Das Eingreifen der Karl-May-Freunde war unter anderem auch deshalb notwendig, weil der Karl-May-Verlag, autorisiert durch die Witwe Klara May, nach Belieben mit dem Originaltext verfuhr. Wie sehr die urspr�ngliche Intention gelitten hat, macht Avenarius durch Analysen und Zitate deutlich: | Dies ist auch einer der Hauptunterschiede zwischen May in Originalausgaben und May in den KMV-"Bearbeitungen" oder bearbeitenden fremdsprachlichen �bersetzungen: in solchen Bearbeitungen wird zumeist das Actionreiche betont und hervorgehoben, das Kom�diantische und Philosophische geschw�cht oder ganz beseitigt. Der Endeffekt ist, da� die f�r Karl May typische Mischung von handlungsbetonten, kom�diantischen und philosophischen Erz�hlelementen verloren geht; beim Lesen einer solchen Bearbeitung oder �bersetzung gewinnt man dann den Eindruck, als l�se man eine Nachahmung einer Mayschen Reiseerz�hlung statt Karl May selbst. Avenarius, a.a.O., S. 40 | | | Wenn Sie Karl May gelesen haben, k�nnte es also sein, da� Sie in Wirklichkeit gar nicht Karl May gelesen haben, sondern eine Bearbeitung, die Karl May bis zur Unkenntlichkeit verstellt hat. Avenarius bringt dann im Zuge seiner systematischen Analyse eine Originalszene, die ausnahmsweise aus reiner Action besteht und zugleich ein vorz�gliches Beispiel f�r eine Glanzleistung des Autors ist: | Als ein gl�nzendes Beispiel von ausschlie�lich Action-orientierten Textpassagen in Mays Reiseerz�hlungen mag ein Auszug aus dem abschlie�enden Kapitel des sechsb�ndigen Orientzyklus dienen; seit 1892 ist dieses Kapitel als Kapitel 7 (�In der Verr�ter-Spalte�) von DER SCHUT bekannt. Wenn auch der gesamte Roman, also DER SCHUT, May weniger gut gelungen ist, ist sein 7. Kapitel auch wegen der nachfolgenden Szene als eines von Mays gr��ten Meisterst�cke zu bezeichnen: Sechzig Meter hatte ich den Schut vor mir gehabt; es wurden f�nfzig, vierzig, drei�ig, jetzt zwanzig Meter. Er h�rte den Hufschlag meines Pferdes so nahe hinter sich, drehte sich um und schrie entsetzt: "Allah seni dschehenneme h�km etsin ej k�pek - Allah verdamme dich in die H�lle, du Hund!" Er zog sein Pistol und feuerte es auf mich ab, doch ohne zu treffen. Dann schlug er den Schaft desselben dem Pferd auf den Kopf, da� es mit Anstrengung seiner letzten Kr�fte wie rasend dahinflog. Vergeblich! Ich war f�nfzehn Meter hinter ihm, nun nur noch zehn, jetzt sechs. "Pa� auf, Schut, jetzt hole ich dich!" rief ich ihm zu. "Kein Mensch und kein Teufel kann dich retten!" Er antwortete mit einem �berlauten Schrei, der fast ein Gebr�ll zu nennen war. Ich glaubte, dies habe er vor Wut getan, und schwang die Schlingen des Lasso um den Kopf. Aber da sah ich, da� er sein Pferd zur Seite rei�en wollte. Es gelang ihm nicht. Das Tier befand sich einmal im Schu� und war durch die Schl�ge auf den Kopf wie toll geworden. Ein zweiter Schrei, wie ihn ein Mensch nur in der h�chsten Not, im gr��ten Entsetzen auszusto�en vermag! Was war das? Das war nicht Wut, sondern Todesangst! [�] Der Schut und ich, wir hatten keine Zeit, auf einander zu achten. Jeder hatte mit sich und seinem Pferd zu tun. Aber er br�llte mir, als ich an ihm vorbeischo�, einen Fluch zu. Nun war der Spalt da. Straff die Z�gel, legte ich mich weit nach vorn nieder. "Rih, hallak, 'ali, 'ali - Rih, jetzt, hoch, hoch!" rief ich. Mein Auge war in starrer Angst nach der gegen�berliegenden Felsenkante gerichtet. Wie breit der Spalt war, das sah ich nicht; ich fixierte nur den gegen�berliegenden Punkt, welchen ich erreichen wollte, und der �ber einen Meter h�her lag, als derjenige, an welchem ich mich h�ben befand. Das brave, unvergleichliche Tier setzte an und scho� hoch empor. Einen halben Augenblick lang befand ich mich �ber der grauenhaften Tiefe. Ich lie� die Z�gel schie�en und warf mich nach hinten, so gef�hrlich und unsinnig dies auch erscheinen mag. Ich mu�te das tun, um das Vorderteil des Pferdes zu entlasten und nicht abgeworfen zu werden. H�tte ich mich nicht nach hinten geworfen, so w�re ich verloren gewesen; denn trotz der Unvergleichlichkeit des Rappen und trotz der Kraft, mit welcher er sich �ber den Abgrund schnellte, gelang der Sprung nicht vollst�ndig. Rih fa�te nur mit den Vorderhufen das Gestein. "'ali, 'ali!" schrie ich abermals und warf mich nach vorn, dem Pferde den Lasso, welchen ich noch in der einen Hand hielt, nach hinten unter den Bauch und zwischen die Beine schlagend. Dadurch wurde die Hinterhand entlastet. Rih hatte noch nie einen Schlag von mir erhalten. Als er den Lassohieb an dem empfindlichsten Teil seines K�rpers f�hlte, warf er die Hinterhufe hoch an den Bauch herauf, kr�mmte sich zusammen, da� der Sattelgurt zerplatzte, und - - fa�te nun auch hinten Fu�. Ein gewaltiger Sprung - ich st�rzte mit dem Sattel herab, und das Pferd scho� noch eine Strecke vorw�rts, um dann stehen zu bleiben. Das Alles hatte nat�rlich nur eine, nur zwei Sekunden gedauert. Ich raffte mich auf und blickte zur�ck. Da setzte eben der Rappe des Schut an. Er erreichte die diesseitige Kante nicht einmal. Ein Schrei, ein bluterstarrender Schrei, und Ro� und Reiter st�rzten in die Tiefe. Mein ganzer K�rper war wie Eis. Ich trat an den Spalt heran. Himmel! Er war wenigstens f�nf Meter breit! So sch�tzte ich ihn, doch ist es bekanntlich nicht leicht, die Breite eines Wassers oder eines tiefen Risses genau abzusch�tzen. Man irrt da sehr leicht. Und seine Tiefe war so bedeutend, da� ich den Grund gar nicht sehen konnte. Es lag eine dichte, schwarze Finsternis da unten. DER SCHUT (1888), Kap. 7, S. 441-443 Avenarius, a.a.O., S. 40,41 | | | Diese Szene wurde auch von Barbara Siebert f�r ihre Diskussion der Reitk�nste Karl Mays ausgew�hlt.
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