| | | | Hilfengebung: Aus dem Stand in den Galopp | | | |
| | | Handschuhe als Gertenersatz | | | |
| Wenn ich es mir recht überlege, ist dem Kapitän schon lange klar, dass die Braut nicht zu ihm passt. Nun scheint er alt und welterfahren genug zu sein, um zu wissen, dass das Leben immer seine Ecken und Kanten hat und man generell mit mehr oder weniger starken Kompromissen leben muss. So interpretiere ich seine Entscheidung für diese Frau als Resultat einer Abwägung aller Umstände. Er wird schon im Osten gesehen haben, wie unreif und verzogen diese Frau ist und dass das Leben mit ihr nicht leicht werden wird. Als Kapitän auf See ist er ja nicht geboren, er hat, wie er mehrfach durchblicken lässt, schon einiges hinter sich, und musste in der Seefahrt ganz unten anfangen, obwohl er aus einer Reederfamilie stammt. So muss er zum Schluss gekommen sein, dass weder die Seefahrt noch die Reederei das sind, womit er den Rest seines Lebens verbringen möchte. Eine Existenz als Rancher in Texas könnte er sich vermutlich als vergleichsweise sehr angenehm vorgestellt haben. Wer weiß, was seine Braut ihm alles erzählt hat? Und wenn ihm auch das ein oder andere daran nicht so recht gefallen haben mag, so wird er sich doch gesagt haben, dass alles das zu den Unwägbarkeiten des Lebens gehört, die man in Kauf nehmen muss. Außerdem: Welche Erfahrungen mit Frauen wird er gehabt haben? Als Seemann ist man lange unterwegs, und wenn man dann einmal an Land ist, hat man kaum Gelegenheit, die richtigen Erfahrungen zu sammeln. Seine gute Herkunft wird ihn zweifellos mit passenden Partien in Verbindung gebracht haben, aber das muss nicht unbedingt heißen, dass er hat Erfahrungen sammeln können. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass er auch gegenüber Leuten seiner eigenen Herkunft inzwischen gewisse Vorbehalte hegt. Wer in der Welt herumkommt, lernt unvermeidlich viel Neues kennen und gewinnt Abstand zu dem Gewohnten. So mag es zu den Konsequenzen seiner bisherigen Lebensgeschichte auch gehören, dass er dem Dunstkreis des Ostküsten-Geldadels ebenfalls entrinnen möchte. Mit einer Braut aus diesen Kreisen würde ihm das kaum gelingen, im weiten Westen vielleicht schon. Die Braut ist sicherlich von der Ostküstenkultur und dem Reichtum seiner Familie geblendet gewesen. Die frühen Siedler in den USA haben ja versucht, die kulturellen Errungenschaften Europas in die Wildnis herüberzuretten, und mit ihnen auch die gesellschaftlichen Strukturen. Zwar hatte man keinen Adel, obwohl auch viele Adelige Europas in die Neue Welt gefunden haben, es hat sich aber doch ziemlich schnell eine ganz ähnliche Struktur herausgebildet, lediglich auf der Grundlage anderer Werte. So stellen bis heute die Nachkommen der ersten Siedler eine Art Adel in den USA dar, wie überhaupt die Abstammungsverhältnisse nicht nur für die einzelne Person, sondern auch für deren gesellschaftliche Einordnung bis heute sehr wichtig ist. Jeder weiß, aus welchen (möglichst nordeuropäischen) Ländern seine Vorfahren kamen, und zwar in welcher Generation. Die Terrills werden im Film als blond und blasshäutig dargestellt, woraus man schließen kann, dass sie beziehungsweise ihre Vorfahren vermutlich aus Irland stammen. Nicht gerade vom Feinsten. Die McKays hingegen werden aus Schottland kommen, wie schon der Name andeutet. Inwieweit in diesem Film auch Klischees der Nationalitäten bedient werden, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall sind die Terrills impulsiv, starrköpfig, machthungrig, materialistisch, während der Kapitän genau das Gegenteil verkörpert. Er ist bedächtig, nachgiebig, ausgleichend und anspruchslos. Der zukünftige Schwiegervater sieht wohl, aus welchem Holz sein zukünftiger Schwiegersohn geschnitzt ist, aber er traut sich ohne weiteres zu, diesen vollkommen umzudrehen und einen "echten Terrill" aus ihm zu machen. Der Zuschauer bezweifelt das natürlich, und der Menschenkenner weiß, dass er das niemals schaffen wird. Der feine Kapitän ist diesem einfachen Raubein um ein Vielfaches überlegen. Mit dem Ritt auf dem unreitbaren Bronco und dem unentschieden ausgetragenen Faustkampf mit dem Vormann hat er bewiesen, dass er keineswegs ein Weichei ist und seinen Mann stehen kann, wenn er will. Mit seiner differenzierten Weltsicht ist er allerdings für die einfachen Leute dort auf dem Lande, die gegenüber dem zivilisierten Mann aus dem Osten als primitive Gewaltmenschen auftreten, vollkommen unverständlich.
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