Noch etwas irritiert, das aber gewaltig - wenn man erst einmal drauf kommt: unser Fohlen sucht ganz offensichtlich die Mutterbrust, und zwar am falschen Ort, dort, wo sie bekanntlich nur bei Menschenmüttern zu finden ist.
Das ist sicherlich auch dem Maler bekannt gewesen. Warum also stellt er diese verwirrende Situation dar? Er ist frei zu zeigen, was er will. Er zeigt dies. Das Bild ist also keineswegs so harmlos, wie es auf den ersten Blick scheint.
Die Haltung des Fohlens ist vollkommen eindeutig in ihrer Bedeutung. Wie sagt die Beschreibung im Buch? "Mit dieser Sepiazeichnung hat Géricault einen intimen Augenblick zwischen Stute und Fohlen eingefangen."
Genau. Die Autorin hat es auch gespürt. Klingt etwas merkwürdig. Jetzt manipulieren wir etwas: "Mit dieser Sepiazeichnung hat Géricault einen intimen Augenblick zwischen Mutter und Kind eingefangen." Das klingt authentisch.
Also stellt sich die Frage: war die falsche, verwirrende Stellung des Fohlens Absicht des Malers - wenn ja: welche? oder verbirgt sich dahinter eine unbewußte Projektion, d.h. spricht hier die Seele des Künstlers und benutzt das Bild, um etwas für sie Wichtiges zum Ausdruck zu bringen?
Wenn dies so ist, dann haben wir hier einen Mechanismus wie im Märchen, wo Menschen verwandelt werden und Tiere sind und als Tiere etwas erleben, was unschwer wieder zurückübersetzt werden kann in die Menschensprache. Dann wäre die Stute also die Mutter, das Kind der kleine Théodore.
Versuchen wir, wieder zum Augenschein zurückzukehren und weiter zu lesen - das Fohlen ist ein Fohlen, das sich unnormal verhält, die Stute eine Stute, die reagiert.
Sollte vielleicht der nervige Blick der Stute bedeuten: "Was ist mit dir, mein Kind, bist du wirr im Kopf?" Aber nein, diesem Bild fehlt eindeutig jegliche humoristische oder karikaturistische Wendung. Der Blick scheint sich eher dem Betrachter zuzuwenden, eine Drohgebärde zu signalisieren: "Komm uns bloß nicht zu nahe, sonst werde ich fuchtig!"
Möglich, aber wahrscheinlich? Die kanadische Stute jedenfalls grast friedlich und kümmert sich nicht um den schnappschießenden Menschen. Nun ist dieser vermutlich gut bekannt, aber wenn ein Maler in einem Stall arbeitet, macht er das nicht in 5 Minuten, ist also auch kein Fremder, der bedrohlich ist. Vielleicht soll es auch nur dramatisch aussehen - also doch wieder eine Inszenierung für das Publikum.
Bleibt die Frage nach dem Fohlen. Sollte das Fohlen nicht trinken wollen, sondern nur spielen? Spielt ein Fohlen so? Ich weiß es nicht, aber es kommt mir unwahrscheinlich vor.
Andersrum gefragt: Warum sollte der Maler uns hier dermaßen verwirren wollen? Er hätte doch eine eindeutige Situation wählen können. Immerhin hat er keinen Schnappschuß gemacht! Also doch eine verborgene Botschaft? Ich komme nicht drauf.
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