Nun beschäftigt sich die Menschheit schon Tausende von Jahren mit Pferden und streitet sich immer noch und immer heftiger über alles, was mit Pferden zusammenhängt. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß nicht alle sich teilweise widersprechenden Theorien und Schulen recht haben können, und daß möglicherweise sogar keiner von ihnen die Wahrheit genau treffen könnte. Denn wenn dem so wäre, gäbe es vermutlich keinen Streit mehr.
Aber das ist dummes Zeug. Schon die Absichten der Menschen sind höchst unterschiedlich. Für Sportler sind Pferde mehr oder weniger Material. Daß sie zu ihren Pferden eine emotionale Beziehung entwickeln können und sich um diese genau so rührend sorgen wie andere Pferdefreunde auch, widerspricht dem nicht. Autofahrer entwickeln zu ihren Fahrzeugen ebenfalls eine emotionale Beziehung und sorgen sich rührend um diese - trotzdem bleibt das Fahrzeug Mittel zum Zweck.
Vielleicht löst sich die Verwirrung ein bißchen, wenn man die Beziehung des Menschen zum Pferd generell ins Auge faßt. Diese vor allem ist in unserer Zeit in Bewegung geraten. In früheren Zeiten war das Pferd zweifellos Mittel zum Zweck und nichts anderes. Natürlich hat der Bauer oder der Kavallerist eine Beziehung zu seinem Pferd gehabt, denn er hing ja von ihm ab. Das Pferd war wertvoll, eine entsprechende sorgfältige Pflege also selbstverständlich. Trotzdem war das Pferd nichts anderes als heute der Traktor oder der Panzer.
Das Pferd als eigenständiges Wesen zu betrachten ist möglicherweise eine völlig neue Entwicklung. Das wird besonders deutlich, wenn wir uns andere Tierarten anschauen, die im bäuerlichen Betrieb ähnlich lange gelebt haben, nämlich Tausende von Jahren: Hühner, Schweine, Schafe, Ziegen, Kühe. Das ist alles nach wie vor Vieh für uns, ganz im Gegensatz zu den Pferden.
Astrid Lindgren hat in ihren Michel-Geschichten nicht nur die persönliche Beziehung zu einem Pferd ausgemalt, nämlich zu Lukas, sondern auch zu einem Schwein. Soweit ich mich erinnern kann, gibt es unter den vielen Konflikten Michels mit seinem Vater keinen, der sich darauf bezieht, daß er eine sehr persönliche Beziehung zu seinem Pferd hat. Es gibt aber viele Konflikte bezüglich des Schweins.
In der Beziehung zu Schwein kann die zweckgerichtete Haltung des Bauern viel prägnanter herausgearbeitet werden. Das Schwein wird nur gefüttert, damit man es schlachten kann. Deshalb darf der Bauer gar keine allzu persönliche Beziehung zu seinem Schwein entwickeln. Und indem Michel sich das herausnahm, erregte er den wilden Zorn seines Vaters. Dabei konnte er mit dem Schwein sogar noch besser kommunizieren als mit dem Pferd, denn das Schweinchen ist schlau. Aber das ist eine andere Geschichte.
Soeben habe ich mein Galeriebeitrag Michel aus Lönneberga nachgelesen, und siehe da, es geht in diesem Beitrag darum, daß ein Pferd sich nicht beschlagen lassen will. Auch die Bauern in Schweden wollten ihre Pferde unbedingt beschlagen lassen.
| Für mich ist wichtig, das Michel sich erstens in das Pferd hineinversetzt und zweitens mit ihm spricht, von gleich zu gleich. Er nimmt das Pferd ernst und betrachtet es als einen Partner, mit dem er kommunizieren kann. Wenn die Kinder das im frühesten Alter schon lernen, wie soll dann später etwas schiefgehen? a.a.O., Abschnitt "Lukas" | | |
Wie war das eben noch mit Alex Brollo? "Hast du Zeit?" Astrid Lindgren hat diese Geschichten natürlich erfunden, als die betreffende Epoche schon längst vergangen war. Was wußte Astrid Lindgren über Pferde und Hufeisen? Vermutlich nicht so furchtbar viel. Die Geschichten von Astrid Lindgren haben aber auf die jetzt lebenden Menschen erheblichen Einfluß gehabt. Die Art und Weise, wie wir über Pferde denken, wird ja auch durch unsere Lektüre beeinflußt. Alex denkt wie Michel.
Aber es wird Zeit, daß ich zu unserem Thema zurückkehre. Ich bin Ihnen noch etwas schuldig. Was ist vom Vortrag Heymerings zu halten?
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