Meine schon erwähnte sehr schwierige Trakehnerstute PIZZI (Lipica) habe ich einmal in der Halle longiert, als diese frei war. Sie war ganz jung, noch nicht angeritten und hatte zum ersten Mal einen Sattel auf dem Rücken statt des gewohnten Longiergurts. Wir waren noch nicht lange in der Halle, da kam eine junge Dame, eine ausgebildete Pferdewirtin mit Schwerpunkt Reiten, ebenfalls mit einem ganz jungen Pferd, zum Longieren. Aber ihr Pferd hatte statt einer Trense nur ein Stallhalfter und auch keinen Longiergurt und keine Ausbindezügel, mit denen man es im Falle eines Falles besser unter Kontrolle halten konnte. Ich war skeptisch, ob das mit den beiden jungen Pferden gut gehen konnte und sagte das auch der jungen Dame. Diese fühlte sich aber sofort in ihrer beruflichen Ehre angegriffen und meinte, es sei ja nicht das erste Pferd, das sie longieren würde. Es dauerte aber noch nicht mal eine Minute, da wurde ihr Pferd, angeregt durch meine munter trabende Pizzi, ungeheuer fröhlich. Es jodelte davon, riss sich los und stürmte geradewegs auf mich und mein Pferd an der Longe zu. Ich konnte gerade noch zur Seite ausweichen, aber beide Longen verhedderten sich und beide Pferde stürzten zu Boden. Das war für das andere Pferd ohne Ausbinder nicht so schlimm, aber meine PIZZI lag durch Zügel und Sattel förmlich gefesselt am Boden und mühte sich, wieder hoch zu kommen. Das gelang ihr erst, als ein Ausbindezügel riss. Was das für ihr Pferdemaul bedeutet hat, kannst Du Dir vielleicht vorstellen. Als sie wieder auf ihren Beinen war, ging sie lahm. Am nächsten Tag war ihr linkes Hinterbein bis zum Sprunggelenk dick (Phlegmone) und auch am Bauch bekam sie eine starke Schwellung, wahrscheinlich war ein Steigbügel unter ihren Bauch geraten, weil der Sattel rutschte, als sie hinfiel. Vierzehn Tage konnte ich sie nur im Schritt führen; sie wurde in dieser Zeit sehr ungezogen, von Ausbildung war da keine Rede mehr. Wenn Du nun denkst, diese �professionelle' junge Dame hätte sich nach dem Malheur bei mir entschuldigt und die Halle mit ihrem Pferd verlassen, dann denkst Du falsch. Sie longierte, als ob nichts gewesen wäre, am Halfter weiter, so dass ich, die doch als Erste in der Halle war, gezwungen war, mit meinem Pferd die Halle zu verlassen, um keinen weiteren Zwischenfall zu riskieren. Ich führe PIZZIS panische Angst vor anderen Pferden, die sie ihr Leben lang nicht verlor, auf diesen Zwischenfall zurück. Es war danach fast unmöglich, sie mit anderen Pferden zusammen in der Halle oder auf einem Reitplatz zu reiten. Es brauchte nur ein Pferd zu husten, dann drehte sie schon völlig durch. Und da ich sie viele Jahre nur ohne Sattel reiten und ausbilden konnte (darüber später mehr), war das schon bei der kleinsten Störung durch ein anderes Pferd ein besonderer Genuss für mich. Auch diese �Moritat' soll Dir nur zeigen, wie wichtig es ist, mit Pferden nicht ohne Wachhalten des eigenen Verstandes und ohne das nötige Wissen umzugehen und sich und sein Pferd vor allem nicht zu überschätzen. À propos �runterfallen': unter normalen Umständen wird das Runterfallen durch DIE BALANCE DES REITERS verhindert. Das Gefühl für Balance gehört zum A und O des Reitens und der reitbeflissene Zweibeiner sollte möglichst viel von diesem sensiblen Gefühl besitzen. Nur wenn Du absolut ausbalanciert sitzt, kannst Du losgelassen sitzen, Dein Körpergewicht einsetzen und Deine Beine, Deine Arme, den Körper unterhalb und den Körper oberhalb der Hüfte unabhängig voneinander bewegen und als Hilfen zum Einsatz bringen. Ein starkes Gefühl für Balance verhindert, dass Du mit den Beinen klammerst, die Pomuskeln anspannst und die Schulterpartie versteifst und Dich vielleicht sogar hin und wieder mit den Zügeln festhalten musst. Kurt Albrecht, der jahrelang Leiter der Spanischen Hofreitschule war, schrieb in seinem Buch 'Dogmen der Reitkunst': | Zügel und Schenkel können niemals eine falsche Belastung durch das Gewicht des Reiters ausgleichen. | | | �Falsche Belastung' möchte ich hier mit �fehlender Balance' interpretieren. Diese Balance im Sattel ohne Schwierigkeiten halten zu können, ist auch die Grundlage für das Aussitzen in Trab und Galopp.
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