Diese Illustrationen sind nicht nur außerordentlich gut recherchiert, sie sind auch sehr liebevoll gestaltet und plastisch ausgearbeitet. Ich habe keinen Begriff davon, wie viel Arbeit in einer solchen Zeichnung steckt. Auf jeden Fall können diese Leute alles darstellen, was sie wollen, aus jeder Perspektive und in jeder beliebigen Genauigkeit.
Die Überfallseite benutzte zum Teil die Vogelperspektive, die sehr gut geeignet ist, eine große Übersicht zu liefern. Das Indianerbild wiederum wurde aus einer Perspektive gezeigt, die ein Betrachter hätte, wenn er ebenfalls auf einem Pferd säße. Den zweiten Satz Illustrationen, der diesen Abschnitt begleitet, habe ich aus dem vorherigen Abschnitt entnommen, "AUF NACH WESTEN" betitelt.
Auf dieser Doppelseite bekommt der Leser einen Begriff von den unendlichen Weiten Amerikas und der Entwicklungsrichtung von Osten nach Westen. Auch dieses Bild ist aus der Vogelperspektive gezeigt, wobei sowohl der Winkel als auch Abstand größer gewählt sind. Dadurch bekommt man einen sehr guten Eindruck sowohl von der Landschaft als auch von der Landnahme. Im Zentrum des Bildes vereinigen sich zwei Bahnlinien zu einer, die schnurstracks zum Horizont führt, begleitet von einer Telegraphenlinie.
Am Schnittpunkt der beiden Eisenbahnlinien hat sich eine kleine Siedlung gebildet, die anscheinend auch Stützpunkt für die Post ist, denn die Postkutsche fährt gerade vierspännig davon, und zwar im Schritt, wie man deutlich sehen kann. Bei meiner Reproduktion auf dem Bildschirm hat man ungefähr den Eindruck, den ich auch im Buch habe. Als ich diese Seite eingescannt hatte und geeignete Ausschnitte suchte, konnte ich erst in der Vergrößerung die subtile Kunst des Illustrators so richtig bewundern; in der normalen Größe wirken die Bilder nicht so gewaltig.
Eine unglaubliche Fülle von Einzelheiten ist in diesen Bildern untergebracht, so daß man wünschen möchte, die Kinder wollten sich die Bilder mit der Lupe anschauen. Gedacht, getan - ich greife die Leselupe meines verstorbenen Vaters, die ich von ihm geerbt habe und bisher noch nicht benötige, und betrachte denselben Ausschnitt im Buch mit diesem Hilfsmittel, und siehe da: das ist der Eindruck, den ich auch mit meinem Grafikprogramm produzieren konnte.
Ergo werde ich meinem Neffen empfehlen, sich diese Bilder mit der Lupe anzuschauen, und am besten eine solche gleich mit beilegen. Sollten Sie jüngere Kinder haben und diese Sachbücher mit Illustrationen besitzen, probieren Sie doch einmal diesen Lupentrick aus - vielleicht erleben Sie auch eine Überraschung, so wie ich.
Im wilden Westen scheint man die Kumte an der Deichsel gelassen zu haben, denn ich glaube nicht, daß der Illustrator sich diese Einzelheit ausgedacht hat. Vor einigen Tagen hatte ich irgendwo etwas über den Treck der Siedler nach Westen gelesen, kann mich aber jetzt nicht erinnern, wo und in welchem Zusammenhang das war. Jedenfalls wurde dort erwähnt, daß die berühmten Planwagen meistens von Ochsen gezogen wurden, sonst von Maultieren.
Auch diese Einzelheit hat unser Illustrator getreulich wiedergegeben, wobei interessanterweise der Wagen von sechs Paarhufern gezogen wird, während das Pferd hinten angebunden ist. Im Tender der Lok sind Hölzer säuberlich aufgeschichtet, genau zugeschnitten auf die Breite des Tenders. Auch das ist eine wesentliche Einzelheit, die vorher schon erläutert worden war: die Eisenbahnen im Wilden Westen wurden mit Holz befeuert, was leichter und billiger zu beschaffen war als Kohle.
Ich finde es großartig, daß in unserer technisierten Zeit Illustrationskünstler gedeihen, die mit dem Stift in der Hand Welten auferstehen lassen, die längst vergangen sind. Im Falle des Wilden Westens oder anderer Illustrationen zum Thema Eisenbahnen hätte man vielleicht auf Originalfotografien oder Filmszenarien zurückgreifen können, für die man die vergangene Zeit mit viel Aufwand und Akribie nachgestellt hat. Das Ergebnis würde vermutlich nicht so gut überzeugen wie die Zeichnungen, die zudem noch den Vorteil haben, daß der Zeichner nach Belieben Szenen zusammenstellen kann, die in Wirklichkeit so nicht vorgekommen sind.
Außerdem zieht der Künstler vermutlich viel mehr Befriedigung aus seiner schöpferischen Tätigkeit, als wenn er lediglich vorgefundene Fundstücke zusammensetzen würde. Wer Pferde und Menschen in jeder Haltung, aus jeder Richtung und in jeder Bewegung darstellen kann, mehr oder weniger ausgeführt, als Strichzeichnung oder als nahezu fotorealistische Malerei, fühlt sich vermutlich sehr wohl in seiner Haut. Ich jedenfalls bewundere diese Leute und glaube, daß Kinder anhand dieser Arbeiten mehr über die Welt lernen können als über bloße Fotos.
Zum Schluß war ich neugierig, wer sich Sergio nennt. Ich fand bei der Suche nach "Sergio Illustrator" zwei Illustratoren, die als Sergio (Illustrator) firmieren, aber beide stilistisch weit von unserem Sergio entfernt sind (» Sergio Baradat oder » Sergio Bardaat - er ist sich wohl nicht so sicher, wie er seinen Nachnamen schreiben soll - und » Martinez, Sergio). Selbst auf der Webseite des Verlags findet man nichts, weder bei der deutschen Tochter » Dorling Kindersley Deutschland noch bei der englischen Mutter » Discover more at dk.com. Aber immerhin habe ich den Originaltitel » Trains and Railways : Windows on the Worlds als zwölf Jahre altes, gebrauchtes Buch mit leichten Gebrauchsspuren (immerhin Riß auf einer Seite) für US$ 12.50 gefunden, aber auch dort wird lediglich der Textautor erwähnt. Die deutsche Ausgabe, die ich gerade erworben habe, wird für 3,95 EUR verkauft. Sollten Sie an dieser Buchreihe interessiert sein, fragen Sie Ihren Buchhändler, stöbern Sie wie ich im Warenhaus oder im Internet!
Quellen / Verweise
Fotos © › Gerd Hebrang
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