Vermutlich hat auch keiner von diesen vollkommen unrecht; selbstverständlich konnte man die Pferde mit Zwangsmitteln gefügig machen, selbstverständlich kann man sie durch mehr oder minder grausame Methoden zweckdienlich abrichten, und viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende war die Menschheit durchaus damit zufrieden. Wir romantisieren gern die Naturvölker, insbesondere die Indianer. Wenn man sich aber Dokumentarfotos von Reitervölkern, etwa Arabern, Berbern, Mongolen anschaut, kann man nicht übersehen, dass diese ihre Pferde grausam und rücksichtlos behandeln. Das sieht man natürlich nicht, wenn der Reiter ganz entspannt für ein Foto posiert. Auch unsere Sportgrößen präsentieren sich gerne ganz entspannt neben ihren Spitzenpferden und signalisieren Harmonie und Einklang. Was aber wirklich im Training passiert, hinter verschlossenen Türen, das bleibt der Öffentlichkeit verborgen, meistens jedenfalls, und wenn jemand damit droht, diese Vorgänge aufzudecken, hat er mit erheblichen Repressalien zu rechnen. (Neulich hatte ich ein langes Telefongespräch mit jemandem, dessen berufliche Existenz durch die Veröffentlichung von Einzelheiten Zusammenhang mit dem Barren-Skandal vernichtet wurde. Man darf sich nicht vorstellen, dass in diesen Kreisen irgend jemand zimperlich ist.) Viele Übertreibungen kommen sicherlich durch den Hang des Menschen zum Wettbewerb zu Stande. Wer unbedingt gewinnen will, wird seine Skrupel mehr und mehr über Bord werfen. Die meisten Menschen, und sicherlich die, für die ich schreibe, haben aber wenig Interesse daran, sich mit anderen zu vergleichen. Sie möchten eine Beziehung zu ihrem Pferd aufbauen, die harmonisch ist und beiden, dem Reiter und dem Pferd, viel gibt, Wohlbefinden, Freude, Glück. Danach sehnen sie sich, nicht nach einer Schleife oder einem Siegertreppchen. Insofern können wir uns mit Hans-Jürgen Neuhauser identifizieren, weil der wie Klaus Ferdinand Hempfling ein Quereinsteiger ist, sich für das Pferd aus ähnlichen Gründen entschieden hat wie wir, spontan und aufgrund eines beglückenden Erlebnisses: | Sprecherin: Casey brachte Hans-Jürgen Neuhauser zum Reiten. Bei einem Ausflug mit Freunden vor mittlerweile vierzehn Jahren machte Hans-Jürgen Neuhauser zum ersten Mal in seinem Leben einen Ausritt. Das Pferd mit dem er damals seine ersten Reiterfahrungen sammelte war Casey. Es war für ihn Liebe auf den ersten Ritt. Spontan entschied er sich Casey zu kaufen. Kaum war Casey bei ihm angekommen, gingen die ersten Probleme los. Doch mittlerweile funktioniert es punktgenau. DVD HJN-Reiten, Gesamttext | | | Über die Probleme erfahren wir nichts; dass er Casey ohne Zügel und Sattel punktgenau steuern kann, zeigt er in dieser DVD immer wieder. Ich nehme an, viele Reiter können so etwas ebenfalls. Es wäre verwunderlich, wenn ausgerechnet dieses Pferd und dieser Reiter die einzigen wären, die jemals diese Art von Kommunikation für sich entdeckt haben. Im Gegenteil vermute ich, dass jeder Reiter davon träumt, so mit seinem Pferd zu verschmelzen, dass gewissermaßen ein Wesen daraus entsteht, dass die Wünsche und Vorstellungen des Menschen unmittelbar vom Pferd umgesetzt werden. Die Vorstellung vom » Kentaur allerdings scheint damit nichts zu tun zu haben; das waren sehr merkwürdige Wesen, die sich die Griechen ausgedacht hatten und seither die Fantasie der von diesen beerbten Kulturen immer wieder heimsuchen. Mit unserer modernen Vorstellung von der symbiotischen Verbundenheit von Mensch und Pferd hat das nichts zu tun. Wenn Hans-Jürgen Neuhauser ohne Sattel und Zaumzeug reitet, dann um die unmerklichen Kommunikationssignale zwischen Pferd und Reiter zu verdeutlichen. Das kennt man allerdings auch von der klassischen Reiterei. Im Idealfall merkt der Zuschauer nicht, wie der Reiter sein Pferd beeinflusst. Die Signale sind so unscheinbar und fein, dass sie von Außenstehende nicht wahrgenommen werden können. So ist es nicht verwunderlich, dass Hans-Jürgen Neuhauser die klassische Reiterei als Vorbild ansieht. Er betont immer wieder, dass es ihm nicht um zügelloses Reiten geht, sondern um "feinste Kommunikation". Für manche Übungen hält er Zügel gar für unerlässlich. Er hat also auch nichts gegen Reiter, die sich der Dressur verschreiben, so wie Marion Neusiedler, von der in der letzten Ausgabe schon die Rede war. Auch sie träumte von einem erfüllenden und harmonischen Hobby, ließ ihr Pferd und sich selbst in der englischen Dressur ausbilden, musste aber leider feststellen, dass das Vergnügen sich immer mehr in Leid verwandelte, und zwar sowohl für sie selbst als auch für das Pferd. Auf die Dauer war das kein Zustand.
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