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Leserbrief 1047


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Leserbrief  1047 zu Ausgabe  233
15.09.03



Körperwelten

Auf der Ausstellung Hansepferd habe ich ein Skelett und den präparierten Verdauungstrakt eines Pferdes gesehen. Dazu wurden verschiedene Schautafeln mit erklärenden Texten und Fotos einzelner Organe gezeigt. Dies habe ich mit Interesse wahrgenommen. Es handelte sich dabei um neutrale Sachinformationen ohne Show-Effekt.

Als Kind besuchte ich in den Schulferien gelegentlich meine Mutter an ihrem Arbeitsplatz in einem medizinischen Labor der Universität. Dort ging ich damals oft allein durch die Gänge.

In einem Nachbarraum befanden sich menschliche Präparate in Formol-Gläsern. Darunter missgebildete Föten aber auch einzelne abgetrennte Arme mit Tätowierungen. Und es waren sogar die berüchtigten Lampenschirme aus tätowierter Menschenhaut vorhanden. Vermutlich sämtlich Überbleibsel aus dem Dritten Reich von denen bestimmt nur ein Teil der Präparate für die Ausbildung von Studenten sinnvoll war.

Die (in den Medien) gezeigten Ausstellungsstücke der Körperwelten lassen bei mir dann auch wieder ganz einfach die Erinnerung an NS-KZ-Ärzte wach werden, die diese Lampenschirme aus tätowierter Menschenhaut hergestellt haben.

Als Kind war ich magisch von den großen Gläsern mit den Leichenteilen angezogen. Ich hatte gleichermaßen Angst und konnte doch nicht wegschauen. Es war ein ganz merkwürdiger Zwang. Ich möchte vermuten, dass es vielen erwachsenen Besuchern der Körperwelten ähnlich geht, ohne dass sie es sich bewusst machen.

Es ist gut, dass wir in einer liberalen Gesellschaft leben, in der auch Platz für Grenzgänger ist. In unserem Grundgesetz steht aber sinngemäß, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Es entspricht nicht der Würde des Menschen - und damit meine ich einen würdevollen Umgang untereinander - wenn ein Mensch zu einem Show-Objekt wird. Wo soll dabei die Grenze gezogen werden. Ansonsten könnte man die Herstellung von Schaufenster-Puppen sparen und Herrn Hagens' Plastinate als Kleiderpuppen verwenden. Warum nicht?

Vor ein paar hundert Jahren mussten die Menschen im Einklang mit den Haustieren leben, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Ein kaputtes Pferd konnte für die bäuerliche Familie leicht existenzgefährdend sein. Das, in heutiger Zeit privat gehaltene Tier (unter dem neuen Begriff: emotionales Nutztier bekannt) wird oft nicht artgerecht gehalten oder es handelt sich um sinnlose Spaß-Züchtungen.

Das Gefühl für die richtige Haltung und den richtigen Umgang mit Tieren ist heute bei vielen Menschen verloren gegangen. Sei es die alte Dame mit ihrem Zwerghund auf dem Sofa oder der verbissene Springreiter, der unbedingt an die Grenze gehen will. Ich weiß auch von vielen Kindern, dass sie sog. Tests mit Mäusen und Meerschweinchen machen, wie oft das Tier wohl vom Tisch fallen kann.

Ein öffentlich an Plakatwänden gezeigtes Körperwelten-Plakat, wie das des Reiters mit Pferd, erzeugt bei Kindern und Erwachsenen unbewusst eine Einstellung, dass man mit den Menschen und Tieren nicht würdevoll umgehen muss. Im Ergebnis führt dies zu einem ignorantem Verhalten und zu einer Verrohung in der Gesellschaft.

Zum Abschluss frage ich mich, wie viele der Besucher dieser Ausstellung bereit wären eine Behinderten-Einrichtung am Tag der offenen Tür zu besuchen und dort in praktischer Weise Nähe, Akzeptanz und Nächstenliebe zu leben anstatt sich ein paar künstlich erschaffene Monstren anzuschauen.

Ich würde Herrn von Hagens auf jeden Fall lieber in therapeutischer Behandlung als in einer Ausstellung sehen.

Orm Holub
Petersfelder Herbstjagd




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