Schöne neue (Pferde-)Welt Läßt sich "Fortschritt" aufhalten? von Gerd Hebrang
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Wir haben uns mit künstlicher Besamung und Embryotransfer bei Pferden beschäftigt und festgestellt, daß manche Experten nicht nur keine Berührungsängste haben, sondern sogar befürchten, daß Deutschland als Pferdenation ins Hintertreffen geraten könnte, wenn Tierärzte und Züchter sich nicht schleunigst mit diesen Techniken vertraut machen und sie anwenden würden (» Embryotransfer und Klonierung).
Die Techniken sind inzwischen anscheinend ziemlich ausgereift und praxiserprobt. In der letzten Woche haben wir gesehen, daß auf dieser Basis möglicherweise sogar enorm hohe Gewinne erzielt werden können ( ET = Big Money?). Das wäre ein weiterer Grund für Züchter und Tierärzte, von diesen Techniken auch Gebrauch zu machen.
| Abschließend ein Bespiel für die praktische Machbarkeit von theoretisch kompliziert erscheinenden Vorhaben auf diesem Gebiet: Im April 95 erwarten wir ein ganz besonderes Fohlen. Es müsste eigentlich "Das zweifach Gefrorene" oder "Stickstofffreak" heißen. Denn die Mutter dieses Fohlen wurde mit einer einzigen Portion tiefgefrorenen Importsamens des amerikanischen Spitzenvollblutarabers Padrons Mahogany besamt. Sechs Tage später gewannen wir einen Embryo, welcher wiederum tiefgefroren wurde. Fünf Monate später wurde dieser Embryo aufgetaut und auf die Empfängerstute "Farrucca"übertragen. Weitere sechs Tage später konnten wir bereits mit Hilfe des Ultraschalls feststellen, das Farrucca tragend war. Sie ist es bis heute. Nun hoffen wir nur noch, dass sie ein gesundes Fohlen zur Welt bringt. Was wollen wir mehr?
2006: Aus diesem Fohlen ist eine inzwischen 11-jährige, hochprämierte und erfolgreiche Zuchtstute geworden, die uns bereits einige wunderschöne und hochbewertete Fohlen geboren hat. Ihr Name: "Insterurmel aus dem Eis". » Leben aus dem Eis | | |
Sind die modernen Möglichkeiten der Reproduktionstechnik nun positiv oder negativ zu beurteilen? Handelt es sich um einen Fortschritt oder um zweifelhafte Methoden, die aus ethischen oder weltanschaulichen Gründen abgelehnt werden müssen?
In der vorletzten Woche haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Verantwortliche im Rennsport an dieser Art systematischem Zuchtfortschritt keinerlei Interesse haben ( Vollblut im Zwielicht). Die anderen Sportverbände haben sich in dieser Hinsicht noch nicht geäußert und scheinen keinerlei grundsätzliche Bedenken äußern zu wollen. Die künstliche Besamung ist dort schon fast zum Standardverfahren geworden, ob mit frischem oder tiefgekühltem Samen scheint mehr oder weniger eine Frage der Routine und der logistischen Möglichkeiten zu sein.
Wird sich demnächst auch der Embryotransfer im großen Maßstab durchsetzen? Außerdem dürfte es bald möglich sein, das Geschlecht und vielleicht auch weitere Merkmale gentechnisch zu bestimmen und damit die Kontrolle über das Zuchtprodukt weiter zu erhöhen. Es ist wahrscheinlich alles nur eine Frage der Zeit.
Herbert Jäckle äußerte diesen Satz in Bezug auf Forschung über Stammzellen und wollte damit natürlich seine Zuversicht zum Ausdruck bringen, daß zukünftig funktionieren wird, was im Moment noch problematisch ist. Die Verhütungspille ist heute kein kontroverses Thema mehr, sondern Alltag. Das gleiche gilt für Herztransplantationen und entsprechende Varianten. Der Mensch ist nicht identisch mit seinem Herzen oder irgend einem seiner Organe, das scheint inzwischen ausgemacht. Die Ersatzteilchirurgie ist deshalb nicht mehr umstritten. Ist der Mensch identisch mit seinen Genen?
| Offensichtlich scheint jedenfalls, dass auch das Thema Klonen von Menschen gerade dabei ist, die typischen Akzeptanzphasen zu durchlaufen, die die Forscher Sophia Kleegmann und Sherwin Kaufman schon vor 30 Jahren für die Fortpflanzungstechniken beobachtet und beschrieben haben: Entsetzte Ablehnung, Ablehnung ohne Entsetzen, tastende Neugier, Erforschung, und schließlich langsame aber zunehmende Zustimmung. » Chance oder Horrorvision? | | |
Sind wir also auf dem Wege, die » Schöne neue Welt Realität werden zu lassen? Werden wir bald Tiere und Menschen nach Maß produzieren können und es auch tun? Und wenn: Ist das gut oder schlecht? Sollten wir uns mit diesen Fragen beschäftigen oder lieber die Fachleute machen lassen?
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