| ...Viele verschiedene Gedanken schossen durch Lindas Kopf. Auch der, dass sie unmöglich den schweren Körper eines ausgewachsenen Pferdes allein in die Höhe hieven könnte, trotzdem spürte sie den unbändigen Drang in sich, eben dieses schier aussichtslose Unterfangen zu versuchen. Sie warf alle Bedenken von sich und folgte nur noch ihrem Instinkt, als sie nun vorsichtig Ladys Box betrat.
Trotz der ruhigen Annäherung wurde in der sensiblen Stute sogleich wieder der Fluchtinstinkt wachgerufen. Nach einem kurzen, verzweifelten Aufstehversuch sank sie jedoch wieder kraftlos in ihr Strohbett zurück.
"Ist schon gut, Lady, ich tue dir doch nichts! Ganz ruhig, meine Schöne! Ich will dir doch bloß helfen!", sprach das selbst etwas erschrockene Mädchen beruhigend auf das verängstigte Tier ein.
Unter stetigem leisen Zureden begann sie nun, das durch das Strampeln der Stute zusammengeschobene Stroh wieder gleichmäßig in der Box zu verteilen, um so den glatten Boden abzudecken und dem Tier einen besseren Halt zu bieten. Dann versuchte sie ganz langsam, hinter die Stute zu gelangen, um diese durch Anheben ihres Kopfes und Gegendrücken an ihrer gesunden Schulter bei ihren Bestrebungen, wieder auf die Beine zu kommen, bestmöglich zu unterstützen.
"Keine Angst, Lady! Gemeinsam schaffen wir das schon! Du musst mir nur vertrauen und jetzt deine ganze Kraft zusammennehmen. Wenn du so liegen bleibst, stirbst du! Also komm, bemüh dich, ich helfe dir auch, so gut ich kann!"
Mit diesen Worten schob Linda ihren Arm unter den zierlichen Kopf des Pferdes und richtete ihn auf. Dann stemmte sie sich mit aller Kraft gegen den Hals des Tieres, um es zum Aufstehen zu ermuntern - doch vergeblich. Die erschöpfte Stute ruderte bloß ein wenig mit dem verletzten Bein in der Luft herum und rollte dabei angstvoll die Augen.
Tränen rannen über Lindas schmales Gesicht. Voller Verzweiflung schickte sie ein inbrünstiges Stoßgebet zum Himmel.
"Bitte, lieber Gott, hilf mir! Lass Lady bitte nicht sterben! Sie ist doch mein Traumpferd, und ich habe sie gerade erst gefunden. Du kannst sie mir nicht gleich wieder wegnehmen! So hilf mir doch, bitte!"
Schluchzend grub Belinda ihre schlanken Finger in das schweißverklebte, einst so seidige Fell der edlen Stute und wünschte sich zum ersten Mal in ihrem jungen Leben, groß und kräftig zu sein wie der stärkste Mann der Welt, während sie mit tränenerstickter Stimme auf das nun regungslos daliegende Pferd einredete.
Da ging plötzlich ein heftiges Zittern durch den mächtigen Leib, und der angstvolle, erschöpfte Ausdruck in den braunen Augen wich einem energischen Funkeln. Das eben noch kraftlose Tier richtete sich mit einem Ruck auf und stand - als das Mädchen es geistesgegenwärtig mit kräftigem Druck an der Schulter unterstützte - im nächsten Augenblick auch schon auf seinen Beinen.
Die Tränen, die nun über Lindas Wangen strömten, waren Ausdruck höchsten Glücks. Überschwänglich schlang sie die Arme um den Hals ihres Traumpferdes und grub ihr Gesicht erleichtert aufseufzend in das von der Anstrengung schweißdampfende Fell. Die auf noch sehr wackligen Beinen stehende Stute ließ dies ohne Gegenwehr mit sich geschehen, doch ihr misstrauischer Blick verriet, dass ihr Vertrauen in die Menschen noch nicht wiederhergestellt war. | | |