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Editorial zu Ausgabe 491

 
W. Popken im Fenster
Selbstportrait 08/2004
 
 
24.08.2008

Gülle

Landluft - das ist anscheinend ein Thema, das die Nation beschäftigt. » Landlust ist eine neue Zeitschrift des » Landwirtschaftsverlags, von der im zweiten Quartal diesen Jahres über 300.000 Exemplare verkauft worden sind. Im Oktober 2005 gegründet, gilt die Zeitschrift als erfolgreichste Zeitschriftenneugründung der letzten Jahre.

Erfolg macht neidisch, also überrascht es überhaupt nicht, daß mit » Liebes Land vor ein paar Tagen ein Konkurrenzprodukt auf den Markt gekommen ist. Und wer macht diesen Titel? Hannes Scholten! Sie wissen nicht, wer das ist? Der hat 1996 die » Cavallo gegründet, das Unternehmen schließlich verkauft und ist 2007 auch als Chefredakteur ausgestiegen. Sowohl der Spiegel (» Immer schön auf dem Acker bleiben) als auch die taz (» Zurück zum Glück) fanden dies einen Artikel wert.

Wie man Scholten kennt, wird er die Münsteraner das Fürchten lehren wollen und man muß befürchten, daß ihm das gelingt, obwohl die taz von seinem Konzept nicht so ganz angetan zu sein schien. Das wird ihn nicht hindern, dieses zu verbessern, wenn er Fehler erkennt. Von der Cavallo hat er am Ende um die 90.000 verkauft. Bei Liebes Land startet er gleich mit 200.000.

Merkwürdig, daß die Nachteile des Landlebens nirgendwo erwähnt werden. Mir sitzen sie täglich in der Nase: Landluft, wie sie nur auf dem Lande zu finden ist. Aber vor ein paar Tagen wurde es noch schlimmer. Es konnte nur einen Grund geben: Gülle.



Massentierhaltung

Die Bauern sind auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren. In meiner Kindheit hatte der Bauer zwei Pferde, vielleicht ein Dutzend Kühe, vielleicht zwei Dutzend Schweine, vielleicht ein Schock Hühner. Heute muß man sich spezialisieren, auch als Landwirt. Der eine baut nur Getreide an, der andere mästet Schweine, beide arbeiten in großem Stil.

Nun ist die Frage der Größe nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch eine der Qualität. Zum Beispiel hinsichtlich der organischen Abfälle. Natürlich war es früher auch nicht angenehm für die Nase, wenn der Bauer seinen Misthaufen mittels Mistgabel und später Miststreuer auf den Acker brachte. Das ist aber gar nichts gegen die Belästigung, die sich durch die moderne Schwemmentmistung (diesen Begriff habe ich gerade eben gelernt) ergibt. Eine Mischung aus flüssigen (Urin) und festen (Kot) Bestandteilen mit sehr wenig oder gar keinen Bindemitteln nennt man Gülle, und davon fällt bei Tausenden von Tieren täglich eine Menge an.

Dieser "Wirtschaftsdünger" muß gesammelt werden, weil er nur zu bestimmten Zeiten ausgebracht werden darf. Das ist nicht nur wegen der Geruchsbelästigung reglementiert, sondern auch wegen der Belastung der gesamten Natur. Zu viel von allem ist einfach zuviel. Angesichts der immer größer werdenden Güllefässer, die die Landwirte mit immer größeren Traktoren an meinem Fenster vorbeifahren, muß ich mich glücklich schätzen, daß ich normalerweise durch den Geruch von Gülle nicht mehr befestigt werde. Vor ein paar Jahren war das noch anders. Da wurde der Acker vor meinem Haus zweimal im Jahr mit Gülle präpariert, und die Geruchsbelästigung kroch durch alle Ritzen, es war kein Entkommen, und die Plage hielt ein paar Tage. Jetzt wohne ich im Zentrum; der Geruch von Gülle stieg mir vor ein paar Tagen in die Nase, als ich im Nachbarort zu tun hatte. Dort müssen die Äcker direkt hinter den Häusern an der Hauptstraße liegen.

In gewisser Weise geht es mir aber schlechter als vorher, denn es befindet sich jetzt ein Schweinemastbetrieb in direkter Nachbarschaft - natürlich, auf dem Lande bestanden die Ortschaften großenteils aus landwirtschaftlichen Betrieben, was man auch überall ohne weiteres erkennen kann, was gar nicht zu übersehen ist. Und da auch diese Betriebe sich spezialisieren mußten, hat die Bevölkerung also in Kauf zu nehmen, daß es stinkt, wenn der Wind aus der falschen Richtung weht. Und das tut er häufig. Man kann also wieder kein Fenster öffnen und es stinkt trotzdem. Ach wie herrlich ist es, auf dem Lande zu leben!



Ökologie

Die Sache ist aber noch viel ernsthafter und unangenehmer. Bekanntlich regelt sich der Markt durch Angebot und Nachfrage. Die Menschen wollen Fleisch essen, also wird Fleisch produziert. Die Produktion von Fleisch ist ernährungstechnisch gesehen sehr ungünstig. Man braucht sehr viel pflanzliche Nahrung, um ein wenig fleischliche Nahrung zu bekommen. Je mehr Menschen Fleisch essen wollen, desto gravierender wird dieses Problem. Wer Fleisch ißt, sorgt dafür, das anderswo auf der Welt jemand hungert. Je mehr Fleisch gegessen wird, desto mehr Menschen müssen hungern. Dieselbe Rechnung gilt natürlich auch, wenn man aus Pflanzen Benzin macht.

Aber nicht nur das, die Tiere produzieren auch Gase, die die Klimaproblematik ganz wesentlich verschärfen. Exakte Zahlen habe ich gelesen, mir aber nicht gemerkt und jetzt auch keine Lust, die wieder herauszusuchen. Ein Hamburger bei McDonald's ist ein Stück Rind, vielleicht aus Argentinien. In Argentinien und anderswo gibt es wahnsinnig viele Rinder, die so unglaublich viele Gase freisetzen, daß Ökologen inzwischen zu Vegetariern werden, weil die Zusammenhänge nicht zu leugnen sind. Früher hat man davon nichts gewußt und auch nicht darüber nachgedacht.

Es ist sogar schon die Parole vom "Sonntagsbraten" ausgegeben worden, will heißen: Fleisch gibt es, wie früher, nur noch einmal in der Woche. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, daß Wurst ebenfalls aus Tieren hergestellt ist.

Merkwürdig, daß die Leute so viel Lust auf Fleisch haben. Verständlich, daß man sich mit steigendem Wohlstand etwas gönnen wollte, was bis dahin nur wohlhabenden Leuten vorbehalten war. Aber schmeckt Fleisch wirklich so gut? Ich weiß noch, wie oft ich auf ungenießbarem Zeuge herumgekaut und mich gefragt habe, warum das nun so besonders toll sein soll. Irgendwie muß man mir suggeriert haben, daß Fleisch gut und unverzichtbarer für den Körper sein soll - wie gut, daß ich irgendwann einfach nur noch auf meinen Körper gehört habe, und der wollte lieber nicht Fleisch essen.



Ernährungsrichtlinien

Immer wieder wird uns erzählt, was gut für uns ist und was nicht. Mal ist es dieses, mal ist es jenes. Aber mehr noch: Es wird uns Angst eingejagt, wir müßten krank werden, wenn wir nicht dies oder das essen. Auf dieser Schiene wird den Leuten eingeredet, sie müßten Fleisch essen. Wer kein Fleisch ißt, wird krank und stirbt. Dabei ist das totaler Quatsch. Es gibt viele Völker auf dieser Welt, die sich vegetarisch ernähren, zum Beispiel schon aus finanziellen Gründen, und die sich ebenfalls mit steigendem Wohlstand aufmachen, zu Fleischessern zu werden.

Die größten Fleischesser sind vermutlich die Amerikaner. Daß die jetzt völlig aus dem Leim gehen, hat aber wahrscheinlich nichts mit Fleisch an sich zu tun, vielleicht eher mit dem, was neuerdings in dem Fleisch drin ist. Denn das Fleisch ist heute ja auch nicht mehr das, was es früher einmal war. Es ist durchsetzt mit Medikamentenrückständen, denn die Nahrung der Tiere wird reichlich mit Chemie versetzt, was unter anderem auch mit der Massentierhaltung zu tun hat.

Im Moment scheint noch keiner genau zu wissen, was da drüben passiert, aber es passiert beunruhigenderweise bei uns auch. Immer mehr Leute werden auch hierzulande unförmig dick - es ist nicht zu übersehen. Ob das damit zusammenhängt, daß unsere Nahrung in den Supermärkten sich immer mehr den amerikanischen Standards annähert? Die Sache ist aber noch viel schlimmer. In dem Artikel » Warum niemand weiß, was wir wirklich essen wird gezeigt, daß nicht einmal die Hersteller wissen, was in ihren Produkten wirklich drin ist. Und was diese Mischungen in unseren Körpern anrichten, kann derzeit natürlich erst recht niemand sagen.

Wenn ich oder Sie anfangen, zuzunehmen und unförmig auszusehen, ohne daß wir wissen, wie das zu erklären ist, und ohne daß wir wissen, wie wir uns wieder einer Normalfigur annähern können, wird erst die ganze Tragödie deutlich werden. Es würde mich nicht wundern, wenn wir uns selbst vergiften würden. Im Grunde genommen ist wahrscheinlich auch niemand an der Aufklärung interessiert, denn dadurch werden interessante neue Märkte geschaffen. Kleidung in extremen Übergrößen, Möbel mit den entsprechenden Ausmaßen, spezielles übergroßes Operationsbesteck, damit man diese Menschen überhaupt operieren kann, usw. - ich glaube nicht, daß jemand auf diese Umsatzchancen verzichten möchte. Man hat sogar schon ausgerechnet, wann alle Amerikaner dieses Stadium erreicht haben werden. Mittlerweile wird schon entsprechende Stimmung gemacht. Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, daß Dicksein gar nicht so schädlich ist, wie man früher geglaubt hat. Na also!

 
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