Vor vielen Wochen haben wir begonnen, uns mit den Kontroversen um den Hufbeschlag und die Hufpflege zu beschäftigen. Manches ist dabei klarer geworden, anderes steht immer noch ungeklärt im Raum. Wie kommen wir weiter? Marjorie Smith (» Barefoot for Soundness, deutsche Übersetzung » Barhuf-laufen zugunsten der Pferdegesundheit), auf die Norbert Balk mich aufmerksam gemacht hatte ( Leserbrief), ermutigt dazu, nicht auf die Fachleute zu warten, sondern selbst Hand anzulegen (» A Wild-horse trim, deutsche Übersetzung » Ein Wildpferde-Trim (-Bearbeitung)).
Ihre Erfahrung scheint zu beweisen, daß ein Pferdehalter sich nicht nur überhaupt im Interesse seines Pferdes mit Hufpflege beschäftigen muß, sondern sich in kurzer Zeit so viel Wissen, Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen kann, daß er seine eigenen und sogar auch fremde Pferde betreuen kann - bis hin zur Gründung einer Existenz als Hufpfleger. Sie betont natürlich, daß man viel lernen muß, und beruft sich ihrerseits auf » Jaime Jackson, » Pete Ramey und » Hiltrud Straßer.
Daraus ergibt sich schon, daß sie ihr eigenes Urteil und ihre eigenen Erfahrungen einbringen und sich nicht von Experten entmündigen lassen will. Im Grunde könnte man schon das eine politische Haltung nennen. So verwundert es nicht, daß sie zur Zeit auf der ersten Seite ihrer Internetpräsenz zu einem politischen Engagement aufruft, weil sie die Vorstöße der US-Regierung hinsichtlich der Kennzeichnungspflicht sämtlicher Tiere für bekämpfenswert und deren Argumente für vorgeschoben hält. Es gehe allein um die Absicherung der Interessen der Futterindustrie zu Lasten der Tierhalter. Das ist eine politische Argumentation, die nichts mit sentimentaler Tierliebe zu tun hat.
Marjorie Smith kann also nicht auf den Begriff "Barhuf" reduziert werden, obwohl sie vor allem dafür berühmt ist - auf der amerikanischen Wikipedia wird sie als bekannteste Internet-Propagandistin der Barhuf-Bewegung bezeichnet (» Jaime Jackson). Schon aus den wenigen Zitaten, die ich in den vorhergehenden Beiträgen gebracht habe, kann herausgelesen werden, daß sie sich auch für Pferde als Lebewesen, als soziale Wesen, als Partner des Menschen interessiert und ihre Internetpräsenz nicht nur zur Verbreitung des Wissens über Hufe und Hufbearbeitung und als Angebot zur Unterstützung aller Pferdefreunde in der ganzen Welt, die sich mit dem Thema Hufpflege beschäftigen wollen, nutzen will.
Dieser Aspekt steht natürlich im Vordergrund, und die zahlreichen Übersetzungen dieser Texte in andere Sprachen zeigen, daß genau dieses Thema ankommt. Marjorie Smith sieht sich als Teil einer weltweiten Barhuf-Bewegung und fungiert in gewisser Weise als deren Sprachrohr. Mehr und mehr Menschen auf der ganzen Welt kommen nämlich allein oder vereint zu dem Schluß, daß Hufeisen generell überflüssig und schädlich sind. Wenn man so weit ist, kann man immer noch genug streiten, nämlich über die richtige Barhufpflege. Viele Barhuf-Enthusiasten überdenken aber ihr gesamtes Verhältnis zum Pferd. Der Huf ist nur ein kleiner Teil des Ganzen.
In den meisten Fällen sind sie nämlich nicht nur gegen Hufeisen, sondern auch gegen Boxen und gegen jegliche Art von Zwang. Es geht um die ganzheitliche Betrachtung des Pferdes und unser Verhältnis zu diesen wunderbaren Lebewesen. Viele Autoren schreiben darüber, wie wir durch den Umgang mit den Pferden lernen können, über uns selbst, über unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen, bis hin zum Führungskräftetraining. Das ist alles wunderbar und bringt uns sicher sehr viel weiter. Ganz neue Aspekte des Verhältnisses von Mensch und Pferd entfalten sich, Dimensionen, die in den Jahrtausenden des Zusammenlebens von Mensch und Pferd nicht sichtbar wurden - jedenfalls nicht in unserer Kultur.
Marjorie Smith ist aber an viel mehr interessiert. Sie will nicht nur das Los der Pferde verbessern, sondern auch das der Menschen. Sie habe viele Jahre lang einen Traum gehabt, ein Ziel: Daß es innerhalb ihrer Lebenszeit zum Frieden auf Erden komme. In diesem Jahr ist sie 60 Jahre alt und es wird Zeit, daß sie etwas dafür tut. Sie findet, daß es ein wunderbares Projekt für den Rest ihres Lebens wäre, ihre Fähigkeiten als Friedensstifter zu verbessern, und zieht eine Parallele zu einem anderen Projekt, nämlich Fähigkeiten als Pferdefreund zu entwickeln (» Peacemakers: People who make peace - Friedensstifter: Leute, die Frieden stiften).
Es wäre aber vermutlich kurzsichtig, Sie gleich mit diesen Gedanken zu konfrontieren. Viel besser scheint es mir, die Entwicklung der Autorin nachzuvollziehen und bei den Pferden anzufangen. Man findet auf der Hufpflege-Seite einen wunderbaren Aufsatz » Getting Along with Horses, deutsche Übersetzung: » Harmonischer Umgang mit Pferden: Kommunikation durch Respekt, Leichtigkeit und Vorstellungskraft, den Marjorie Smith für einen Freund geschrieben hat, der sich für ihre andere Art des Pferdeumgangs interessierte. Sie faßt darin die wesentlichen Erkenntnisse der neueren Pferdeforschung und ihre eigenen Erfahrungen zusammen und legt die Grundlage für ihre politische Haltung.
Aber gehen wir zu Anfang lieber noch einen Schritt zurück: Marjorie Smith war Norbert Balk positiv aufgefallen, weil sie den Leser zum Selbermachen ermuntert. Nicht nur in Argentinien wird es die Situation geben, daß man auch hinsichtlich der Hufpflege gerne wollte, wenn man denn könnte - in diesem Falle den kompetenten, geeigneten Hufschmied zu engagieren, dessen Arbeit den eigenen Pferden gut tut. Was tun, wenn das nicht möglich ist? Ist Hufpflege so kompliziert, daß ein mehrjähriges Studium erforderlich ist, so daß Laien besser die Finger davon lassen?
Marjorie Smith sagt ganz klar nein. Genauer gesagt regt sie dazu an, sich selber Gedanken zu machen und eigene Erfahrungen zu gewinnen und den eigenen Weg zu finden. In diesem Sinne äußert sich auch die deutsche Übersetzerin etwas distanziert zu den übersetzten Texten (» Einführung), wie auch die Autorin selbst sich ständig weiterentwickelt und ihre Texte korrigiert und erweitert. Also keine Angst vor dem eigenen Urteil, den eigenen Erfahrungen, dem eigenen Weg! Jeder ist anders, jeder sieht etwas anderes, jeder kann von jedem anderen lernen, wenn er denn offen ist. Man muß nur anfangen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, muß sich trauen.
Bei Marjorie Smith setzte die Beschäftigung mit den Pferden allerdings einen ungewöhnlichen Prozeß in Gang, den ich für aufregend und wichtig halte, weshalb ich Ihnen diese Entwicklung ausführlich nahebringen möchte. Viele Pferdeleute hatten schon den Eindruck, daß Pferde uns Menschen etwas zu sagen haben, daß wir etwas von Pferden lernen können, und haben Seminare entwickelt und Bücher geschrieben. Im allgemeinen handelt es sich dabei jedoch um Entwicklungsprozesse auf persönlicher Ebene. Wie entwickle ich mein Selbstbewußtsein, wie demonstriere ich meinen Rang, wie setze ich mich durch, wie erkenne ich, ob meine Ansprüche akzeptiert werden? Das Pferd wird als Spiegel benutzt, um die eigene Persönlichkeit vorurteilsfrei erkennen zu können. Wie Marjorie Smith sich über diesen Horizont erheben konnte, werden wir jetzt versuchen nachzuvollziehen.
Nachfolgend mein Versuch der Übersetzung des erwähnten Aufsatzes, den ich "Wie man mit Pferden auskommt" nennen würde.
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