Arbeit an der Hand Die ersten Schritte - eine klassische Reitlehre in Briefform von › Gudrun Schultz-Mehl
Zum Thema Ausbildung |
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Kommen wir zu Deiner Stute, ich habe sie ja einmal kurz auf der Koppel beobachten können: sie ist ein ‚Rechteckpferd', hat also einen Rücken, der genügend lang ist, um zu schwingen und Dich später angenehm sitzen zu lassen. Sie ist mit ihrer Größe passend zu Deiner Größe und zu Deiner schlanken Figur. Sie ist mit Stockmaß 1.62 m nicht gerade groß, hat aber genügend ‚Rahmen', das heißt, dass sie durch genügend Hals und Rumpf auch nicht klein wirkt. Sie steht auf korrekt gestellten Beinen, und hat einen als ‚Balancierstange' geeigneten, gut aufgesetzten Hals. Ihre natürlichen Bewegungen, soweit ich sie auf der Koppel beobachten konnte, sind in allen drei Grundgangarten recht gut, wobei ich immer besonders auf den raumgreifenden, ‚schreitenden' Schritt im klaren Viertakt achte. Ist der Schritt gut, ist in der Regel auch der Galoppsprung gut. Sie scheint charakterlich anständig zu sein, was nicht zu dem Trugschluss führen soll, dass sie nicht auch die wesenstypischen Eigenschaften fast aller Pferde besitzt, die uns Menschen im Umgang mit ihnen oft zu schaffen machen, für die wir aber Verständnis aufbringen und denen wir mit Konsequenz begegnen müssen, statt mit Gewalt und Strafen. Zu konsequenter Ausbildung gehört vor allem Geduld. Das Pferd besitzt nicht die gleiche Intelligenz, wie wir sie von Menschen erwarten. Sie lernen aus ihrem überragend ausgebildeten Gedächtnis. Machen wir etwas falsch und erzeugen bei ihnen Unbehagen, Angst oder gar Schmerzen, dann werden wir es schwer haben, diese Erinnerungen auszulöschen und Vertrauen wieder herzustellen. Deshalb ist geduldige, konsequente Ausbildung der schnellere Weg. Verlorenes Vertrauen bei Pferden macht den weiteren Ausbildungsweg schwer oder unmöglich. Mag sein, dass man auch ohne das Vertrauen des Pferdes durch Härte bis zu einem gewissen Ziel kommen kann, aber einem aus Angst kadavergehorsamen Pferd ist jeder natürliche Charme, jede lebensfrohe Ausstrahlung genommen, es befolgt nur noch mechanisch die Forderungen des Reiters, es ist in seinem Willen gebrochen und kann dadurch auch keine wirklich gute Leistung zeigen. Ein in seinem natürlichen Willen gebrochenes Pferd ist eine Sünde gegen eines der wunderbarsten Geschöpfe der Erde. Wer diese Sünde vermeiden will, der muss sehr gute Kenntnisse über dieses Geschöpf, über seine körperlichen und seine mentalen Eigenschaften und Fähigkeiten besitzen. Nicht nur zu harte Forderungen, noch viel häufiger führen Nichtwissen, mangelnde Geduld und mangelnde Konsequenz zum Scheitern bei der Ausbildung von Reiter und Pferd. FÜHRE NIE EIN PFERD, INDEM DU VOR IHM GEHST. Bei Erschrecken oder Panik kann es Dich überrennen, vor allem, wenn der Weg schmal ist! Gehe immer in Höhe Hals-Schulter; das hat zum Vorteil Deiner größeren Sicherheit auch noch den Vorteil, dass Du ein vorwärts stürmendes Pferd durch Entgegenstemmen Deiner Schulter gegen die Pferdeschulter leichter gerade halten kannst und auch mehr Halt findest, um das Pferd am Vorwärtsstürmen hindern zu können. Nimm anfangs die Longe wenn Du links neben dem Pferd gehst, zuerst in die rechte Hand und den restlichen Teil in Schlaufen in die linke; umgekehrt natürlich, wenn Du rechts vom Pferd gehst, was man auch ab und zu üben sollte. Du hast dann zweimal die Möglichkeit, ein eventuelles Wegstürmen abzufangen.
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