| | Johann Riegler, Interview | | | |
| Keine Ahnung. Meiner Ansicht nach kann man den geschmeidigen Sitz bei entsprechendem Talent auch ganz ohne Lehrer in kürzester Zeit erwerben, aber wer bin ich, dass ich das behaupten kann? Und selbst wenn ich recht hätte, was bezweifelt werden kann: Was würde Ihnen das nützen? Aber vielleicht gelingt es gerade mit dieser DVD, die ja bisher selbst für die Eleven der Spanischen Hofreitschule nicht zur Verfügung stand, den Knoten zum Platzen zu bringen und auch äußerst unbegabten und hoffnungslos steifen Reitschülern zum heiß ersehnten geschmeidigen Sitz zu verhelfen? Vielleicht wirkt diese DVD Wunder? Ich würde die These, dass die Bilder im Film, insbesondere die digitalisierte Darstellung der Zusammenhänge des Knochengerüsts und der Bewegungsabläufe, das Erlernen sehr erleichtern, indem diese Bilder auf irgendwie magische Weise unser Gehirn dazu veranlassen, die richtigen Signale an den Körper zu geben, so dass dieser sich optimal verhält, energischer vertreten, wenn nicht Johann Riegler immer wieder auch betonen würde, dass selbst für einen alten Hasen der Spanischen Hofreitschule der geschmeidige Sitz mehr oder weniger ein Fernziel bleibt. Stellen Sie sich das vor! Eine solche Aussage muss einen natürlich vollkommen deprimieren. Wenn das so ist, soll man dann überhaupt anfangen? Soll man sich überhaupt darum bemühen? Erscheint die ganze Übung dann nicht aussichtslos? Andererseits: Millionen Menschen setzen sich aufs Pferd und haben ihren Spaß dabei, machen sich überhaupt keinen Kopf über den richtigen, geschweige denn geschmeidigen Sitz und sind glücklich damit - jedenfalls solange sie der Kritik anderer Reiter, der Lektüre gewisser Bücher und dem Anschauen dieser DVD entgehen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Aber wem gelingt das schon? Wenn man sich nun zerknirscht eingestehen müsste, dass man leider nicht über den geschmeidigen Sitz verfügt, diesen aber unbedingt bräuchte, die Kurve bekäme und sich auf die Sitzschulung nach Johann Riegler einlassen würde mit der Aussicht, höchstwahrscheinlich niemals zum Ziel zu kommen, wäre das ja gewissermaßen die Einladung zu einer lebenslangen Depression. Das wäre noch eine der vielen Antworten auf die Frage: Wie mache ich mich garantiert systematisch und auf Dauer fertig? (Sie erinnern sich sicher an meinen launigen Bemerkungen über den Masochismus im Sport in einem der früheren Artikel dieser Reihe.) Insofern finde ich, dass die DVD darunter leidet, eine Doppelbotschaft zu vermitteln. Die Wichtigkeit des geschmeidigen Sitzes wird herausgearbeitet, es wird gezeigt, wie man diesen möglicherweise erwerben kann, Übungen werden angeboten für Anfänger und Fortgeschrittene, man erfährt sogar, wie man leibhaftige Kurse bei Johann Riegler buchen kann, und gleichzeitig macht dieser immer wieder klar, dass man zwar auf diesem Weg Fortschritte machen kann, dass diese Fortschritte mit seiner Methode möglicherweise schneller und nachhaltiger und sicherer erreicht werden können, dass aber das Ziel der ganzen Übung zumindest in weiter Ferne liegt, wenn es denn überhaupt je erreicht werden kann. Und das ist die schlechte Nachricht. Vermutlich wird es nie gelingen. Machen Sie sich schon mal darauf gefasst. Hoffnung und Entmutigung, Ermunterung und Enttäuschung, Ehrgeiz und Demütigung werden wie in einem Cocktail ständig gemischt dargeboten. Am Ende muss man sich nicht wundern, wenn der Zuschauer konsequenterweise ebenfalls gemischte Gefühle hat. Soll er sich darüber freuen, dass er jetzt endlich erfahren hat, wie wichtig der richtige, der geschmeidige Sitz ist, er aber im Grunde keinerlei Chance hat, diesen jemals erwerben zu können, jedenfalls nicht mit vertretbarem Aufwand? Im Hintergrund natürlich immer auch noch der Vorwurf, bewusst die Pferde zu quälen, wenn man nicht wie gezeigt und gefordert über den richtigen Sitz verfügt. Der durchschnittliche Reiter, der sich bewusst wird, dass er weder über den richtigen Sitz verfügt noch diesen jemals wird erlangen können, muss sich also im Grunde als Tierquäler empfinden, die Stunde fürchten, wo die Tierschützer auf ihn losstürmen werden, weil er das Pferd für sein persönliches Vergnügen missbraucht, und zwar wissentlich und in vollem Bewusstsein!
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