Glück und Unglück Von schwerer Kindheit und kontroversen Diagnosen von › Werner Popken
Zum Thema Kulturgeschichte |
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Karl May, der ehemalige Sträfling, Sohn armer Weber mit entsetzlicher Kindheit, der sich mit Abenteuerromanen ins Herz seiner Leser geschrieben hat, wird immer berühmter. Nun ist er fast 100 Jahre tot und Tausende von Menschen beschäftigen sich intensiv mit ihm, seiner Geschichte, seinen Ideen und seinen Idealen, mehr denn je, und ein Ende ist nicht abzusehen.
Als ich diese Serie begann, konnte ich mir nicht vorstellen, so viel über Karl May zu schreiben, mich so viel mit ihm zu beschäftigen. Tatsächlich aber geht es mir wie seinen Lesern, Fans und Forschern: Je mehr ich mich mit ihm beschäftige, desto interessanter und faszinierender wird er. Nun ist es im Zeitalter des Internet sehr einfach, an bedeutendes Material über ihn heranzukommen. Sowohl die » Karl-May-Gesellschaft e.V. als auch die » Karl-May-Stiftung bieten eine solche Fülle an Einsichten, daß ich kapitulieren muß. So viel Zeit kann ich gar nicht investieren, so viel Material kann ich auch gar nicht für Sie verarbeiten.
Meine Leser, Sie also, sind ja doch vermutlich in erster Linie Pferdefreunde und nicht Karl-May-Anhänger. Daß Karl May von Pferden eigentlich nichts verstanden hat, hat uns Barbara Siebert mit ihrer Arbeit » Pferde, Reiten und die Reitkunst im Werk von Karl May unschwer nachweisen können. Freilich geht es möglicherweise um mehrere Arten von Wahrheit und Einsicht. Jeder kann ja nur so weit blicken, wie seine Anlagen und seine Erfahrungen ihm erlauben. Was weiß beispielsweise ein Dressurreiter über die Art, wie die Steppenvölker reiten, was weiß ein Geländereiter über die Reitweise eines klassischen Reiters?
Wenn sich Karl May also vorstellt, daß er mit seinem Pferd dahinfliegt, als säße er auf einem Stuhl - muß das unbedingt heißen, daß diese Art von Reiterlebnis völlig unmöglich ist? Barbara Siebert betont, daß es jahrelanger Anstrengung und kostenintensiver Ausbildung bedürfe, um das Reiten zu erlernen. Mag sein, daß das auf die meisten Reiter zutrifft, aber ich bin sicher: diese Aussage beschreibt nur einen Teil der Wahrheit und betrifft vielleicht sogar überwiegend nur diejenigen Reiter, die das Reiten eigentlich von vornherein besser seinlassen sollten.
Es gibt nämlich viele Arten von Reitkunst und viele Arten von Könnern, die ihre Kunst auf sehr unterschiedliche Weise erlernt haben - und manche Leute werden es nie lernen, wie sehr sie sich auch anstrengen mögen. Als ich über Klaus Ferdinand Hempfling schrieb (› Wer stoppt Hempfling?, › Ihr wißt nicht, was Liebe ist, › Scharlatan oder Visionär?, › Gefährliche Sekte?, › Außergewöhnliche Verbindung), wollte ich wissen, ob der angebliche Scharlatan, über den sich alle Fachleute in mehr oder weniger drastischer Weise lustig machten, überhaupt reiten kann. Ich fand eine kompetente Zeugin: » Sabine Birmann. Meine Frage beantwortete sie so:
| Wer ein Pferd ohne Sattel und ohne Zaumzeug inmitten einer Herde nicht nur dirigieren, sondern dieses Pferd von der Herde absondern und diese sogar zum Folgen bringen könne, der könne wahrhaft reiten.
› Genie | | |
Das Ziel eines jeden guten Reiters, egal ob er sich das Reiten selbst beibringt oder Unterricht nimmt, ist die mühelose Verständigung mit dem Pferd, das Verschmelzen von Mensch und Tier. Manch einer, der unterrichtet wird, lernt es nie, und andere, die nie Unterricht genossen, reiten wie die Götter.
Dabei habe ich einige Jünglinge vor Augen, die die Pferde ihrer Eltern ohne Zügel und ohne Sattel ritten. Nicht etwa im Wilden Westen oder in der Mongolei, sondern hier in Ostwestfalen, in meinem damaligen Heimatort Löhne. Sie ritten absolut selbstverständlich, als sei es die natürlichste Sache von der Welt, und schauten interessiert und etwas ungläubig zu, wie meine beiden kleinen Mädchen mit Stiefeln, Gerte und Reitkappe den Reitunterricht an der Longe nachspielten. Mit Sattel und Zaumzeug selbstverständlich. Ich verstand damals sehr wenig davon und begriff überhaupt nicht, was ich sah, aber trotzdem ist mir das Bild unvergeßlich geblieben. Bei Sabine Birmann kann man diese Art des Reitens sogar lernen.
Zwischen Reiten und Reiten liegen offenbar Welten. Deshalb bin ich sehr dankbar, daß › Heidi Keppel, unsere Expertin, die seit Jahren jede Woche einen wertvollen › Tip beisteuert, zum letzten Artikel einen Leserbrief geschrieben und eine Lanze für Karl May gebrochen hat:
| Ich kann nur sagen, ich habe das wunderbare Gefühl erlebt, wenn ein Pferd unter einem so dahinfliegt, dass man nicht mehr spürt, wie die Hufe den Boden berühren und da kann man dann wirklich sitzen wie auf einem Stuhl.
› Leserbrief 1970 | | |
Aber Heidi hatte noch mehr zu sagen. Am besten zitiere ich ihren ganzen Brief:
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