| | Der Cowboy im Schlafanzug | | | |
| | | | In den frühen Morgenstunden, sie wälzt sich unruhig im Schlaf, steht er schon auf der Veranda und überlegt. Er schaut hinüber zu den Hütten, in denen wohl die Cowboys untergebracht sind, geht schließlich hinüber und klopft an eine Tür. "Schon wieder verirrt?" begrüßt ihn der Vormann, der sich mühsam aus dem Schlaf kämpft. Der Kapitän verkündet ihm, dass er abreisen wird, und möchte sich von ihm verabschieden, allerdings braucht er dazu mehr Platz als in dem kleinen Zimmer.
Der Vormann versteht und versicherte ihn, dass man auf den 500.000 Morgen dieser Ranch sicherlich ein Plätzchen finden wird. Der Kapitän möchte, dass die Sache unter den beiden bleibt und sich nicht rumsprechen wird. Das versteht der Vormann, weil er davon ausgeht, dass er den Kapitän fürchterlich verdreschen wird und dieser keine Zeugen seiner schmählichen Niederlage haben will.
Der Zuschauer erinnert sich natürlich an dieselbe Verpflichtung Ramons, bei der der Kapitän sich wunderbar bewährt hat. Merkwürdigerweise wollte er nicht, dass irgendjemand etwas von seinem Triumph erfährt. So ist sich der Zuschauer keineswegs so sicher wie der Vormann, dass der Kapitän den Kürzeren ziehen wird. Sollte es vielleicht so sein, dass er umgekehrt mit dem Vormann kurzen Prozess machen wird?
Der Vormann schlief übrigens in seinen langen Unterhosen und nacktem Oberkörper. Ansonsten hatte er vermutlich das in den USA übliche dünne Laken und darüber eine Decke. Die hierzulande gewohnten Federbetten, der Inbegriff der Behaglichkeit, kennt man dort merkwürdigerweise nicht.
Zumindest ist es dem Kapitän gelungen, den Vormann zu verblüffen. Das hätte er nicht gedacht, dass der Kapitän ihn doch noch zum Kampf herausfordern wird. Er kann das nur als Verrücktheit deuten. Der Kapitän verliert keine langen Worte. Aus der Vogelperspektive sieht man sie in die Prärie marschieren, im Hintergrund wie Punkte Gruppen von Rindern. Unglaublich, welche Mühe sich die Filmleute machen - oder sollten sie dort gedreht haben, wo solche Rinder ohnehin herumlaufen?
Im Mondlicht stellen sich die beiden auf, der Kapitän im weißen Hemd, schleichen umeinander herum, und dann schlägt der Vormann zu und der Kapitän klappt zusammen, im Magen getroffen, aber der richtet sich gleich wieder auf, schickt ein paar Haken hinterher und den Vormann zu Boden.
Das hatte der nun nicht erwartet, er wälzt sich im Staub und steht wieder auf. Und schon wieder kriegt er einen Haken und geht zu Boden. Diesmal braucht er deutlich länger, um wieder auf die Beine zu kommen.
Nun greift er zu einem Trick und stürzt sich mit seinem ganzen Körper auf den Kapitän, so dass der zu Boden fällt, wo ihm der Vormann einen ordentlichen Haken verpasst und noch gleich einen zweiten hinterhersetzt. Jetzt kassiert der Kapitän ein paar Haken hintereinander, und als der Vormann sich wieder auf ihn stürzen will, ist der vorbereitet und hebt ihn auf und hebelt ihn über sich hinweg, so dass der zu Boden stürzt.
Allmählich sind die beiden schon etwas angeschlagen, der Vormann kann sich kaum noch auf den Beinen halten, der Kapitän schlägt auch mal daneben, dann gehen beide zugleich in die Knie, schließlich liegen sie beide am Boden und schauen sich an. Das weiße Hemd des Kapitäns ist blutbefleckt, sie kriegen kaum Luft, und dann sagt der Vormann: "Los, weiter!" Tja, so sind sie, die Cowboys.
Der Kampf zieht sich hin, Musik setzt ein, es setzt noch einige Haken, aber bei beiden ist die Luft raus. Sie liegen wieder am Boden und schauen sich an. Dann hält der Vormann eine Rede: "Ich sage Ihnen, McKay, das ist der längste Abschied, den ich je genommen habe." Der Kapitän kann kaum antworten und bietet an, aufzuhören. Der Vormann nimmt das Angebot an. Vermutlich ist er jetzt ganz froh, dass niemand gesehen hat, wie gut sich der Kapitän geschlagen hat.
Als beide wieder stehen, schwer atmend, sagt dieser: "Nun sagen Sie mir, Leech, was haben wir damit bewiesen?" Darauf weiß der Vormann natürlich keine Antwort. Der Kapitän wendet sich ab und geht zurück. Die Kamera behält den Vormann im Blick und lässt diesen Satz wirken. Der wiederum lässt den Kampf auf sich wirken und die unerwarteten Eindrücke, die ihm den Kapitän als einen ganz anderen Mann erscheinen lassen. So einer ist ihm noch nicht untergekommen. Er kann sich keinen Reim darauf machen.
Eine Kutsche mit zwei Pferden fährt zurück durch das große Tor, das die Grenze des Besitzes kennzeichnet, und es sitzen zwei Männer darauf, vermutlich der Vormann und der Kapitän. Das Verhältnis von Braut und Bräutigam ist ziemlich angeschlagen, aber auch der Vormann konnte gegenüber der Braut nicht punkten. Vermutlich hätte ihm das auch gar nichts genützt, denn für diese ist er einfach kein Partner. Er kommt schlicht nicht in Frage. Und ob er für den Major in Frage kommen würde, ist ebenfalls nicht klar.
Was macht der Kapitän jetzt in der "Stadt"? Welche Schlüsse zieht er aus den neuesten Vorkommnissen? Wie wird die Angelegenheit weitergehen? Es ist ja ein Film, und deshalb muss es Schlag auf Schlag gehen, der Zuschauer darf sich nicht langweilen, er muss bei Laune gehalten werden. Die Rabauken, die alles mit Gewalt lösen wollen, sind dem Kapitän bisher noch nicht gewachsen. Was ist der nächste Schachzug?
Quellen / Verweise
Abbildungen
› Werner Popken
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