In der letzten Folge dieser Artikelserie möchte ich das Problem des Durchgehens und dessen Vermeidung anhand des bereits in der vorigen Woche angesprochenen �Traktor-Falles� etwas näher erläutern. Natürlich ist der Traktor in unserem Beispiel aber jederzeit durch andere angstauslösende Dinge oder Situationen austauschbar, denn es geht hier nur um das Grundprinzip des richtigen Agierens und Reagierens.
Wer oder was bei einem Pferd eine Angst- oder Panikstimmung bewirkt, ist völlig egal, wichtig ist nur, dass sich der Reiter davon nicht anstecken lässt und weiterhin die Ruhe bewahrt, denn nur so kann er optimal auf das ängstliche bzw. nervöse Pferd einwirken. In solchen Situationen zeigt es sich meist rasch, ob man zum Reiter geboren ist, denn es lassen sich selbstverständlich die dafür benötigten Kreuz-, Schenkel- und Zügelhilfen mit der Zeit einstudieren, doch die so wichtige innere Gelassenheit, das schnelle Reaktionsvermögen und das intuitive Erspüren der zu erwartenden Aktionen des Pferdes können im Normalfall nur sehr schwer erlernt werden, wenn nicht wenigstens eine gute Grundveranlagung in einem steckt.
Vor allem der letzterwähnte Punkt ist im Umgang mit schwierigen Pferden aller Art von großer Bedeutung, da auf solche Tiere nichts beeindruckender wirkt, als wenn man ihre Handlungen vorausahnt und diese durch gezielte Maßnahmen gleich im Keim erstickt. Dadurch erkennt das Pferd, dass der Reiter ihm in seiner Intelligenz weit überlegen ist, wodurch es ihn gerne als Führungsperson anerkennt und ihm vertraut. Und nur auf dieser Basis lassen sich auch schwierige Situationen gut bewältigen.
Um diese intuitiven Fähigkeiten optimal zu trainieren, sollte man so viel Zeit wie möglich mit seinem Pferd verbringen, nicht nur beim Reiten, sondern auch bei gemeinsamen Spaziergängen und durch passives Beobachten des Tieres auf der Koppel und im Stall. Die Verhaltensweisen, die es im Umgang mit Artgenossen oder beim Auftauchen einer (vermeintlichen) Gefahr zeigt, sollte man sich gut einprägen, um sie in späteren Krisensituationen schon im Ansatz erkennen und schnell darauf reagieren zu können.
Außerdem sollte man durch Beobachten und Austesten in Erfahrung bringen, wodurch sich das jeweilige Pferd wieder am besten beruhigen lässt, denn auch hier unterscheiden sich einzelne Individuen mitunter sehr stark. Gutes Zureden � vor allem, wenn es mit sanfter, eher tiefer Stimme erfolgt � verfehlt zwar fast nie seine Wirkung, aber es wird in vielen Fällen nicht ausreichend sein, um die volle Aufmerksamkeit des aufgeregten Tieres zu erlangen und dieses vom Gegenstand der Angst abzulenken bzw. es von dessen Gefahrlosigkeit zu überzeugen.
Üblicherweise wird empfohlen, das Pferd in solchen Situationen fest an die Hilfen zu stellen, doch ist dies nur bei sehr gut untergeordneten und eher unsensibleren Tieren ratsam. Vollblütige und sehr sensible Pferde fühlen sich hingegen durch stramme Zügel und angelegte Schenkel meist beengt und eher noch mehr bedroht, wodurch sich ihre Nervosität mitunter rasch steigern und in kopflose Panik verwandeln kann. So können aus der ursprünglichen Fluchttendenz sehr schnell Widersetzlichkeiten, wie etwa Steigen oder Bocken, erwachsen.
Ich habe schon sehr oft mit Pferden dieses Naturells zu tun gehabt und dabei immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es bedeutend besser ist, ihnen einen etwas größeren Freiraum zu lassen, und sie nur durch aktive Kreuzeinwirkung und leichtes Zupfen oder Vibrieren am Zügel an die vorhandene Kontrolle des Reiters zu erinnern. Bei der von mir verwendeten gebisslosen Zäumung (Sidepull bzw. Lindel) wirkt dies besonders effektiv, doch auch beim Einsatz diverser Trensen- und Kandarengebisse kann man mit dem nötigen Feingefühl so vorgehen.
Merkt man allerdings, dass man so oder so nicht den gewünschten Erfolg erzielt, sollte man doch lieber absteigen, um auf diese Weise besser auf den Kopf des Pferdes einwirken zu können. Auch in dieser Position ist es wichtig, mit freundlicher Bestimmtheit vorzugehen, das Pferd nicht mit blinder Vertrauensseligkeit gefährlich nahe um sich herumtänzeln zu lassen, es aber auch nicht auf zu weiten Abstand zu verbannen bzw. entfernen zu lassen, da dabei einerseits leicht die Kontrolle über das Tier verloren wird und dieses andererseits sehr schnell merkt, dass man sich vor ihm fürchtet, was wiederum das Vertrauensverhältnis ins Wanken bringt.
Viele Reiter scheuen sich ja vor dem Absteigen in Krisensituationen, weil sie zum Einen ihrem Pferd in dieser �niederen� Position nicht vertrauen und/oder zum Anderen meinen, damit ihre Autorität als Reiter einzubüßen. Letzteres ist aber keineswegs der Fall, denn es ist allemal besser, auf diese Weise die Kontrolle zu behalten, als sich auf einen in vielen Fällen aussichtslosen reiterlichen Kampf einzulassen.
Ich habe jedenfalls immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ruhiges, geduldiges Vorgehen vom Boden aus dem Pferd sehr viel schneller Vertrauen einflößt. Eine sehr nützliche zusätzliche Maßnahme � vor allem bei generell gefräßigen Tieren � stellt das leider oft verpönte Anbieten von Leckerlis dar, da das Pferd dadurch nicht nur besonders gut abgelenkt werden kann, sondern letztendlich die �Gefahr� in einem positiven Licht zu sehen beginnt. Dazu ist es von Vorteil, bei einem Ausritt immer einige kleine Leckerbissen griffbereit bei sich zu tragen, um sie im Notfall rasch verwenden zu können.
Wenn in unserem speziellen Fall der Traktor immer näher kommt und sich die Nervosität des Pferdes zu steigern beginnt, steigt man also am besten ab, streichelt das Pferd beruhigend und gibt ihm vorab einen kleinen Leckerbissen, dann führt man es aber gleich wieder zielstrebig weiter. Durch das Absteigen wird auch dem Traktorfahrer signalisiert, dass das Pferd noch nicht verkehrssicher genug ist, um an ihm vorbeigeritten werden zu können. Eventuell kann dies durch ein entsprechendes Handzeichen des Reiters noch verdeutlicht werden.
Handelt es sich um einen verantwortungsvollen Fahrer, wird er bestimmt das Tempo etwas drosseln oder unter Umständen sogar stehen bleiben, was dem Pferdeführer die Sache bedeutend erleichtert, da ein stehendes Gefährt um einiges gefahrloser umrundet werden kann. Kurz bevor man nun den Traktor erreicht, wird wieder ein Leckerbissen gegeben, sollte der Traktor tatsächlich still stehen, dann ist auch direkt auf Höhe des Fahrzeuges ein Leckerli angebracht, ansonsten ist es besser, damit zu warten, bis man das Hindernis passiert hat, um nicht womöglich durch eine Unachtsamkeit doch noch die Kontrolle über das Tier zu verlieren. Nach der Bewältigung dieser schwierigen Situation ist selbstverständlich überschwängliches Lob vonnöten, um dem Pferd zu zeigen, wie zufrieden man mit ihm ist und um ihm das Bezwingen seiner Angst so richtig schmackhaft zu machen.
Auf diese von mir bevorzugte Weise habe ich schon viele Pferde von verschiedensten Ängsten befreit und gleichzeitig ein stabiles Vertrauensverhältnis aufgebaut, aber selbstverständlich bleibt es jedem Reiter selbst überlassen, welche Methode er wählt. Wichtig ist nur � wie bereits erwähnt � dass die Gefahr erfolgreich bezwungen und nicht vor ihr davongerannt wird, denn nur dies festigt das Selbstvertrauen von Pferd und Reiter. Da der Angst eines Pferdes mit Gewalt normalerweise nicht beizukommen ist, sollte jeder Reiter also von Anfang an bemüht sein, Angst- und Panikgefühle seines Pferdes durch gezieltes und vernünftiges Heranführen an �Gefahren� bereits im Keim zu ersticken.
Jedes übertriebene Risiko, wie z.B. das zu knappe Vorbeigehen am fahrenden Traktor, sollte allerdings vermieden werden, da jedes negative Erlebnis � und sei es auch nur ein zusätzliches Erschrecken des Pferdes � einen Vertrauensverlust bedeutet, was sich wiederum in späteren Krisensituationen in vermehrter Angst und Nervosität des Pferdes niederschlägt, was bei Ausritten nicht nur sehr unangenehm und lästig, sondern auch sehr gefährlich werden kann.
In diesem Sinne möchte ich diese Artikelserie vorläufig beenden und allen meinen Lesern eine besinnliche Vorweihnachtszeit wünschen. Ab nächster Woche erscheinen in meinem �Angebot der Woche� dann wieder Leseproben meines Pferderomanes �Arabische Träume�. |