| ..."Wir sind da. Da hinten in der umgebauten Scheune habe ich eine große Box für Lady hergerichtet, und die Koppel da drüben steht ihr fürs Erste ganz allein zur Verfügung. Meinen Sie, dass das einstweilen für unser Traumpferd genügt?"
Linda starrte den jungen Mann entgeistert an. Sie konnte gar nicht fassen, was sie hier sah, und fühlte sich durch diese Frage irgendwie zum Narren gehalten, denn die ganze Anlage war einfach märchenhaft schön � ein richtiges Pferdeparadies!
Die lang gestreckten, riesigen Koppeln, die zum größten Teil mit saftigstem Gras bewachsen waren, ließen sicher jedes Pferdeherz höher schlagen. In der Mitte zwischen den Weiden befand sich eine breite, herrschaftlich anmutende Rosskastanienallee, und vor den Koppeln führte ein schmaler, geschlängelter Weg linker Hand in ein kleines verträumtes Laubwäldchen, das einem förmlich zum Ausreiten einlud.
Diese wunderbare Idylle begeisterte das romantische Mädchen derart, dass es völlig zu antworten vergaß.
"Was ist los? Gefällt es Ihnen nicht?", fragte Dr. Winter kläglich.
"Was heißt hier gefallen? Es ist traumhaft schön hier, richtig paradiesisch! So eine herrliche Anlage habe ich noch nie gesehen! Lady kann sich wirklich glücklich schätzen, nun hier leben zu dürfen!", erging sich Belinda in wahren Lobeshymnen und machte damit den Hausherrn überglücklich.
"Das freut mich aber, dass es Ihnen hier so gut gefällt!", strahlte er übers ganze Gesicht und legte liebevoll den Arm um seine � mittlerweile wieder neben ihm stehende � attraktive Mitbewohnerin. "Wir haben uns aber auch sehr viel Mühe gegeben, um aus diesem völlig verwahrlosten Anwesen wieder ein kleines Schmuckstück zu machen. Nicht wahr, mein Schwesterherz?"
"Das stimmt, kleines Brüderlein! Es war schon sehr viel Arbeit, doch es hat sich sichtlich gelohnt", pflichtete diese ihm bei.
"Sie sind Geschwister?"
Linda blickte die beiden erstaunt an. "Ja, natürlich, oder haben Sie etwa geglaubt, dass wir ein altes Ehepaar sind? Gott bewahre! Diese Frau würde mich auf Dauer in den Wahnsinn treiben!", erwiderte Dr. Winter schelmisch.
"Zügle deine vorlaute Zunge! Vergiss nicht, dass ich die Ältere bin. Manchmal frage ich mich wirklich, wie ich es so lange mit dir ausgehalten habe", rügte ihn seine Schwester und versetzte ihm einen freundschaftlichen Knuff in die Rippen. "Ein solches Missverständnis wäre aber nie zustande gekommen, wenn du uns sofort ordnungsgemäß einander vorgestellt hättest.
Am besten nehme ich das jetzt selbst in die Hand. Also, ich heiße Jasmin Winter, bin � wie du ja schon selbst feststellen konntest � Richards geplagte große Schwester und wohne in einem eigenen Trakt dieses großen Hauses.
Und du bist sicher das Mädchen, das sich bis jetzt so rührend um diese prachtvolle Stute gekümmert hat. Da du uns � wie mein Bruder mir schon gestern erzählt hat � in Zukunft ja wahrscheinlich noch öfter besuchen wirst, und ich dieses förmliche Gesieze hasse, würde ich vorschlagen, dass wir uns von nun an duzen. Einverstanden?", wandte sie sich auf sehr legere Art an Linda, wobei jedoch unschwer zu erkennen war, dass sie gewohnt war, den Ton anzugeben.
"Ja, gerne. Das ist mir auch bedeutend lieber so. Ich heiße Belinda Sommer, aber alle nennen mich Linda", stellte auch sie sich vor.
"Dann verstehe ich nur nicht, warum ihr beide euch noch nicht duzt. Ihr kennt euch doch schon ziemlich lange und liegt altersmäßig gar nicht so weit auseinander", wunderte sich Jasmin, während sie abwechselnd auf ihren Bruder und das junge Mädchen sah.
"Dein Bruder hat gemeint, dass er damit mich und womöglich auch sich selbst in Schwierigkeiten bringen könnte, da ich einen sehr eifersüchtigen Freund habe", erklärte Linda prompt ihr distanziertes Verhältnis zueinander.
"Seltsam. Weiß dein Freund denn nicht, dass es in Reiterkreisen normalerweise sehr kumpelhaft zugeht?"
"Doch. Er besitzt ja selbst ein Pferd und ist eigentlich auch sehr kontaktfreudig und kameradschaftlich, aber als dein Bruder und ich uns einmal unterhalten haben, hat er sofort einen Aufstand gemacht", erzählte Belinda einen Teil der Geschichte, ohne allerdings zu erwähnen, dass Alexander sie beide in innigster Umarmung angetroffen hatte.
Trotzdem schien Jasmin zu erahnen, dass man ihr diesbezüglich wichtige Details vorenthielt.
"Aber ein freundschaftliches Gespräch ist doch noch kein Grund für ein Eifersuchtsdrama. Ist da nicht vielleicht noch etwas Anderes zwischen euch vorgefallen?", hakte sie neugierig nach.
Linda errötete und sah verlegen zu Boden, während sie verzweifelt nach den richtigen Worten suchte, doch glücklicherweise bekam sie in diesem Moment männliche Unterstützung.
"Nein, da ist sonst absolut nichts gewesen! Aber vielleicht könnten wir dieses leidige Thema jetzt beiseite legen und uns um Lady kümmern", würgte Richard, dessen Gesicht ebenfalls eine etwas dunklere Farbe angenommen hatte, nun das lästige Frage-Antwort-Spiel ab.
Seine Stimme klang dabei ausgesprochen schroff, und er wirkte plötzlich sehr unnahbar, sodass Linda, die ihn für die hilfreiche Einmischung dankbar angelächelt hatte, ziemlich erschrak.
Seine Schwester, die mit seinen Eigenheiten offenkundig bestens vertraut war und somit sofort erkannte, dass sie mit ihrer Neugier wohl etwas zu weit gegangen war, sah ihn nur nachdenklich an, verkniff sich aber jede weitere indiskrete Bemerkung.
Linda war froh, dass sie keine weiteren peinlichen Fragen beantworten musste, obwohl sie das betretene Schweigen, das nun die kleine Gruppe umgab, auch nicht als sehr angenehm empfand. Wortlos geleiteten alle drei die zappelige Stute zu der ihr zugedachten Weide, wobei sie drei Pferdeaugenpaare von den angrenzenden Koppeln aus gespannt verfolgten.
Als jedoch Belinda ihren Liebling mit einem aufmunternden Klaps in die weitläufig begrenzte Freiheit entließ, war die gedrückte Stimmung mit einem Mal völlig verflogen, denn der atemberaubende Anblick des majestätisch dahinschwebenden, edlen Tieres löste bei allen Anwesenden eine beinahe andächtige Begeisterung aus.
"Mein Gott, dieses Pferd ist wirklich ein Traum! Seht euch nur diese phänomenalen Bewegungen an!", sprach Jasmin aus, was Linda und Richard in stiller Bewunderung fühlten.
Tatsächlich machte Lady ihrem Namen alle Ehre und präsentierte sich in anmutigster Haltung mit wunderschön gebogenem Hals und stolz emporgerecktem Schweif abwechselnd in geschmeidigen, weit ausgreifenden Galoppsprüngen und erhabenen, graziösen Trabtritten. Ein wahrer Augenschmaus für jeden Pferdekenner!
Linda spürte förmlich, wie Ladys Herz vor Glück fast zersprang, und ihre Augen füllten sich mit Freudentränen. Dem stolzen, neuen Besitzer schien es ähnlich zu ergehen, denn auch er blinzelte verdächtig.
"Ich glaube, unser Traumpferd fühlt sich hier sehr wohl", flüsterte er kaum hörbar, wofür das Mädchen ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre.... | | |