Anfang der zwanziger Jahre, als diese Entwicklung begann, stand sie noch auf sehr wackeligen Füßen. Die deutsche Pferdezucht war ebenso wie der Sport keineswegs führend in der Welt. Hinzu kam, daß sich durch die Umstellung der Armee die Nachfragesituation vollständig geändert hatte. Und dann noch die Politik:
| "Kauft nur deutsche Pferde!"
Zu Beginn der 20er Jahre erläßt die Reichsregierung eine Einfuhrsperre für ausländische Pferde, vornehmlich um die deutschen Züchter vor den Händlern den Nachbarstaaten zu schützen. Diese Maßnahme hatte einen äußerst positiven Einfluß auf die Warmblutzucht. In vielen Regionen wird die durch die starke Nachfrage gesteigerte Pferdeproduktion zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige der Landwirtschaft.
Zum Entsetzen der Züchter und des Reichsverbandes wird das Importverbot im März 1925 aufgehoben - mit der Folge, daß bereits vier Wochen später knapp 6.000 Pferde unterschiedlicher Rassen, Warm- und wie Kaltblut, importiert werden. Bis August kommen über 24.000 ausländische Pferde über die Grenzen, bis Jahresende sind es bereits 44.000. Ihr Wert wird mit über 30 Millionen Mark angegeben - eine Summe, die den deutschen Züchtern und Händlern verlorengeht.
Die Preise für deutsche Pferde sinken dramatisch, die Absatzfrage wird zunehmend problematischer. Die Züchter sind ratlos und reagieren auf ihre Weise. Sie lassen viele ihrer Stuten nicht mehr decken. Einige Vergleichszahlen: die 3.000 Landbeschäler der Preußischen Gestütsverwaltung decken bis zum 30. April 1925 rund 65.000 Stuten. Bis zum 30. April des Vorjahres waren knapp 92.000 Stuten gedeckt. Dies entspricht einem Rückgang von 35 Prozent. Noch erheblicher ist der Rückgang der Bedeckungen im Bereich des hannoverschen Landgestüts Celle: bis zum Stichtag des Jahres 1925 sind 8.300 Stuten gedeckt, ein Jahr zuvor waren es 15.700 - ein Minus von fast 50 Prozent.
In der Not wendet sich der Präsident des Kreisverbandes für Zucht und Prüfung deutschen Warmbluts, Eberhard v. Zitzewitz, mit einem flammenden Aufruf an die deutsche Öffentlichkeit: "Deutsche, kauft nur deutsche Pferde!" Zitzewitz appellierte an alle Reiter: "Haltet dem deutschen Pferde die Treue! Unterstützt die deutschen Pferdezüchter!" Susanne Hennig: 100 Jahre FN | | |
Über die Gründe dieser politischen Schlingerbewegung gibt uns das Buch keine Auskunft, aber sie liegen vermutlich auf der Hand. Protektionismus ist populär und hat unmittelbaren Erfolg, zieht jedoch aus ebenso naheliegenden Gründen den Zorn des Auslands auf sich. Und da Deutschland politisch schwach war, mußte es sich vermutlich dem ausländischen Druck hat beugen und die protektionistischen Maßnahmen wieder aufheben müssen.
In Zeiten der freien Marktwirtschaft haben wir es gelernt, daß Subventionen auf die Dauer keine Lösung sind, sondern unhaltbare Zustände konservieren und zwar kurzfristig politischen Erfolg versprechen, auf lange Sicht aber mehr Schaden anrichten als vertretbar erscheint. Es gibt nur einen Weg: Man muß besser werden und sich im Markt bewähren oder weichen. Wer am Markt vorbeiproduziert, tut sich keinen Gefallen.
Was ist der Markt? Teilweise wird der Markt erst geschaffen. Die Anstrengungen Gustav Raus, so hatten wir in der letzten Ausgabe dieser Reihe gesehen, zielten auf die Entwicklung einer breiten sportlichen Basis, die beim bäuerlichen Züchter ansetzte. Dieser sollte selbstverständlich die selbst gezogenen Pferde einsetzen. Der Ansatz muß angesichts der naheliegenden Bedürfnisse der Bauern, die nun mal keine Sportpferde, sondern Arbeitspferde brauchen, gewagt erscheinen.
Der Absatzmarkt für diese Art Pferde war also nicht mehr das Militär, jedenfalls nicht in erster Linie, auch nicht die Landwirtschaft, sondern der Sportreiter. In der Tat hatten wir von phantastischen Veranstaltungen in städtischen Reitschulen gelesen, die die Entwicklung der letzten Jahre vorweggenommen haben. Zwar gab es in der 20er Jahren sehr viel Elend, aber auch sehr viel Reichtum. Das Titelbild der vorletzten Ausgabe mit dem prächtigen Mercedes, der Dame und dem Pferd zeigt ganz klar, wer diese Pferde kaufte. Reiten war ein Sport für vermögende Leute.
Zugleich aber hatte der Sport eine politische Dimension.
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