Der Sektenexperte und Diplompsychologe Dieter Rohmann beginnt sein Vorwort wie folgt:
| Kürzlich las ich in einer Ausgabe des "Süddeutsche Zeitung Magazins" ein Zitat des Musikers und Produzenten Pharrell Williams an seine Fans: "Laßt euch nicht bevormunden. Ich bin für das Recht, alle Fehler des Lebens selber machen zu dürfen." a.a.O., Seite 7 | | |
Wunderbar! Weshalb Rohmann den Schluß zieht, die Autorin habe dieses Recht abgegeben, ist mir allerdings so nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung, Klaus alias Rolf zu folgen, war ihre eigene, und offenbar ein großer Fehler, also ihr gutes Recht. Wenn wir durch Fehler lernen, möglicherweise nur durch Fehler lernen können und deshalb unbedingt das Recht in Anspruch nehmen müssen, Fehler machen zu dürfen - wo ist das Problem? So gesehen konnte das Experiment eine phantastische Möglichkeit darstellen, zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Daß die Zeit bei Rolf kein Honigschlecken war, wie versprochen, ist Teil der erwünschten Erfahrung. Soweit erkennbar, hat die Autorin sich aber auch schon davor fremdbestimmen lassen. Der gescheiterte Selbstmordversuch, mit dem das Buch beginnt, ist vermutlich die Konsequenz dieser Haltung. Die schlimmen Erfahrungen in Spanien haben es nicht vermocht, ihr Selbstbewußtsein zu stärken. Ein Beispiel: Sie ist mit einem neugeborenen Kind dorthin gefahren und hat es zugelassen, daß dieses Kind von Leuten, die keine Erfahrung mit Kindern haben, "behandelt", ich würde sagen: mißhandelt worden ist. Nicht einmal das hat sie wachrütteln können.
| Doch nach wie vor hatten alle etwas an meiner Erziehung von Adrian auszusetzen. Als Adrian eines Abends wieder einmal nicht aufhörte zu weinen, platzte Petra der Kragen. "Das ist ja unmöglich, was du aus dem Kind machst", tobte sie, "so würde ich mein Kind nie erziehen. Er tyrannisiert dich ständig." [...] "Du hast nicht die richtige Einstellung dazu", meinte Petra, "das merkt er. Deshalb klappt es auch nicht. Dem treibe ich jetzt aber den Teufel aus, ich hab genug!" Petra sah mich entschlossen an. "Du gehst jetzt am besten raus, wenn du es nicht ertragen kannst, daß er schreit. Wir sind ja bei ihm. Wir lassen ihn schreien, er wird dann schon aufhören, wenn er merkt, daß er keinen Erfolg damit hat. Vertrau uns endlich einmal", sagte Petra hart. [...]
Nach diesem Vorfall hatte ich den Eindruck, daß Adrian Schaden genommen hatte. Es mußte ein sehr traumatisches Erlebnis für ihn gewesen sein, denn er hatte jetzt noch weniger Vertrauen und hing viel mehr an mir, weil er Angst hatte, daß ich wieder weggehen könnte. a.a.O., Seite 117 | | |
Hat die Autorin sich schließlich von ihrem Unterdrücker lösen können? Das ist nicht so einfach. Immer wieder zeigten sich Mitglieder nicht würdig, versagten in den Augen des Pferdeschamanen, und wurden weggeschickt.
| Auch Linda kam nicht mehr zurecht. Sie war nicht mehr bei der Sache, wenn sie das Haus putzten, so daß Rolf immer etwas auszusetzen hatte. Linda war kurz nach der Sommerschule nach Spanien gekommen. Ganz am Anfang hatten sie und Rolf eine kurze Affäre miteinander. Linda war wohl immer noch in Rolf verliebt. Das schien alles zu sein, was sie hier hielt. Selbst daß Rolf schon zwei Frauen hatten, mit denen auszukommen sehr schwer war, schien sie nicht zu stören. Sie hoffte auf eine Erneuerung ihrer Beziehung mit Rolf. Es gab oft Spannungen zwischen den Frauen von Rolf, weil sie trotz Rolfs Bemühungen, sie davon abzubringen, eifersüchtig aufeinander waren. Wenn es zum Streit zwischen ihnen gekommen war, weil die eine versucht hatte, die andere auszutricksen, war die Atmosphäre unerträglich. Z. B. hatte Madeleine Karin schon oft gebeten, Holz für den Kamin in das Wohnzimmer von Rolf zu bringen, weil sie dringend zuerst etwas anderes erledigen mußte. Karin hatte es prompt vergessen. Natürlich mit Absicht, wie Madeleine erbost behauptete, weil sie nun den Ärger mit Rolf hatte. Rolf war es egal, wie die Sache zustandegekommen war. Madeleine war für das Feuerholz verantwortlich, also bekam sie die Rüge. Schlimm war es auch, wenn Rolf mit Madeleine in den oberen Schlafräumen zusammen war. Karin lief dann im unteren Bereich Amok. Linda rebellierte, weil sie keinen Erfolg bei Rolf hatte. Sie wußte nicht mehr, was sie noch machen sollte, und ihre Hausarbeit wurde immer schlampiger. Eines Tages riß Rolf der Geduldsfaden: "Du kannst dich Rita und Hans anschließen. Ihr werdet ab heute alle drei in die Wohnung nach Banyoles ziehen. Martin kommt auf die Finca. Von euch dreien will ich keinen mehr hier sehen. So lange nicht, bis ihr eure Probleme gelöst hat. Ihr müßt jetzt selbst sehen, wie ihr klarkommt. Ihr bekommt keine Hilfe mehr von hier, sei es Geld oder sonst etwas."
Das war eine besonders harte Strafe für die drei. Keiner von ihnen hatte mehr Geld, sie hatten alles schon Rolf gegeben. Von was sollten sie jetzt leben. Wir schwiegen betroffen. Aber Rolf meinte: "Es ist notwendig. Anders schaffen sie es nie, ihre Probleme zu lösen und macht euch keine Sorgen um die Mehrarbeit, die ihr jetzt übernehmen müßt. Ihr werdet sehen, die drei werden gar nicht fehlen, ganz im Gegenteil, alles wird hier angenehmer werden und das Arbeiten wird leichter gehen. Das war bis jetzt immer so. Das stimmt doch?", fragte er Madeleine und Karin, die zustimmend nickten. Dieses Bestätigen lassen war eine Eigenart, die er oft anwandte. Ich fragte mich, warum er das tat. Denn eigentlich kam mir Rolf nicht so unsicher vor, daß er dauernd diese Bestätigungen gebraucht hätte. Andererseits, indem er sich bestätigen ließ, wieviel besser er war oder wieviel besser er etwas konnte, würde gleichzeitig unsere eigene Unzulänglichkeit bestätigt. a.a.O., Seite 104 | | |
| |