Auf Seite 142 des Katalogs werden z. B. die nebenstehenden Zierbeschläge abgebildet und mit dürren Worten beschrieben:
| Unregelmäßige Form; dargestellt ist ein Reiter, der eine Lanze schwingt; hinter ihm ein Pferdekopf.
Rechteckig; Reiter mit Lanze in der linken Hand, mit Panzerhemd und kurzem Bart. Hinter ihm ein Menschenkopf. | | |
Beim ersten Exemplar konnte man auf den ersten Blick an einen Ausschnitt denken; in diesem Falle wäre der Reiter vielleicht Teil einer Armee, der nächste Reiter würde folgen und der Pferdekopf als Teil des Ganzen stehen. Das ist aber nicht der Fall, denn der Hals des Pferdes ist ganz klar abgeschnitten. Man sieht übrigens bei diesem Kopf sehr deutlich beide Ohren, was ein Kennzeichen der thrakischen Pferdedarstellung zu sein scheint; in den anderen Fällen ist es nicht immer so deutlich.
Die Augen sind immer von vorne gesehen und als Mandeln gestaltet; lediglich ein Auge wird gezeigt. Es liegt sozusagen das kubistische Prinzip vor: der Künstler zeigt, was er weiß, und nicht etwa, was er sieht. So erarbeiten sich übrigens kleine Kinder die Welt: sie zeichnen, was sie wissen. Picasso hat nach dem Ersten Weltkrieg dieses Prinzip noch weitergetrieben und im Profil beide Augen eingetragen. Damals revolutionär, heute selbstverständlich, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe (› Ägyptischer Stil).
Was weiß der Künstler im Fall des abgeschnittenen Pferdekopfes? Der Archäologe hat offensichtlich keine Ahnung. Die zweite Plakette ist noch merkwürdiger. Hier reitet der Reiter nach rechts. Das mag nicht weiter verwundern, aber die gesamte Gestaltung ist einfach spiegelverkehrt, d. h. der Reiter hält nun die Lanze in der linken Hand und den Zügel in der rechten. Auch das kann vielleicht erklärt werden durch die Bildgestaltung, denn andernfalls müßte der Lanzenarm vorne liegen, der Zügelarm hinten, was weniger überzeugend wirken würde.
Nun aber der Menschenkopf! Dieser ist ebenfalls abgeschnitten, liegt waagerecht, mit der Nase nach unten. Leider ist die Abbildung nicht farbig, aber ich könnte mir vorstellen, daß die Nase insgesamt goldüberzogen ist. In der letzten Woche hatte ich mich gewundert und vermutet, daß der "Bräutigam" unserer Hochzeit einen Helm auf habe, weil die Nase so klobig und golden ist. Dabei hatte ich übersehen, daß die Nase der "Braut" genauso gestaltet ist.
Hier besteht kein Zweifel: es sind Haare dargestellt und ein Bart, definitiv kein Helm. Der Mann Hand seinen Mund geöffnet, und nur eine Deutung ergibt von der Gestaltung her Sinn - der Mann ruft. Vielleicht stößt er auch einen Schrei aus, auf jeden Fall erzeugt er einen Laut. Nun sind die Augen nicht besonders individuell gestaltet, sondern vielmehr genauso stereotyp wie sonst auch, aber in diesem Zusammenhang wirkt der Blick wie angsterfüllt. Demnach würde es sich um einen Schreckensschrei handeln, oder aber auch um einen Kampfschrei, der das Entsetzen übertönen und den Kämpfer mit Mut erfüllen soll.
Was aber noch mehr auffällt: dieser Kopf ist viel größer als der Kopf des Reiters. Und das trifft auch auf den abgeschnittenen Kopf des Pferdes zu. Dieser ist ebenfalls deutlich größer als der des Pferdes, das als Reittier dient.
Relative Größe ist aber im Sinne der konstruktiven Kunst ist signifikant. Je größer desto mächtiger, desto heiliger, desto jenseitiger. Damit hätten wir einen Ansatz, der den Torso erklären würde, denn in diesem Falle würde ein Teil für das Ganze stehen können. Der Pferdekopf würde also ein heiliges Pferd bezeichnen, der Menschenkopf einen heiligen Menschen oder einen Gott.
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