Pferde und Menschen Eine komplexe Beziehung wandelt sich von Gerd Hebrang Zu den Themen Kulturgeschichte, Verhalten |
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Wenn wir Menschen keine Pferde halten würden, gäbe es sie vermutlich nicht mehr. Bekanntlich stammen die Pferde ursprünglich aus Amerika, wo sie schon vor mehr als 10.000 Jahren ausgestorben sind ( Aus und nach Amerika). Hätten die frühen Menschen in Europa und Asien die Pferde nicht domestiziert, wären sie wahrscheinlich auch dort ausgestorben.
Vor noch nicht einmal 50 Jahren sah es ganz so aus, als hätte das Pferd in unserer modernen Welt keinen Platz mehr. Für den Krieg, der sich durch den Einsatz des Pferdes unwiderruflich geändert hatte, waren die Pferde nicht mehr tauglich. Das wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs offensichtlich. Und kurze Zeit später stellte sich heraus, daß die Maschinen die Pferde auch in der Landwirtschaft und im Verkehr verdrängten. Das Pferd war überflüssig geworden.
Heute leben wieder so viele Pferde auf dieser Erde wie kaum je zuvor. Die Rolle der Pferde hat sich allerdings vollständig gewandelt. War das Pferd früher ausschließlich Mittel zum Zweck, ist das heute nur noch bedingt der Fall, namentlich in der Rennindustrie und im Sport. Allerdings werden dort nur die wenigsten Pferde eingesetzt. Die überwiegende Mehrzahl bereichert heute die Freizeit der Halter und hat erstmals ein gutes Leben in der Gemeinschaft mit Menschen.
Warum sich die Pferde durch die Menschen haben mißbrauchen lassen, hat ganz einfache Gründe, die in der Natur der Pferde liegen. Da wir uns nun erstmals in der Geschichte der Menschheit in aller Ruhe mit der Natur der Pferde auseinandersetzen können und dabei eine Fülle neuer Erkenntnisse gewinnen, steht zu vermuten, daß sich die Beziehung zwischen Mensch und Pferd weiterhin zum Vorteil des Pferdes ändern wird.
Um diesen dynamischen und komplexen Prozeß besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, einen geschichtlichen Rückblick zu wagen. Die Archäologie und Geschichtsforschung entwickelt sich ebenfalls ständig weiter und produziert aufregende Ergebnisse. Das ist einfach die Folge unseres gesellschaftlichen Reichtums. Noch nie gab es so viele Menschen, die sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen egal welcher Fachrichtung beschäftigen konnten.
Nehmen wir zum Beispiel die Mathematik. Die Geschichte der Mathematik, so wie wir sie heute verstehen, geht zurück auf die Kultur des antiken Griechenland, ist also etwa 2500 Jahre alt. Davor gab es schon eine Fülle von mathematischen Entdeckungen, die jedoch eher praktischen Charakter hatten und nicht eigentlich Mathematik genannt werden konnten. Man kannte zum Beispiel Methoden, einen rechten Winkel zu konstruieren, der für die Architektur unbedingt benötigt wird. Man kannte Methoden, die zur Beobachtung des Himmels und zur Berechnung des Kalenders notwendig sind. Ohne diese Methoden wären die Hochkulturen in den Schwemmländern Ägypten und Mesopotamien nicht möglich gewesen.
Vermutlich kann man die Beschäftigung der Menschheit mit mathematischen Fragestellungen auf vielleicht 10.000 Jahre veranschlagen. Selbst wenn es 100.000 Jahre wären: Die Mehrzahl aller jemals existierenden Mathematiker lebt heute. Niemals wurden so viele Mathematiker ausgebildet, haben so viele Mathematiker sich Tag für Tag mit mathematischen Fragestellungen beschäftigt wie zu unseren Lebzeiten. Alle diese Mathematiker produzieren Ergebnisse, die auf Papier und inzwischen elektronisch publiziert werden, woraus sich ergibt, daß das mathematische Wissen gerade jetzt entsprechend angewachsen ist und weiter anwächst, Tag für Tag.
Vor 200 Jahren hatte man sehr diffuse Vorstellungen von der Frühzeit. Heute hat man schon einen wesentlich besseren Überblick, der ebenfalls täglich wesentlich verfeinert und ergänzt wird. Soweit wir heute erkennen können, waren die Pferde in der Frühzeit dem Menschen lediglich Nahrung - das weiß man durch Knochenfunde zum Beispiel aus Österreich, die auf eine aktive Bejagung des Pferdes durch den Menschen schließen lassen (» Kamegg), oder durch Höhlenzeichnungen, deren Objekte man als Jagdziele interpretiert (» Chauvet-Höhle).
Nun sind Pferde sehr schnell, viel schneller als etwa Rinder, und auch sehr viel ausdauernder. Vermutlich hatten die Menschen nur dann eine Chance, wenn sie die Pferde in eine Falle locken konnten. In Südfrankreich hat man zum Beispiel am Abhang einer Klippe Zehntausende von Pferdeskeletten gefunden und daraus geschlossen, daß ganze Herden über diese Klippe getrieben worden sind. Bis zur Einführung des Pferdes war dies auch eine Technik, die die nordamerikanischen Indianer bei der Büffeljagd anwandten.
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