| | W. Popken im Fenster Selbstportrait 08/2004 | | | | 19.06.2011
Auge um Auge
Ganz kurz hat man in den Nachrichten von dieser tragischen Geschichte gehört - ein Muslim hat, weil er nicht erhört wurde, sich das Recht herausgenommen, seine Angebetete mit Säure zu verunstalten. Wer sich ein bisschen mit dem Koran beschäftigt hat, wundert sich nicht darüber - die Zeiten des Propheten waren finster und der Prophet keine Ausnahme.
Bekanntlich berufen sich heute Hunderte Millionen Menschen auf der Welt auf dem Propheten und zwar aus dem einzigen Grunde, weil sie um ihr Seelenheil fürchten. Das ist ja im Prinzip nichts Schlimmes, sondern im Gegenteil ganz wunderbar! Was gibt es Wichtigeres als das Seelenheil? Allerdings wäre es nicht schlecht, wenn man berücksichtigen würde, dass man Mensch ist und denken kann. Menschen haben normalerweise Mitgefühl. Wie kann jemand aus Liebe einen anderen Menschen verunstalten? Hat der nicht irgendetwas falsch verstanden?
Nun sieht man das in dem Lande, wo es passiert ist, wohl ebenfalls mit gemischten Gefühlen. Dieser junge Mann soll zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar nach islamischen Recht. Dieses islamische Recht ist vergleichbar mit dem biblischen Recht - Mohammed beruft sich ganz ausdrücklich auf die Bibel und die Juden - und aus der Bibel ist die Formel » Auge um Auge in unseren Sprachschatz eingegangen. Diese Haltung gefällt insbesondere konservativen Geistern besonders gut. Rache, Vergeltung, Genugtuung, Hass - das sind wohl ebenfalls ganz grundlegende menschliche Regungen und Bedürfnisse, die allerdings in zivilisierten Staaten in der Regel nicht ausgelebt werden dürfen. Und das hat seine guten Gründe.
Blutrache
Am deutlichsten werden die Nachteile einer solchen Vergeltungspraxis bei der in einigen Gegenden noch praktizierten und verbreiteten Sippenhaft. Wenn der Staat nicht eingreift, artet ein Konflikt ziemlich schnell aus und wird zu einer Ausrottungskampagne. Das liegt unter anderem daran, dass der Beleidigte, Hassende sein Leid für größer erachtet als das der anderen, so dass er mehr nehmen kann als er geben musste. Ein berühmtes Beispiel für diese Haltung steht in der Bibel:
| Lamech sagte zu seinen Frauen: Ada und Zilla, hört auf meine Stimme, ihr Frauen Lamechs, lauscht meiner Rede! Ja, einen Mann erschlage ich für eine Wunde und einen Knaben für eine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt, dann Lamech siebenundsiebzigfach.
» 1.Mose 4,23-24 | | |
Dieser Lamech kam sich natürlich ganz toll vor, dabei ist offensichtlich, dass er ein armer Wicht ist, der sich aufspielen muss. Ein wirklich toller Kerl würde bei einer Strieme oder einer Wunde gar nicht mit der Wimper zucken, und wenn es nach Jesus ginge, auch noch die andere Wange hinhalten. So gesehen können einem diese ganzen Machos nur leid tun. Was für armselige Würstchen das sind!
| Der Ehrenkodex der Blutrache verlangt aber, auch nicht „ein Mehr“ heimzuzahlen. Durch den Tod des Mörders sollte der Konflikt beendet werden. Dabei ist es nicht unüblich, dass beide Familien unter Hinzuziehung eines Schlichters oder eines Richters in einem Treffen das Vorgehen abklären.
In der Tradition verschiedener Völker ist die Strafe dagegen oftmals schlimmer als das vorangegangene Verbrechen. Die Blutrache kann dann zu langen, blutigen Auseinandersetzungen führen, wenn, da die bestrafte Familie meist Rache für die Strafe nimmt, die andere Familie wiederum dafür Rache nimmt.
Das erste Verbot der Blutrache findet sich bereits in verschiedenen babylonischen Gesetzessammlungen (ca. 2000 v. Chr.) wie dem Codex Hammurapi.
» Blutrache | | |
Rechtssicherheit
Da sich der Rachedurst der Menschen offensichtlich nicht beschränken lässt, hat der Staat schon vor tausenden von Jahren die Initiative ergriffen und Selbstjustiz verboten.
| Blutrache und rechtsstaatliche Gesetzgebung sind nicht vereinbar. Migranten aus den Gebieten, in denen Blutrache vorkommt, bringen mit anderen Sitten immer auch ihre Vorstellung von Ehrgefühl mit, so dass es auch in Westeuropa zu verschiedenen Blutrache-Fällen kam. Westliche Gerichte beurteilen diese Selbstjustiz in der Regel als Mord oder Totschlag.
» Blutrache | | |
Damit haben wir einen Konflikt beschrieben: Unterschiedliche rechtstaatliche Auffassungen prallen aufeinander. Wobei man nicht vergessen darf, dass auch bei uns in Deutschland viele Menschen geradezu reflexartig mit „Kopf ab“ -Parolen reagieren, wenn irgendwelche unerhörten Verbrechen bekannt werden. Es ist nicht einfach, zivilisiert zu sein. Das ist eine Errungenschaft, die hart erkämpft werden will und auf die man durchaus stolz sein darf!
Einen solchen Lernprozess hat offensichtlich dieses Land, von dem ich sprach, durchgemacht. Denn die geschädigte arme Frau kannte nur eins: Rachegelüste. Dieser Mann sollte dasselbe Leiden durchmachen wie sie selbst. Zunächst wurde sie insoweit zurückgewiesen, als es ihr nicht gestattet wurde, sein gesamtes Gesicht zu verätzen - sie sollte lediglich seine Augen verätzen dürfen, so dass er erblinden würde. Pikant an der Angelegenheit ist, dass sie zunächst nur ein Auge zerstören durfte, da eine Frau - ganz klar! - ja einfach nur die Hälfte eines Mannes wert ist (dagegen hat die gute Frau nicht geklagt). Schließlich erstritt sie das andere Auge unter Aufrechnung ihrer Verletzungen an der Hand (» Ameneh Bahrami). Angeblich ging es ihr nicht um Rache - wer's glaubt, wird selig. Angeblich sehen viele Iraner das » Talionsprinzip als barbarisch an. Da enthalte ich mich lieber meines Urteils, da ich weiß, wie viele meiner lieben Landsleute denken.
In letzter Minute ist die Vollstreckung des Urteils ohne Begründung ausgesetzt worden. Das werte ich als einen Sieg der Menschlichkeit, so klein er auch sein mag. Die islamisch geprägten Länder haben noch einen langen Weg vor sich, bis sie in der Zivilisation angekommen sein werden. Dazu werden sie ihr Rechtssystem gründlich überarbeiten müssen. Denn schon lange vor der Einführung des Talionsprinzips galt, dass erlittene Schäden nicht durch Rache, sondern durch finanzielle Entschädigung gesühnt werden mussten, und das Talionsprinzip wird im allgemeinen auch in diesem Sinne verstanden, also ausdrücklich nicht wortwörtlich. Die Einführung des Talionsprinzips im wörtlichen Sinne ist also ein ganz deutlicher Rückschritt, der offenbar auf jeder beliebigen Stufe der Zivilisation stattfinden kann, ein Rückfall in die Barbarei. Da gibt es gar keine Diskussion.
Christentum
Unsere Gesellschaft ist sehr stark durch das Christentum geprägt, wobei sich in dieser Hinsicht gewisse Schwierigkeiten ergeben. Zwar ist zunächst das Liebesgebot Christi als Abgrenzung gegenüber dem Judentum, das dieses nicht kannte, herausgestellt worden, dann ging hierzulande im Mittelalter die Gerichtsbarkeit auf die Landesherren über und diese versuchten, wirtschaftlichen und politischen Probleme mit drastischen Strafen zu begegnen; schließlich hat Luther durch seine Trennung von Staat und Kirche das Prinzip der staatlichen Vergeltung wieder in den Vordergrund gestellt. Später, vor allem im neunzehnten Jahrhundert, wurde dann das Liebesgebot wiederum genutzt, um das Judentum wegen seines barbarischen Rechtssystems zu denunzieren.
In unserer Rechtsprechung spielt das Talionsprinzip keine Rolle mehr, obwohl der Strafgedanke durchaus vorhanden ist. Und Bibelwissenschaftler sind inzwischen überzeugt, dass auch das Liebesgebot Christi im Zusammenhang mit der rechtsstaatlichen Praxis gesehen werden muss:
| Heutige Exegeten wie Thomas Schirrmacher heben hervor, dass Jesus das Recht des Geschädigten nicht habe aufheben wollen. Das Talionsgebot sei zur Zeit Jesu im Regelfall durch eine auf den Schaden begrenzte Geldbuße erfüllt worden. Dieses Zivilrecht sei schon lange nur vor staatlichen Gerichten einzuklagen gewesen, wie es die Tora festschrieb. Die Obrigkeit bleibe daher auch im NT trotz des Liebesgebots nach Röm 13,4 „Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe für den, der Böses tut“ . Diese Pflicht des Staates zum Rechtsschutz setze Jesus in Mt 5,38–48 nicht außer Kraft, sondern setze sie vielmehr voraus, da Mt 5,40 ein Gericht, Mt 5,25 „Richter“ , „Gerichtsdiener“ , „Gefängnis“ erwähnen.
Darum fasst Schirrmacher Mt. 5,39 „Widersteht nicht dem Bösen
“ nicht als prinzipielles Verbot von Selbstverteidigung und Rechtsanspruch auf, sondern als situationsbedingten Verzicht darauf: aus der Einsicht heraus, dass das Bestehen auf dem eigenen, an sich gegebenen Recht in der konkreten Verfolgungssituation der Angeredeten die Gewalt verschärfen und den Schaden vergrößern kann. Es setze ein klares Unterscheiden von Gut und Böse voraus, mache Recht und Unrecht also nicht gleichgültig. Mit dem Bösen (personal oder sächlich) sei hier die Gewalt, das Schlagen, Beleidigen und Entrechten gemeint, das Mt 5,39–41 veranschaulicht:
„Die Aussage Jesu wäre dann, dass ein Christ sich nicht mittels des Gerichtsgrundsatzes, des lex talionis‘, Recht verschafft, sondern Unrecht über sich ergehen lässt. Ein Christ ist um des Friedens willen nicht nur in der Lage, auf eine Gerichtsverhandlung zu verzichten, sondern sogar das unrechtmäßig von ihm Geforderte in noch größerem Umfang als gefordert zuzulassen.“ Der Versuch der Schlichtung, Mediation, ja Versöhnung, sei biblisch und sollte für Christen immer vor dem Vorgehen mit rechtsstaatlichen Mitteln stehen, da diese nicht immer zur gewünschten Klärung führen. Dabei solle die persönliche Bereitschaft, den kürzeren zu ziehen, immer vorhanden sein. Dies sei keine Alternative, sondern eine notwendige Ergänzung zum rechtmäßigen Vorgehen.[23] » Auge für Auge | | |
Interessanterweise berufen sich gerade viele Christen auf die Bibel, wenn es um ihre Rachegelüste geht. Die Bibel ist halt für vieles gut. Besser wäre es, man würde selber denken und fühlen. Ist das zuviel verlangt?
Spam
Der Spam der Woche: Glauben Sie an den Osterhasen?
Haiku
| - Auge für Auge.
Ach? Wie du mir, so ich dir? Versteht man das so?
- Völlig kostenlos.
Und kein Geld erforderlich. Und kein Risiko.
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Spruchweisheit
» Die Vision - unmöglich?
| Müßte man nicht das ganze System über Bord werfen und mal was ganz anderes probieren? Anne Will, ARD, 13.02.2011 | | |
| | Chefredakteur und Herausgeber | | | |
» Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das » Bandbreitenmodell eingeführt werden muß, und zwar global.
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