In gewisser Weise ergänzen sich beide Typen in ihren Bedürfnissen und geben sich jeweils das, was sie brauchen. Das Verhältnis ist objektiv gesehen unerträglich, was aber von den beteiligten Personen nicht so gesehen werden kann. Deshalb fällt es schwer, die Schilderungen der krankhaften Interaktion zu verdauen. Sie wird so naiv und unschuldig dargestellt, daß es weh tut. Man möchte schreien und versteht nicht, warum die Beteiligten es nicht tun.
| Daß sich Rolf Dinge von uns nahm, war für uns auch in Ordnung. Er war unser Lehrer und Führer und es war wichtig, daß er alles bekam, was er brauchte. Er hatte uns einmal bei einem Treffen erklärt, daß er als Führer mehr brauchte als wir: "Wenn es jemand nicht in Ordnung findet, daß ich mehr zum Essen brauche als ihr, daß ich besseres und teureres Essen und Trinken brauche, öfters Fleisch essen muß, soll er es mir jetzt sagen. [...] Wenn ich nicht ebenso auf mich achte, werde ich krank. Und schließlich bin ich euer Kopf. Was macht ihr, wenn ich ausfalle? Ihr seid aufgeschmissen ohne mich. Ich hab' ja auch die meiste Arbeit. Ihr habt ja keine Ahnung, was ich alles tue und wieviel ich den ganzen Tag leiste. Wo sind denn eure Bücher, wo ist eure Kunst und wo eure Musik? Ihr schafft nichts von alledem. Ihr kriegt nichts auf die Beine, weil ihr nicht in der Lage seid, eure Zeit so zu organisieren, daß ihr das alles schafft, so wie ich." Natürlich wollten wir alle, daß es Rolf gutging und niemand hatte etwas gegen diese Bevorzugung. Wir hatten doch sowieso nie kontrolliert, wieviel und was er aß und trank. Doch Rolf war der einzige von uns, der sich seine Zeit wirklich frei gestalten konnte. Wir kamen uns unfähig und wie Versager vor. a.a.O., S. 107 | | |
Nach dieser Standpauke bei anderer Gelegenheit wieder das Gegenteil - wie es ihm gerade paßt:
| Rolf gab uns noch ein paar Instruktionen: "Schaut, daß ihr jetzt mit mir klarkommt. Macht mich nicht zu eurem Guru. Ich selbst will das nicht. Es liegt an euch, wenn andere Leute von mir sagen, ich sei ein Guru. Ihr seid es, die mich dazu machen. - seid jeden Augenblick wachsam und klar. Seit endlich stark und laßt euch nicht von jemandem von außen beeinflussen." a.a.O., S. 101 | | |
Ein anderer Ausdruck für diese Art von Manipulation ist "Gehirnwäsche". Der Ausdruck soll nach meinem Verständnis signalisieren, daß die Person, deren Gehirn gewaschen wurde, in ihrer Zurechnungsfähigkeit gemindert ist. Diese Person wurde durch die Methode willenlos gemacht, mißbraucht, manipuliert. Sie kann fremdbestimmt eingesetzt und beliebig benutzt werden.
Das alles klingt, als sei es so weit weg, als betreffe es einen nicht persönlich. Tatsächlich aber begegnen wir hier nur der extremen Ausformung eines Problems, das sehr weit verbreitet ist und vermutlich jeden einzelnen betrifft. Im Grunde ist diese Einsicht erschreckend. Die Auswirkungen sind katastrophal ( » Milgram-Experiment, » Stanford-Experiment).
| Menschen, die in ihrer Kindheit häufig double-binds ausgesetzt waren, haben in der Regel eine labile Persönlichkeit, und können durch Suggestionen und Hypnose ungewöhnlich stark beeinflusst werden. Besonders gegenüber Autoritätspersonen verhalten sich solche Menschen sehr unterwürfig, sofern sie deren Überlegenheit anerkannt haben.
Durch double-binds Geschädigte können auf Befehl außerordentlich grausame Handlungen ausführen, auch wenn die Befehle deren ethischen und moralischen Überzeugungen grundlegend widersprechen. Die Angst um das eigene Ego ist aufgrund der labilen Persönlichkeit und des schwachen Selbstwertgefühls sehr groß. Außerdem können deren moralische Prinzipien durch Autoritätspersonen relativ leicht in Frage gestellt werden. Dies konnte durch das wegweisende Milgram-Experiment gezeigt werden.
In der heutigen Stress- und Leistungsgesellschaft sind die meisten Menschen mehr oder weniger durch double-binds geschädigt. Eine strenge Abgrenzung zwischen psychisch gesund und psychisch krank ist aus der double-bind-Perspektive nicht erwünscht und auch nicht möglich.
Ethische Verhaltensweisen entsprechen oft einer Anpassung an eine Erwartungshaltung im sozialen Umfeld und nicht der tieferen inneren Überzeugung. Dies konnte im Stanford-Experiment eindrucksvoll demonstriert werden. » Manipulation und Autoritätsdominanz | | |
Also: Keiner schließe sich von vornherein aus. Worauf kommt es dem Autor dieses Textes an? Die tiefe innere Überzeugung - und was ist das? Welche Motivation bewog die Autorin, Rolf zu folgen und sich in dessen Abhängigkeit zu begeben?
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