan nicht mehr um dieses unheimlich aussehende Gebilde.
Damals nahm ich an, dass der Ausdruck �Menschen� sie beruhigt hätte, doch wenig später erlebten wir den genau umgekehrten Fall. Ich erklärte ihr beim Anblick eines langsam dahinzuckelnden Traktors, dass es sich nur um Menschen handle, doch meine kluge Stute schüttelte nur unwillig den Kopf und starrte weiterhin fasziniert auf den Punkt in der Ferne. Erst als ich sagte: "Das ist nur ein Traktor!" ließ sie sich davon überzeugen, dass keinerlei Gefahr bestand. Damit war eindeutig bewiesen, dass sie meine Worte tatsächlich verstanden hatte.
Solche Fälle erlebte ich im Laufe der Jahre noch oft, allerdings nur bei ranghohen und sehr klugen Tieren, alle anderen reagierten bloß auf den beruhigenden Ton in der Stimme, ohne darauf zu achten, was ihnen erzählt wurde.
Darum möchte ich Ihnen auch nicht vorschlagen, Ihre Kommunikation mit Ihrem Pferd nur auf die menschliche Sprache zu beschränken, denn erstens würde dies nicht bei jedem Tier gleich gut funktionieren und zweitens erfordert dies sehr viel Beschäftigung mit dem jeweiligen Pferd � möglichst einige Stunden pro Tag � was wohl nicht jedem Pferdebesitzer möglich ist.
Ich möchte damit nur die momentan sehr gängige Anschauung, man könne mit Pferden nur in deren eigener Körpersprache reden, ein wenig entkräften, und Ihnen Mut zu mehr Individualität machen. Sie sollten sich nicht dumm oder gar verrückt vorkommen, wenn Sie das Bedürfnis haben, mit Ihrem Pferd einfach so zu reden. Sofern Sie eine gute oder sogar innige Beziehung zu Ihrem Pferd haben, wird dieses Sie auch verstehen � das kann ich Ihnen garantieren!
Welche Möglichkeiten es noch gibt, um mit Pferden zu kommunizieren, und wie meine eigenen Erfahrungen diesbezüglich aussehen, werde ich Ihnen nächste Woche erzählen.
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