Schon am frühen Mittwochmorgen zog der unwiderstehliche Duft von frischem Kaffe und Rührei mit Speck durch das Lager, Elisabeth machte Frühstück. Bald waren alle aus ihren warmen Schlafsäcken gekrabbelt und versammelten sich im Frühstückszelt.
Ulli Hengemühl hatte Abends die Termine für den Tag bekannt gegeben; so wusste jeder, dass nicht viel Zeit zum Ausschlafen blieb: Veterinär-Check für die Pferde ab 9°° Uhr, Untersuchung und 'Graden' der Fahrer/innen für den internationalen Fahrausweis ab 8°° Uhr, Longieren der Pferde, erstes Training am frühen Nachmittag - ein volles Programm.
Das 'Graden' (Einstufung) der Fahrer/innen wird, sowohl national wie auch international, von besonders geschulten Sportmedizinern durchgeführt. Nach einem Katalog, in dem bestimmte Behinderungen und Erkrankungen nach ihren Auswirkungen auf den Fahrsport aufgeführt sind, werden die Sportler in Grad I, schwerer behindert ( z.B. querschnittgelähmte Fahrer) und Grad II, leichter behindert (z.B. bestimmte Bewegungseinschränkungen durch Lähmungen, kleinwüchsige Fahrer etc.) eingestuft.
Diese Einstufung kann, z.B. bei einer Verschlimmerung der Erkrankung, korrigiert werden. Bei dieser Untersuchung wird auch festgelegt, welche Hilfsmittel der Sportler verwenden darf, um seine Behinderung auszugleichen, oder ein größtmögliches Maß an Sicherheit für sich und sein Gespann zu erreichen.
Dazu gehören z.B. spezielle Leinen mit Schlaufen oder Stegen; umgebaute Bremsen, die vom Beifahrer bedient werden können; Hosenträger- oder Beckengurte und Spezialsitze, die besonders bei querschnittgelähmten Sportlern mit fehlender Bein- und Bauchmuskelkraft das sichere und aufrechte Sitzen erleichtern; Überrollbügel; aber auch die Peitschenführung durch den Beifahrer; etc.
All diese Dinge werden in den Sportgesundheitspass eingetragen. Während die Einstufung in Grads nur bei reinen Behindertenfahrturnieren von Bedeutung ist, finden die eingetragenen Hilfsmittel auch im Regelsport ihre Anwendung.
Aus diesem Grund ist es auch für bestimmte Fahrer wichtig, ihre Behinderung, die zur Einstufung in Grad III (die bisher niedrigste Stufe) führt und im Moment nicht zur Teilnahme an reinen Behindertenfahrturnieren berechtigt, eintragen zu lassen.
So kann ihnen die Verwendung bestimmter Hilfsmittel (z.B. eine Schlaufe für eine bewegungseingeschränkte Hand) auch auf Regelsportturnieren nicht verweigert werden. Es gibt allerdings auch Behinderungen, die zum Ausschluss vom Turniersport führen: z.B. starke Seh-Behinderungen, aber auch geistige Beeinträchtigungen, die das auswendig Fahren von Dressuraufgaben verhindern.
Nachdem gegen Mittag die letzte ausstehende Gradung abgewickelt war und auch alle Pferde ihren ausgezeichneten Gesundheitszustand bescheinigt bekommen hatten, hieß es Anspannen zum Training. Trainer Ulli Hengemühl hatte noch eine schwierige Entscheidung zu treffen: welche Fahrer würden Deutschland in der Mannschaftswertung vertreten?
Drei Fahrer konnte er nennen, davon mindestens einen Fahrer aus Grad I. In jeder Disziplin würde das schlechteste Ergebnis gestrichen, allerdings immer das Ergebnis eines Grad I Fahrers eingerechnet werden - eine kniffelige Aufgabe. Letzte Entscheidungshilfe sollte also nun das Training sein.
| |