Ca. ein Jahr nach Bellas Tod kam ich dann zu Krabat, dem Connemara eines Bekannten. Letzterer hatte als berufstätiger Familienvater wie ich wenig Zeit und so hatten wir beide und Krabat was davon, wenn ich mich um ihn kümmerte, inklusive Hufpflege. Krabat hatte sein ganzes Leben keine Eisen und ich dachte, die Hufpflege ist mit ein bisschen Raspeln erledigt. Von ihm durfte ich lernen, ihn nicht dauernd mit Bella zu vergleichen. Auch zeigte er mir, wie sich ein entspanntes, neugieriges und zufriedenes Pferd gibt. Abgesehen von den superbequemen Bewegungen hatte er mit einer Bella in jüngeren Jahren nur den Rang in der Herde gemeinsam: Ziemlich weit oben. Das war auch der Grund, warum er trotz seines Charmes noch keine dauerhafte Beteiligung hatte - die Mädchen, die es versuchten, hat er nach Strich und Faden vera... In allen weiteren Belangen war Krabat das Gegenteil von Bella: Wallach statt Stute, eher faul statt lauffreudig, dafür immer zu Späßchen aufgelegt statt würdevoll oder mißtrauisch Abstand zu halten. Auch hatte er seit seiner Jugend ein schönes Pferdeleben in der Herde statt den Mißhandlungen, die Bella durchgemacht hatte, bevor ich sie kaufte. Auch die Hufe waren ganz anders: Genauso hart, aber statt untergeschoben, waren seine Trachten hoch und die Hufkapsel eng, ein Zwanghuf, bei dem der Strahl zwischen die Trachten geklemmt war und bei dem es immer wieder Fäule gab. Die langen Hornwände waren schön anzusehen - mit den Augen von Menschen, die den Anblick beschlagener Hufe als normal kennen. Er hatte ständig Steine in der weißen Linie und natürlich war der Tip des Schmieds in unserem Stall: Eisen drauf! Das war aber nicht mehr mein Ding. Im Gegensatz zu der Zeit, in der ich mit der Reiterei angefangen habe, waren Hufpfleger verschiedener Coleur mittlerweile öfter zu sehen und die löcherte ich mit Fragen. Durch einen Tip kam ich zu Büchern von Frau Dr. Hiltrud Straßer, Gesunde Hufe ohne Beschlag, Band I-III. Das Bestechende an diesen Büchern ist meiner Ansicht nach die Logik, die mit klarer und verständlicher Sprache "rüberkommt" - auch wenn einige Details aus den ersten Bänden in späteren Werken revidiert wurden. Mit diesen Hilfen arbeitete ich weiter, in verschiedene Sackgassen hinein und wieder heraus, aber grundsätzlich in eine positive Richtung: Krabat konnte und wollte endlich auch auf Kieswegen gehen, wich nicht mehr selbständig auf weichen Boden aus. So klamm wie am Anfang ging er nur an den "Umkehrpunkten" der erwähnten Sackgassen oder wenn ich zu lange nicht ausschnitt. Nachlässigkeit wurde ziemlich prompt bestraft, mit Strahlfäule und noch mehr Steinchen, die noch tiefer aus der weißen Linie ausgegraben werden mußten. Irgendwas fehlte, der Status war mir zu sensibel und instabil. Ich merkte immer wieder: Ich weiß zu wenig über die Zusammenhänge und meine Bücher allein gaben nicht genug her. Ich wußte damals zwar, daß man Zwanghufe durch speziellen Schnitt weiten konnte, aber offensichtlich hatte ich den noch nicht drauf. Mir war klar, daß es nicht nur an der Philosophie Barfußlaufen an sich lag, aber daß schon etwas daran war, wurde mir zusätzlich bestätigt: Im Stall gab es das große Warmblut einer kleingewachsenen Bekannten, die das Pferd geerbt hatte, sich aber mit ihm nur wenig beschäftigten mochte. Er war ein Brauner mit dem passenden Namen Bertl, ein liebenswerter Reitelefant, war mit seinem etwas derben Gemüt lieb und dankbar, und alles an ihm war im Vergleich zum Connemara groß, vom Kopf bis zu den Hufen. Er hatte rundherum Strahlfäule und einen Hornspalt von der Krone abwärts - so bot ich der Besitzerin an, ihm die Eisen runterzureißen, damit sich seine Hufe erholen konnten. Die Besitzerin war zu dem Zeitpunkt gesundheitlich angeschlagen, hatte keine Reitbeteiligung und war somit froh über mein Angebot. Da ich zu der Zeit arbeitslos war, konnte ich mich auch draufsetzen und schauen, ob er wirklich so schlimm faul, träge und lustlos war. Also kamen die Eisen runter, ich schnitt ihn aus und dann gings raus ins Gelände. Das hatte er nämlich, abgesehen vom Koppelgang, nur selten gesehen, denn er war wegen der Angst der Besitzerin zum Hallenpferd verurteilt worden. Ja war das eine Freude! Er durfte endlich mal so lange er wollte geradeaus durch den Schnee galoppieren und war mit Spaß dabei. Mir hat es auch gut getan: Durch seine runden, aber riesengroßen Bewegungen hatte ich für meine steifen Knochen Physiotherapie der allerbesten Art. Zwar wurde er nicht zum spritzigen Vollblüter, aber deutlich lebendiger, und schon nach 3 Wochen sah man die ersten Früchte des Barfußgehens: Vom Kronrand kamen 1 1/2 cm wunderbares Horn und der Hornspalt war dort geschlossen. Die Tragränder brachen nur wenig aus, obwohl Bertl jeden Tag auf die gefrorene Koppel kam. Ein ganz normales Warmblut kann also auch barfuß laufen, nicht nur Ponies und Pferde mit viel arabischem Blut. Leider waren auch im Fall Bertl die wirtschaftlichen Aspekte wichtiger als das Pferd. Die Besitzerin wurde wieder gesünder und wünschte sich eine zahlende Reitbeteiligung, die sich dann auch fand. Ich durfte mich zurückziehen und auf Bertl´s Hufe kamen wieder Eisen drauf. Es tat mir weh, diesem Unverstand tatenlos zusehen zu müssen. Die neue Reitbeteiligung hielt nicht lange durch, denn Bertl fand Hallenreiten auch bei ihr doof. Irgendwann kam dann ein zierliches Mädchen, das ihn wirklich liebte. Mit ihrer Ansprache blühte er psychisch auf, wie ich mir sagen ließ, im Gegenteil zu der Tristesse, in der er ansonsten gefangen war. Der arme Kerl stand viel allein in seiner Box, weil die Nachbarpferde Stuten waren und in ihrer Hälfte des Tages in die Stutengruppe kamen. Er kam mit den Wallachen in der anderen Hälfte raus, hatte dort aber nicht viel zu melden. Mittlerweile ist er an einer Kolik gestorben - in meinen Augen hat er sich selbst erlöst. Ich habe für mich schon Jahre zuvor beschlossen: Wo ich es in der Hand habe, wird kein Pferd in einem Käfig leben.
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