Vollblut im Zwielicht Wozu dient die Hochleistungszucht? von Gerd Hebrang
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Die Vollblutzucht gilt als das bekannteste Beispiel einer Leistungszucht, die mehr oder weniger intuitiv allein aufgrund der Ergebnisse bei "Prüfungen" vorgenommen wurde, die adeligem Zeitvertreib entsprungen war: Dem Spieltrieb. Und der Wettleidenschaft.
Gäbe es diese nicht, dann vermutlich auch nicht die Pferderennen, jedenfalls nicht, wie wir sie heute kennen und wie sie von den englischen Adeligen erfunden und entwickelt wurden. Die Wettleidenschaft ist der Motor, der die Vollblutzucht antreibt. Die eigentliche Zuchtentwicklung ist lediglich ein Anhängsel, ein Nebenprodukt.
Die zugrundeliegende Idee ist sehr einfach: Man läßt talentierte Pferde miteinander laufen und wettet auf den Gewinner oder die Reihenfolge der Gewinner oder was auch immer. Das Prinzip ist jetzt, daß die Gewinnchancen sehr gering sind, wenn eines der beteiligten Pferde den anderen eindeutig überlegen ist. Das ganze Spiel wird erst dann sinnvoll, wenn alle Pferde die gleichen Chancen haben und es im Grunde genommen ungewiß ist, welches Pferd gewinnen wird.
Wenn man nun ein neues Pferd ins Spiel bringt, dessen Fähigkeiten unbekannt sind, wird die Ungewißheit noch erhöht. Hat dieses Pferd das Potential, alle anderen auszustechen, kann es demjenigen, der darauf wettet, große Gewinne bescheren.
Die Sache wird also dadurch interessant, daß man immer wieder neue Pferde ins Rennen schickt, die das Vermögen zum Gewinnen mitbringen. Nun nimmt man an, daß Pferde, die häufig gewinnen, ihre Überlegenheit weitervererben können. Jetzt endlich sind wir bei der Zucht. Jetzt wissen wir, warum die Sieger hochstilisiert und deren Nachkommen mit Vorschußlorbeeren bedacht werden. Die Sprache verrät die Absicht. Im Internetgeschäft hat sich der Ausdruck "Hype" eingebürgert; vornehmlich zu Zeiten der Internetblase wurde sehr viel Hype produziert. Man meint damit "heiße Luft", also "viel Lärm, aber nichts dahinter", oder "die Ahnungslosen seift man ein".
| Die erste Stute, die im kommenden Jahr ein Fohlen des Gruppe I-Siegeris Königstiger auf die Welt bringen wird, ist die zweifache Siegerin Hosea. Hosea, die von Lagunas stammt und im letzten Jahr durch ihren klassisch platzierten Sohn Harar von sich reden machte, ist eine Halbschwester des sehr guten Meilers Horeion Directa, der auf Gruppe I-Parkett in Italien nur an dem Champion Meiler-Slickly scheiterte.
Hosea ist nur eine von zahlreichen erstklassigen Stuten, die der Champion-Sohn von Tiger Hill aus der Familie von Divine Proportions und der aktuellen Diana-Zweiten Karavel in diesem Jahr erfolgreich gedeckt hat.
Zu seinem vollen Buch gehörte unter anderem auch die Mutter der Champions Silvano und Sabiango, Spirit of Eagles, die im kommenden April ein Fohlen von Königtiger bekommen wird.
Ingesamt werden das im Jahr 2007 rund 60 Fohlen sein, die Befruchtungsquote des Champion-Zweijährigen betrug knapp über 90%. Zu den tragenden Stuten zählt unter anderem auch eine Schwester des aktuellen Arc-Mitfavoriten Shirocco, Schwestern von Salutino, Gyreka, Wurfscheibe und Elle Danzig oder die Mütter von Royal Fantasy, Madresal oder Hamond. » Königstiger: Erste Deck-Saison erfolgreich beendet | | |
Wäre die Zucht eine todsichere Sache, der Rennsport würde in sich zusammenfallen. Man könnte Hochleistungspferde gezielt produzieren und würde damit die Ungewißheit reduzieren, mithin also den Wettbetrieb empfindlich treffen. Der Wettbetrieb aber ist der Motor der Angelegenheit. Wenn der Motor rumpelt oder steht, ist der Sport erledigt.
Vielleicht haben wir jetzt den wahren Grund dafür gefunden, warum die Vollblutzucht sich gegen die modernen Reproduktionstechniken wehrt. Die Erfolge der Biomedizin erschüttern gewissermaßen das Fundament der Industrie. Die Vollblutzucht kann nicht daran interessiert sein, die Bedingungen für den Sieg zu beherrschen.
Das würde erklären, warum der aufmüpfige australische Züchter, über den ich in der letzten Woche berichtet habe, seine Drohung nicht wahrgemacht hat. Vermutlich ist es gelungen, ihm die wahren Grundlagen der Vollblutzucht begreiflich zu machen.
Gehen wir also davon aus, daß die Vollblutzucht im Grunde gar nicht an einer Qualitätsverbesserung interessiert ist, sondern diese lediglich als möglicherweise sogar unerwünschte Nebenwirkung toleriert. Daß es trotzdem einen Zuchtfortschritt gibt, ist unbezweifelbar. Viele, wenn nicht alle Parameter können durch Zucht nach Belieben beeinflußt werden. In der Vollblutzucht stellt sich der Zuchtfortschritt jedoch mittlerweile als Dilemma dar.
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