| | Drei Tinker-Wagen - historische Aufnahme | | | |
Gypsy Horses, Tinker oder was? Von eigenartigen Menschen und ihren Pferden von Gerd Hebrang
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Caroline Neuenschwander züchtet Pferde in Irland. Wie jeder Züchter legt sie Wert darauf, daß "Zucht" eine Verbesserung der Rasse zum Ziel haben muß und nicht lediglich Vermehrung bedeuten darf. Sie wollte ihren "Traum vom Züchten" unbedingt verwirklichen - aber aus dem » Pegasus Artikel 3/2005 ging hervor, daß sie einen Clydesdale-Hengst besitzt, der mit Tinker-Stuten gepaart wird, und ihre Shire-Stuten werden von einem Tinker-Hengst gedeckt.
Deshalb meine provozierende Frage, ob sie nicht einfach nur Mixe züchte, und ob diese auch irgendwo eingetragen werden. Dieser Frage ist sie ein wenig ausgewichen, wie Sie vielleicht in der letzten Ausgabe bemerkt haben. Und das zu Recht, weil die Antwort vermutlich doch etwas zu lang und zu kompliziert ausgefallen wäre.
Es fängt schon damit an, daß die Pferderassen, wie wir sie heute kennen, bis auf wenige Ausnahmen ausgesprochene Mixe sind. Im Laufe der Jahrhunderte sind nämlich alle möglichen Rassen mehr oder weniger planvoll durcheinandergewürfelt worden; und diese gezielte Einbringung fremden Genmaterials gehört heute zum Standardrepertoire der systematisch betriebenen Pferdezucht. Meistens nennt man die Vermischung unterschiedlicher Rassen "Veredelung".
Die Kreuzung von Individuen verschiedener Rassen ist also nicht per se ein Kennzeichen für unkontrollierten Vermehrung, sondern könnte im Gegenteil als Merkmal planvollen züchterischen Vorgehens gewertet werden, wenn nämlich die züchterischen Vision eine solche Anpaarung sinnvoll erscheinen läßt und nicht die sich mehr oder weniger zufällig bietende Gelegenheit der Grund für die Kreuzung ist.
Abgesehen von der züchterischen Vision kann von einer Rasse schließlich nur die Rede sein, wenn diese Vision von anderen Züchten geteilt wird, diese sich zusammenschließen und in irgendeiner Weise das züchterischen Geschehen durch ein Regelwerk kanalisieren. Das wird bei den meisten Rassen erst seit wenigen Jahrzehnten so gehandhabt; zwar haben feudale Gestüte schon seit Jahrhunderten über ihre züchterischen Bemühungen Buch geführt, aber das waren im Grunde private Unterlagen und nicht etwa offizielle Stutbücher einer Rasse - Privatzuchten kann natürlich jeder betreiben, soviel er will.
Die moderne Zuchtgeschichte beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts in England durch die systematische Förderung von Pferden mit einer ganz speziellen Begabung, nämlich der Fähigkeit, eine bestimmte Strecke möglichst schnell zu laufen. Die Rede ist vom Englischen Vollblut, das damit nicht nur eine Vorreiterrolle gespielt hat, sondern bis heute auf fast alle anderen Rassen durch Einkreuzung (meistens positiv) einwirkt.
Dazu wurden sämtliche an bestimmten Pferderennen beteiligten Pferde erfaßt und irgendwann das Zuchtbuch sogar geschlossen, d. h. nur Tiere, die von Eltern abstammten, die ihrerseits bereits im Zuchtbuch geführt wurden, können in das Zuchtbuch aufgenommen werden. Eine Einkreuzung fremder Rassen ist also seither ausgeschlossen. Bei einigen anderen Rassen ist man ebenso verfahren, aber bei den meisten bleibt das Zuchtbuch offen, fremde Rassen können also durchaus eingekreuzt werden.
Dabei beschränkt sich die Auswahl naturgemäß durch den angestrebten Rassestandard, der sich durchaus immer wieder ändern kann und das auch tut. So ist eine Anpaarung Hannoveraner x Vollblut, Hannoveraner x Holsteiner, Hannoveraner x Oldenburger, Hannoveraner x Trakehner usw. im Prinzip kein Problem, während Hannoveraner x Clydesdale nicht zugelassen werden würde. In diesem Sinne sind die Anpaarungen Clydesdale x Tinker bzw. Shire x Tinker erwünscht, während Hannoveraner x Tinker weder von den Hannoveraner- noch von den Tinker-Züchtern toleriert werden würden. Wer so etwas vorhat, begründet eventuell eine neue Rasse.
Soweit kann man die Angelegenheit nachvollziehen, weil ein Rassestandard auch durch das Exterieur beschrieben wird, also durch das Aussehen und die Anmutung eines Pferdes. In diesem Sinne weiß jeder, was ein Tinker ist, und kann diesen etwa von einem Shire unterscheiden, vorausgesetzt er hat überhaupt eine Ahnung von diesen Rassen. Ich habe zum Beispiel keine klare Vorstellung von einem Clydesdale; zwar habe ich schon Clydesdales in Büchern gesehen, aber noch nie in Natura, bin mir also nicht sicher, ob ich auf einer Pferdeschau einen Clydesdale erkennen oder diesen mit einem Shire verwechseln würde.
Daß aus der Anpaarung Shire x Tinker ein Tinker entstehen kann, leuchtet mir also ein. Es wird daraus aber mit Sicherheit kein Shire. Shires gelten als die größten Pferde überhaupt, sind meist schwarz mit weißen Abzeichen und Stiefeln. Tinker sind Schecken, Schwarzschecken oder Braunschecken, mit viel Behang, Mähne und Schweif. Das weiß ja jedes Kind, das sich mit Pferderassen etwas beschäftigt hat.
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