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Marketing auf Kosten der Zigeuner Von Pferden, Geschäften und Regulierungen von Gerd Hebrang
Zu den Themen Auswanderung, Frauen, Kaltblüter, Lebensgeschichte, Zucht |
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Haben Sie sich einmal mit Pferdezucht beschäftigt? Ich meine damit nicht die Tatsache, daß Pferde sich fortpflanzen - das liegt ja auf der Hand. Alles Leben auf diesem Planeten pflanzt sich fort. In Regelfall braucht man dazu ja kein Zuchtprogramm - die Vermehrung geschieht ohne jede Regulierung durch menschliche Autoritäten - nicht einmal bei uns selbst.
Oder haben Sie schon einmal von einem Zuchtprogramm für Menschen gehört? Wäre doch interessant, oder? Wer würde die Regeln aufstellen? Wären Sie persönlich eintragungsfähig? Kämen Sie ins Hauptbuch oder ins Vorbuch? Oder würden Sie zum Ausschuß gehören, der ins Schlachthaus wandert? Dürften Sie sich fortpflanzen? Wenn ja, mit wem? Und wie oft? Und zu welchen Konditionen? Wie teuer würden Sie gehandelt?
Wie würde man Ihren persönlichen Wert feststellen? Anhand Ihrer Haarfarbe oder Ihrer Haarlänge? Oder wäre die Form Ihrer Nase wichtig? Oder Ihre Leistungen im Stabhochsprung? Würde man Sie mehr schätzen, wenn Sie mehrere Sprachen beherrschten oder müßten Sie in den Naturwissenschaften beschlagen sein? Würde man überprüfen, wie gut sich Ihre Nachkommen vermarkten lassen? Würden diese Ergebnisse in Ihre persönliche Wertschätzung mit einfließen?
Eines wäre klar: Sie wären eine Sache und Eigentum Ihres Züchters. Zuchtprogramm für Menschen? Unmöglich, sagen Sie? So unmöglich ist das gar nicht. Der » Ariernachweis kann mit dem Pedigree durchaus verglichen werden. Freilich konnte man die Arier nicht handeln, aber dafür hat man die anderen wie Sachen behandelt. Das wiederum ist weder neu noch vergangen. » Sklaverei existierte in der gesamten überlieferte Geschichte bis zum heutigen Tage.
Freilich hat man Sklaven nicht gezüchtet; die "Ernte" war einfach billiger. Zucht kommt erst dann ins Spiel, wenn man dadurch einen gegebenen Profit maximieren kann und will. Im Falle von Tauben- oder Geflügelzucht besteht der Profit überwiegend in Spaß und Ehre - wie auch meist im Falle der Pferdezucht, die ja oftmals viel kostet und wenig einbringt. Grundsätzlich aber ist die Pferdezucht durchaus sehr vom Gewinnstreben geprägt.
Die Vollblutzucht wurde bekanntlich durch die Wettleidenschaft des englischen Adels angeregt und wird bis heute durch dieselben Mechanismen angetrieben. Der Preis bestimmt sich in diesem Fall durch das Gewinnpotential, das enorm sein kann. Dieselben Kriterien gelten für die moderne Sportpferdezucht. Die Gewinnsummen vor allem der Hengste und ihrer Nachkommen werden sorgfältig zusammengestellt und studiert und beeinflussen ihrerseits wiederum das Preisgefüge.
Bei den meisten Pferderassen bestimmt die Zuchtpolitik das Geschehen, d. h. die Leute, die die Machtpositionen innehaben und festlegen, welche Tiere überhaupt berücksichtigt werden können, welche Noten diese erhalten und welchen Wert sie dadurch bekommen. Der Wert ist also mehr oder weniger willkürlich festgesetzt und muß von der Gemeinschaft akzeptiert werden, damit er realisiert werden kann.
Insofern handelt es sich hier um ein ganz normales Marktgeschehen. Nehmen wir an, ich ersteigere auf der nächsten Auktion moderner Kunst für 10 Millionen EUR einen Picasso und biete diesen anschließend bei eBay für 1 EUR Startgebühr an. Wetten, daß ich ein schlechtes Geschäft mache? Und warum? Weil eBay nicht die richtige Plattform ist, um ein solches Objekt angemessen verkaufen zu können.
Mit anderen Worten: Der Markt muß auf jeden Fall vorbereitet und präpariert werden, hängt aber nicht unbedingt von formellen Strukturen ab. Schließlich gibt es kein Zuchtprogramm für Picassos. Zwar können Experten beurteilen, ob es sich bei diesem Objekt um einen echten Picasso handelt oder nicht, ob es sich um eine hochwertige Arbeit handelt oder um minderwertiges Zeug, aber das ist etwas anderes. Dabei geht es um das einzelne Objekt, nicht um die Abstammung.
In der letzten Woche habe ich die Frage aufgeworfen, ob es sich bei den Tinkern um eine Rasse handeln kann, wenn man sich noch nicht einmal bezüglich des Namens einig ist. Aber im Grunde ist es doch vollkommen unerheblich, ob man einen Namen hat, ein Zuchtbuch, ein Pedigree - ein guter Picasso braucht schließlich auch keine Abstammungsurkunde. Man sieht auf den ersten Blick, daß es sich um ein Werk des Meisters handelt - wenn man sich auskennt. Und vielleicht kann man auch noch beurteilen, ob es eines der gelungenen oder eines der mißlungenen Werke ist.
In diesem Sinne reden wir über zweierlei: Einmal über die Pferde selbst, völlig unabhängig davon, ob sie registriert sind oder nicht, ob sie Papiere haben oder nicht, und andererseits über Papierkram, der Berechtigungen verbrieft und Geschäfte erleichtert. Der aktuelle Streit dreht sich um diese Regularien, die im Grunde mit den Pferden nichts zu tun haben. Schließlich bleibt ein gutes Pferd ein gutes Pferd, auch wenn es keine Papiere hat, und selbst die besten Papiere machen aus einem schlechten Pferd kein gutes Pferd.
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